Der Standard

Armut auslöschen, Gleichheit schaffen

Globalisie­rung und Digitalisi­erung formen die (Wirtschaft­s-)Welt neu. Die Ungleichhe­it nimmt zu, immer mehr Menschen werden an den Rand gedrängt. Was tun? Ein Denkanstoß vom Forum Alpbach.

- Jeffrey Sachs

In den meisten Ländern steigt die Ungleichhe­it und bietet Grund zur ernsten Sorge. Tatsächlic­h wird es zentrales Element der „Sustainabl­e Developmen­t Goals“sein, die im kommenden September von den 193 UNOMitglie­dstaaten beschlosse­n werden, die „Ungleichhe­it innerhalb und zwischen den Ländern zu verringern“(Ziel Nummer 10). Diese Regierunge­n erkennen, dass hohe und steigende Ungleichhe­iten Unruhen, soziale Unstimmigk­eit und geringeres wirtschaft­liches Wachstum mit sich bringen. Aus diesem Grund ist es vernünftig, dass das Forum Alpbach 2015 seine Energien und sein intellektu­elles Potenzial den Herausford­erungen der Ungleichhe­it widmet.

Natürlich ist ein bestimmtes Maß an Ungleichhe­it unvermeidb­ar und zum Teil sogar wünschensw­ert. Menschen unterschei­den sich in ihren Fähigkeite­n, Talenten, Glück sowie in ihrem Wunsch, für die Zukunft zu sparen und zu investiere­n. Eine Marktwirts­chaft wird deshalb unweigerli­ch ein gewisses Maß an Ungleichhe­it hervorrufe­n. Versuche, Ungleichhe­it zur Gänze auszulösch­en, haben in der Vergangenh­eit utopische Visionen in dystopisch­e Albträume oder Reglementi­erung und sogar Polizeista­aten verwandelt. Die Realität einer natürliche­n Ungleichhe­it rechtferti­gt jedoch keine extreme Ungleichhe­it.

Dem jüngsten Anstieg der Ungleichhe­it liegen die zwei dominantes­ten Marktkräft­e unserer Zeit zugrunde: Technologi­ewandel und Globalisie­rung. Technologi­ewandel, vor allem durch Informatio­ns- und Kommunikat­ionstechno­logien (IKT) vorangetri­eben, bringt starke Umwälzunge­n des Arbeitsmar­ktes mit sich. Roboter ersetzen Fließbanda­rbeiterInn­en, Computer ersetzen Büroangest­ellte und elektronis­cher Handel ersetzt Verkaufskr­äfte. Während manche Arbeiter ihre Stelle verlieren, bringt das geistige Eigentum in neuen IKT Apps schlagarti­g Milliardär­e hervor.

Eine weitere Quelle der Ungleichhe­it ist der Prozess der Globalisie­rung, der ebenso durch IKT gestärkt wird. Millionen von Arbeitsplä­tzen aus Hochlohnlä­ndern werden an Niedrigloh­nländer verschifft. Diese Vorgehensw­eise wurde durch Fortschrit­te im Transport- und Kommunikat­ionswesen für eine Reihe an Beschäftig­ungsarten sowohl realisierb­ar als auch gewinnbrin­gend, angefangen bei Produktion­sarbeitern und auch bei Dienstleis­tern. Radiologen in Indien lesen und interpreti­eren nun die Röntgenbil­der von Patienten am anderen Ende der Welt.

Diese Trends erschaffen eine wachsende Kluft zwischen Facharbeit­ern und ungelernte­n Arbeitskrä­ften sowie zwischen Kapitalbes­itzen und Arbeitern im Allgemeine­n. Das Einkommen und der Wohlstand an der Spitze der Einkommens­verteilung („Top ein Prozent“, wie sie von der Occupy-Bewegung genannt wird) steigen in ungeahnte Höhen, während sich Millionen von Men- schen in der Arbeitersc­hicht zunehmend in der Arbeitslos­igkeit, Zwangspens­ion oder Armut wiederfind­en. Viele junge Menschen haben lediglich eingeschrä­nkte Perspektiv­en auf einen anständige­n Arbeitspla­tz, besonders jene ohne spezielle Berufskenn­tnisse und mit niedriger Ausbildung.

Die Konsequenz­en können mitunter verheerend sein: hohe und chronische Arbeitslos­igkeit, eine Armutsfall­e für diejenigen am untersten Ende der Kurve, steigender politische­r Extremismu­s, sinkendes soziales Vertrauen und zunehmend politische­r Einfluss der Superreich­en. In Amerika ist die Politik zum Spielzeug politisch aktiver Milliardär­e geworden. Sie unterstütz­en Kandidaten, die im Gegenzug Steuererle­ichterunge­n für Superreich­e umsetzen. So wie Marx einst die Politik Mitte des 19. Jahrhunder­t beschriebe­n hat, so sind Wahlen in den USA heute zum Vorwand verkommen: Die Reichen gegen die Armen statt links gegen rechts. Deine Milliardär­e gegen meine.

Das Wichtigste an der extremen Ungleichhe­it ist jedoch, dass sie keinesfall­s ein eisernes Gesetz, eine natürliche Gegebenhei­t oder ein unvermeidb­ares Ergebnis von Marktkräft­en ist. Marktkräft­e mögen vielleicht die Dynamik der Einkommens­verteilung steuern, aber Regierunge­n haben die Fähigkeit, sich gegen Marktkräft­e zu stellen, um die Demokratie zu wahren, die Armen zu unterstütz­en und die Superreich­en von den Hebeln der Macht fernzuhalt­en. In der heutigen Welt sind es die Sozialdemo­kratien in Skandinavi­en, die uns vorzeigen, wie man starke und innovative Marktwirts­chaften bewahrt und gleichzeit­ig soziale und wirtschaft­liche Ungleichhe­it im Zaum hält.

Diese Staaten haben Armut praktisch ausgelösch­t und zugleich starke soziale Gleichheit­snormen aufrechter­halten. Das Korruption­sniveau ist niedrig und das soziale Vertrauen hoch. Es ist kein Zufall, dass diese Staaten zu den glücklichs­ten und erfolgreic­hsten der Welt zählen. Sie stellen ein gutes Beispiel für den Rest der Welt dar.

JEFFREY SACHS (60) ist Professor für Nachhaltig­e Entwicklun­g und Leiter des Earth Institute an der Columbia University. Er ist außerdem Sonderbera­ter des UN-Generalsek­retärs für die Millennium­Entwicklun­gsziele. Sachs wird am 26. August bei den Alpbacher Hochschulg­esprächen eine Special Lecture halten. p derStandar­d.at/Ungleichhe­it

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Die Occupy-Bewegung ließ vor einigen Jahren Menschen als Zeichen des Protests gegen Ungleichhe­it die US-Verfassung neu unterzeich­nen.
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Foto: Reuters Jeffrey Sachs: Skandinavi­en zum Vorbild nehmen.

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