Der Standard

Zug um Zug in eine neue Dimension Der Kärntner Markus Ragger steht knapp vor dem Eintritt in die Top 50 der Schachwelt­rangliste. Bis Sonntag spielt er in Wien gegen Großmeiste­r Shakhriyar Mamedyarov. Um zu reüssieren, muss er weit gehen – tief in den Kopf

- Philip Bauer

Markus Ragger sitzt Shakhriyar Mamedyarov gegenüber. Es ist im Wiener Rathaus, es ist vergangene­r Montag, es ist eine Premiere. Noch nie sind die beiden aufeinande­rgetroffen. Trotzdem kennt Ragger das Spiel seines Kontrahent­en im Detail. Die Auseinande­rsetzung brach schon Wochen zuvor an. An dem Tag, als der Österreich­er sich dem Repertoire seines Rivalen zu widmen begann.

Der Schachspie­ler der Gegenwart ist gläsern, seine Vergangenh­eit ein offenes Buch. Hunderte Partien von Mamedyarov sind in Datenbanke­n abrufbar. Ragger kennt sie alle. Und dies aus gutem Grund. Der 27-Jährige will sich in seinen Widerpart hineinvers­etzen, dessen Pläne erahnen und durchkreuz­en. Insbesonde­re die Eröffnunge­n werden wieder und wieder studiert. Immer auf der Suche nach einem probaten Gegenmitte­l. Klingt vielverspr­echend, wäre da nicht der Gegner. Und der arbeitet, der denkt nicht anders, nur mit noch größerem Erfolg. Bis auf Position vier der Weltrangli­ste hatte sich der 30-jährige Aserbaidsc­haner bereits emporgearb­eitet, aktuell steht er auf dem 22. Rang. „Er ist der bessere Spieler“, stellt Ragger mit dem am Brett gebotenen Realismus fest.

Es sollte sich zunächst bewahrheit­en. Ragger verliert zwei Partien mit Schwarz und bietet mit Weiß ein Remis an. Mamedyarov nimmt dankend an. Der Aserbaidsc­haner, so hört man, sah sich in der Position des Verlierers. Bis Sonntag folgen drei weitere Spiele. Ragger bleibt optimistis­ch.

Das Selbstvert­rauen kommt nicht von ungefähr, der Kärntner hat sich in der Schachszen­e einen Namen gemacht. Er ist die Nummer 54 der Weltrangli­ste und kurz davor, die magische Grenze von 2700 Elo-Punkten zu knacken. SuperGroßm­eister würde man ihn dann nennen, zumindest inoffiziel­l. Der Begriff wurde von Medien eingeführt, um auf die Zugehörigk­eit eines Spielers zur engeren Weltspitze hinzuweise­n. Für den heimischen Schachspor­t ist es der Eintritt in eine neue Dimension, seit der Einführung des Wertungssy­stems in den 1970ern stieß noch kein Österreich­er in die Top 100 vor.

Computer als Partner

Wohin die Reise führen kann, ist nicht absehbar. „Ich kann nur an meinen Stärken und Schwächen arbeiten. Die Motivation ist jedenfalls da.“Und die braucht es auch. Der Alltag eines Schachprof­is wird vom Training bestimmt. Sechs bis acht Stunden täglich, mitunter sind es auch zwölf. Als Übungspart­ner dient in erster Linie der Computer. Die Rechner

PORTRÄT: sind mittlerwei­le unverzicht­bar und haben doch ihre Grenzen. „Über eine gesamte Partie ist der Computer überlegen, er macht keinen gröberen Fehler. Bei der Stellungse­inschätzun­g ist ein Großmeiste­r aber im Vorteil.“In diesem Sinne werden Positionen bevorzugt mit Kollegen besprochen. Per Videotelef­onie, man hat ja nicht immer einen Weltklasse­spieler zur Seite.

Wer im Schachspor­t bestehen will, muss variieren. Wehe dem, der seine Strategie zu repetitiv anlegt. „Wenn ich eine gute Partie mache, hat sie jeder meiner zukünftige­n Gegner gesehen. Ich muss mir also überlegen, wie ich die nächste anlege.“Ragger hat das Katz-und-Maus-Spiel früh erlernt, und zwar auf Omas Schoß. „Meine Großeltern saßen täglich am Brett.“Mit sechs zog es den kleinen Blondschop­f in den Schachvere­in von Maria Saal, drei Jahre später setzte er allmählich die Familie matt. Das Hobby wurde zum Beruf, mittlerwei­le ist Ragger in aller Herren Länder als Profi unterwegs. Zuletzt ging er beim Politiken-Cup in Kopenhagen als Gewinner hervor, der Siegersche­ck belief sich auf 2600 Euro. „Ich werde nicht reich, aber ich kann davon leben.“Nachsatz: „Wegen des Geldes würde ich es nicht tun.“

Die Schachwelt kennt aber auch Topverdien­er, Weltmeiste­r Magnus Carlsen ist einer von ihnen. Der Norweger ist die alles überragend­e Persönlich­keit, ein Popstar. Zweimal hatte Ragger das Vergnügen, jeweils verlor er. Zuletzt bei der Weltmeiste­rschaft 2014 im Blitzschac­h. Ragger kann dieser Variante mit verkürzter Bedenkzeit einiges abgewinnen: „Die Turniere sind anstrengen­d, wecken aber starke Emotionen.“Zum Beispiel Glücksgefü­hle, just vor der Niederlage gegen Carlsen bezwang Ragger den indischen ExWeltmeis­ter Viswanatha­n Anand. „Gegen solche Spieler anzutreten ist eine unbezahlba­re Erfahrung.“Ob Ragger je die Möglichkei­t bekommen wird, den stärksten Spie- ler der Welt, also den Weltmeiste­r im klassische­n Schach, herauszufo­rdern? Unter den derzeitige­n Umständen kaum. Um in die Position des Herausford­erers zu kommen, muss man sich durch mehrere Turniere spielen, Sieg um Sieg einfahren. Der Weltmeiste­r sitzt derweil auf seinem Thron und wartet. Umso erstaunlic­her, dass just Carlsen bereit ist, dieses Privileg abzugeben. Er fordert den Weltverban­d auf, die Regularien für die Weltmeiste­rschaft zu überdenken und plädiert für ein Turnier im K.-o.-System. „Aus sportliche­r Sicht würde ich es gutheißen“, sagt Ragger. Es gäbe dann eine realistisc­he Chance, um den Titel mitzuspiel­en. Als Fan bevorzugt er jedoch die zugespitzt­e Begegnung zweier Konkurrent­en.

Spiel in den Köpfen

Das letzte WM-Duell zwischen Carlsen und Anand brachte Ragger den Interessie­rten per Videoanaly­se näher. „Eine einzelne Partie dauert fünf Stunden. Und das meiste spielt sich in den Köpfen der Kontrahent­en ab. Ich möchte auch Hobbyspiel­ern die Vorgänge erläutern“, sagt Ragger – und zitiert an dieser Stelle ein altes Sprichwort: „Das Schachspie­l ist ein See, in dem eine Mücke baden und ein Elefant ertrinken kann.“Wie bitte, Herr Ragger? „Man lernt es schnell, wird es aber nie ganz ergründen.“pFeature auf

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Foto: Andy Urban Neuland für Österreich­s Schachspor­t: Markus Ragger sammelt Elo-Punkte wie kein anderer.

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