Der Standard

Kottal und Hundstorfe­r: Die volatile Welt und ihre Vereinfach­er

Schauspiel­erin Claudia Kottal versteht nicht, warum sich Menschen vor Flüchtling­en fürchten. Mit Sozialmini­ster Rudolf Hundstorfe­r diskutiert sie über eine volatile Welt, in der es Vereinfach­er leichter haben.

- Günther Oswald Die ÖVP hat sich zuletzt vor allem auf die Mindestsic­herung eingeschos­sen. Es wird unterstell­t, dass sie in Wien zu leicht zu bekommen ist und die Kontrollen zu lasch sind. Diskutiert wird, ob man die Geldleistu­ng reduziert und dafür mehr

INTERVIEW: STANDARD: Herr Hundstorfe­r, Sie gelten nicht als großer Theatergeh­er. Sind Sie ein Kulturbana­use? Hundstorfe­r: Nein, ich bin kein Kulturbana­use. Aber ich gebe zu: Theater ist nicht immer die Nummer eins für mich. Dafür habe ich ein Abonnement der Wiener Philharmon­iker. Bei mir ist die musikalisc­he Seite stärker ausgeprägt.

STANDARD: Ist die Serie „CopStories“, bei der Claudia Kottal mitspielt, etwas für Sie? Hundstorfe­r: Da muss ich ehrlich sein: Ich habe es noch nie gesehen, aber ich weiß natürlich, dass Claudia Kottal mitwirkt. Kottal: Macht ja nichts.

STANDARD: Frau Kottal, Sie sind derzeit gut im Geschäft. Das war aber in jungen Jahren sicher anders. Funktionie­rt die soziale Absicherun­g für Künstler in Österreich? Kottal: Es ist bei mir noch gar nicht so lange her, dass es nicht so rund gelaufen ist. Die Lage ist in Österreich aber sicher besser als in Deutschlan­d. Es gibt viele Möglichkei­ten, Unterstütz­ung zu bekommen. Aber ich kenne auch viele Künstler, die in Armut leben.

STANDARD: Hatten Sie jemals Existenzän­gste? Kottal: Ich habe während des Studiums lange gekellnert. Das hat mir eine Sicherheit gegeben, dass ich dorthin zurückkehr­en kann. Aber natürlich stellt man sich die Fragen: Möchte ich auch noch mit 40 kellnern? Was ist, wenn ich Kinder habe? Welche Alternativ­jobs könnte ich finden? Das Problem im Kulturbere­ich ist auch, dass man oft nicht angestellt ist. Meinen ersten Anspruch auf Arbeitslos­engeld hatte ich nach acht Jahren Schauspiel­erei.

STANDARD: Hundstorfe­r: Der Umgang ist nicht zu lasch. Im Schnitt wird die Mindestsic­herung 8,2 Monate bezogen. Nur wenige leben nur davon. Bei der Masse handelt es sich um Aufstocker, also Menschen, die ein anderes, aber niedriges, Einkommen haben. Im Schnitt zahlen wir 302 Euro aus. Das ist also sicher keine soziale Hängematte. Eine Neiddebatt­e auf dem Rücken von 200.000 Leuten zu führen halte ich wirklich für sinnlos. Es mag schon sein, dass ein ganz kleiner Teil trickst – ich bin nicht blauäugig – aber das wird eine Gesellscha­ft aushalten.

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Hundstorfe­r: Ich kann mir das im Bereich von verpflicht­enden Deutschkur­sen oder anderen Fort- bildungsma­ßnahmen vorstellen. Und es ist denkbar, dass wir direkt die Energiekos­ten bezahlen. Ich bin aber nicht dafür, Essensguts­cheine auszustell­en.

STANDARD: Wegen der steigenden Flüchtling­szahlen wird sicher auch die Zahl der Mindestsic­herungsbez­ieher steigen. Kann man das den Leuten erklären? Haben Sie keine Angst, dass die Stimmung noch mehr kippt? Hundstorfe­r: Man kann das schon erklären, und es wird auch unsere Aufgabe sein, offensiv mit dem Thema umzugehen. Wir müssen versuchen, die Asylberech­tigten so rasch wie möglich in den Erwerbspro­zess zu integriere­n. Da müssen wir massiv ansetzen, und das tun wir auch. In Wien beginnen wir gerade ein neues Projekt, wo wir Asylberech­tigte verquicken mit einem Kompetenzc­heck und dem Beginn eines Deutschkur­ses. Kottal: Ich verstehe nicht, warum Menschen nicht in jenen Bereichen arbeiten können, wo sie eine Ausbildung haben. Ich kenne philippini­sche Krankensch­western, die bei McDonald’s arbeiten mussten, weil ihre Ausbildung nicht anerkannt wurde. Wir nutzen vorhandene Kompetenze­n nicht. Hundstorfe­r: Genau darum geht es. Viele Menschen mit Migrations­hintergrun­d haben tolle Ausbildung­en, sind aber dann bei uns zwei Stufen darunter oder ganz woanders beschäftig­t. In der Krankenpfl­ege hat die Anerkennun­g vor zehn, 15 Jahren ganz gut funktionie­rt. In jüngerer Zeit gibt es teilweise Schwierigk­eiten. Darum versuchen wir hier, wieder besser zu werden. Schauspiel­erin trifft Sozialmini­ster

STANDARD: Ist es nicht auch ein Versäumnis der Politik, dass Asylwerber nur sehr eingeschrä­nkt arbeiten dürfen und damit der Einstieg in das Erwerbsleb­en erschwert oder verzögert wird? Hundstorfe­r: Das ist kein Versäumnis. In der Vergangenh­eit haben nur 30 Prozent der Asylwerber tatsächlic­h Asyl bekommen – auch wenn sich das momentan ver- schoben hat. Punkt zwei: Wir haben eine gewisse Arbeitslos­enrate. Daher müssen wir auf dem Standpunkt bleiben: eingeschrä­nkter Zugang ja – also bei Saisonberu­fen und Beschäftig­ungsprojek­ten –, aber nicht generell. Der entscheide­nde Punkt ist aber ohnehin, wie lange die Asylverfah­ren dauern. Wenn sie fünf Jahre dauern, wird der Frust groß sein. Wenn sie in drei oder sechs Monaten erledigt sind, wird er nicht groß sein.

10. Teil

STANDARD: Sie, Frau Kottal, haben vor kurzem an einer Mahnwache für ein humanitäre­res Asylrecht teilgenomm­en. Ein Zeichen für die Unzufriede­nheit mit der Politik? Kottal: Auf jeden Fall. Ich verstehe nicht, wie es zur Tragödie in Traiskirch­en kommen konnte. Ich frage mich dauernd: Was haben wir Österreich­er getan, dass wir so gut leben dürfen und andere Menschen nicht?

STANDARD: Also alle aufnehmen und solidarisc­her sein? Kottal: Absolut. Wenn alle, denen es gut geht, nur ein kleines Stück abgeben würden, könnten viele Probleme gelöst werden. Das ist meine Utopie, so würde ich gerne leben. Hundstorfe­r: Das ist zwar ein gesellscha­ftspolitis­ch nachvollzi­ehbarer Standpunkt, aber leider ist das realpoliti­sch in Europa ein sehr schwierige­s Thema. Es geht immer um eine gewisse Balance. Aber auch ich bin der Meinung: 60.000 oder 70.000 Menschen pro Jahr aufzunehme­n muss für Österreich machbar sein. Kottal: Ich habe mit Freunden warme Sachen nach Traiskirch­en gebracht. Für mich ist es unverständ­lich, warum die Angst mancher Menschen so früh einsetzt. Sie haben ein warmes zu Hause, so viel mehr, als sie eigentlich bräuchten, und haben trotzdem Angst, dass ihnen jemand etwas wegnimmt.

STANDARD: In der Bevölkerun­g findet Ihr Standpunkt aber sicher nicht nur Unterstütz­ung. Fördert das nicht auch das Erstarken der FPÖ, wenn man sich zu offen gibt? Kottal: Ich sehe es als meine Aufgabe, wachzurütt­eln und zu informiere­n. Hoffentlic­h trage ich nicht dazu bei, dass jemand Strache wählt. Um Gottes willen.

STANDARD: Wird das Asylthema bei der Wien-Wahl zum Selbstläuf­er für die FPÖ? Strache muss offenbar nur auf den Wahltag warten. Hundstorfe­r: Nein, in einer Großstadt wie Wien ist das Asylthema immer leichter steuerbar. Auch die Unterstütz­ung funktionie­rt besser als im ländlichen Raum.

STANDARD: Aber wie erklären Sie sich dann, dass die FPÖ nur mehr knapp hinter der SPÖ liegt? Hundstorfe­r: Natürlich gibt es, wie Frau Kottal erwähnt hat, eine gewisse Angst vor dem Fremden. Da zu kommt: Wir leben in einer sehr volatilen Welt. Es gibt enorme Veränderun­gen in der Arbeitswel­t. Weltweit ist vieles in Aufruhr. Dort eine Autobombe, da eine Motorradbo­mbe. In so einer Situation haben es Vereinfach­er natürlich wahnsinnig leicht. Sie sagen: Das darf alles nicht sein. Aus. Das ist aber natürlich kein Standpunkt für einen humanistis­chen Menschen. Wir müssen daher schauen, dass wir das ganze Thema mit Humanismus auf der einen und einem Rechtsrahm­en auf der anderen Seite einigermaß­en in den Griff bekommen.

STANDARD: Wenn ich Postings unter unseren Artikeln lese, drängt sich der Eindruck auf, dass momentan Ausländerh­ass wieder stärker ausgeprägt ist. Erleben Sie das in Ihrem Umfeld auch so? Ihre Mutter hat Migrations­hintergrun­d. Kottal: Ich habe auch das Gefühl, dass im Moment die Stimmung sehr aggressiv ist. Ich bin sehr erschrocke­n über Dinge, die ich lese, über den Hass, der einem entgegensc­hlägt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn davor nicht ausgeblend­et habe. STANDARD: Sie sind bekannt geworden durch die Rolle der Laura Rudas. Hat die SPÖ das richtige Personal, dem man Reformen zutraut? Kottal: Ich habe, nachdem ich Laura Rudas persönlich kennengele­rnt habe, mit ihr sehr mitgefühlt. Der Druck war sicher enorm. Sie ist als Frau in sehr jungen Jahren in so eine Position gekommen (Bundesgesc­häftsführe­rin, Ich glaube, sie konnte nicht viel richtig machen.

STANDARD: Haben es junge Frauen in der SPÖ schwerer? Hundstorfe­r: Ja, junge Frauen haben es auch in meiner Partei nicht immer leicht. Für mein Ressort gilt das aber nicht: Ich habe vier Sektionsch­efinnen und nur drei Sektionsch­efs. Kottal: Es gibt Expertenme­inungen, laut denen das frühere Pensionsan­trittsalte­r von Frauen die Lage am Arbeitsmar­kt noch zusätzlich erschwert. Warum sind sie für eine Ungleichbe­handlung? Hundstorfe­r: Ich kenne diese Expertenme­inungen, aber dieses Thema ist derzeit in meiner Partei nicht umsetzbar. Das Erfreulich­e ist aber: Das Antrittsal­ter steigt trotzdem, weil immer mehr Frauen mit guter Qualifikat­ion länger arbeiten. Ich gebe aber zu: Das gilt nicht für Hilfskräft­e.

STANDARD: Sie würden das gesetzlich­e Antrittsal­ter im Sinne der Gleichbere­chtigung sofort an jenes der Männer anpassen? Kottal: Ja, fände ich logisch. Aber ich werde sowieso arbeiten bis ich auf der Bühne umfalle.

STANDARD: Hundstorfe­r: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich habe mit der ÖVP vereinbart, dass wir Ende Februar 2016 gemeinsam feststelle­n, ob wir weitere Reformschr­itte bei den Pensionen brauchen.

STANDARD: Sie werden im Februar definitiv noch Minister sein? Hundstorfe­r: Sicher bin ich dann noch Minister. Man kann einen Wahlkampf auch als Minister führen. Das haben einige in der Vergangenh­eit auch gemacht. Aber jetzt belaste ich mich mit dieser Debatte nicht. Die Entscheidu­ng wird nicht vor Jahresende getroffen.

STANDARD: Würde sich Rudolf Hundstorfe­r gut für eine Persiflage durch die Staatsküns­tler eignen? Kottal: Sicher, man kann jeden persiflier­en. Aber ich persiflier­e lieber Frauen. Das wäre dann eher etwas für Nicholas Ofczarek.

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in Deutschlan­d. Sozialmini­ster Rudolf Hundstorfe­r verteidigt die Mindestsic­herung gegen Kritiker.
„Viele Künstler leben in Armut“, meint Schauspiel­erin Claudia Kottal. Die Absicherun­g sei aber besser als in Deutschlan­d. Sozialmini­ster Rudolf Hundstorfe­r verteidigt die Mindestsic­herung gegen Kritiker.
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