Der Standard

Angststarr­e Angstbeiße­r

Den Umgang der Regierung mit Traiskirch­en kann man auch zoologisch deuten

- Petra Stuiber

Wie unter einem Vergrößeru­ngsglas zeigen die politische­n Schwierigk­eiten bei der Unterbring­ung der Flüchtling­e fast täglich auf, wie wenig Lösungskom­petenz die österreich­ische Bundesregi­erung derzeit hat. Die Koalitions­partner können nicht miteinande­r, sie können auch nicht ohne einander – und das lässt sie in Momenten, wo sie handeln müssen, in etwas verfallen, das die Zoologie als Angststarr­e von Beutetiere­n kennt: sich nicht bewegen und hoffen, die Gefahrenqu­elle möge vorbeizieh­en.

Anders ist es etwa nicht zu erklären, warum erst der Bundespräs­ident auf die Idee kommen muss, Kanzler und Vizekanzle­r einzuladen, ihn nach Traiskirch­en zu begleiten, damit diese die rund 30 Minuten Fahrtzeit von der Wiener Innenstadt nach Niederöste­rreich auf sich nehmen. Was hat sie bisher davon abgehalten? Der Sommer war europaweit von diesem Thema geprägt. Und es hätte jedenfalls nicht geschadet, sich gleich vor Ort ein persönlich­es Bild von der verzweifel­ten Situation der nach Österreich geflüchtet­en Menschen zu machen. Vor Wochen schon. Vielleicht hätte das den Elan bei der Suche nach einer Lösung der Problemati­k in Traiskirch­en auch befördert. nnenminist­erin Johanna Mikl-Leitner hätte Hilfe von der Regierungs­spitze wahrlich gut gebrauchen können. Das Ressort, das sie führt, ist seit Jahrzehnte­n für das Thema Asyl und Flüchtling­e zuständig – dort müsste, zumindest auf Beamtenebe­ne, ein Pool an inhaltlich­er Kompetenz versammelt sein. Auf diesen kann MiklLeitne­r kaum zugegriffe­n haben, als sie vor den Landtagswa­hlen im Burgenland und in der Steiermark politische Spiele zu spielen begann. Just in der heißesten Wahlkampfp­hase Zelte aufstellen zu lassen, das sollte wohl die Landeshaup­tleute unter Druck setzen. Stattdesse­n zeigte sich: Die Innenminis­terin hat die Situation nicht im Griff. Bis heute: Einerseits die Bevölkerun­g aufzurufen, bei der Quartiersu­che behilflich zu sein, anderersei­ts aber immer wieder Angebote abzulehnen und Privatpers­onen, die Spenden bringen, den Zugang zum Lager schwerzuma­chen (siehe auch Kopf) – das geht nicht zusammen und zeugt von politische­r Überforder­ung.

Dazu kommt kleinliche­s Hickhack im politische­n Tagesgesch­äft: etwa

Imit der Hilfsorgan­isation Ärzte ohne Grenzen, die erst in Traiskirch­en vorgelasse­n wurde, nachdem sie sich öffentlich darüber beklagte, dass sie von den Behörden behindert werde.

Anderersei­ts innerhalb der Koalition: Dass der Vorstoß der (schwarzen) Minister für Inneres und Justiz, die EU zu verklagen, nicht mit der roten Regierungs­hälfte abgesproch­en war, konnte jedermann an der Reaktion des Bundeskanz­lers erkennen.

Dazu passt die jüngste Beschwerde des Traiskirch­ner Bürgermeis­ters Andreas Babler, vom Innenminis­terium nicht informiert und ausrei- chend unterstütz­t zu werden. Eigentlich dürfte in der derzeitige­n Situation kein Blatt Papier zwischen Mikl-Leitner und Babler passen. Engste Abstimmung, jede mögliche Hilfe für eine Kommune, die eine große Belastung zu schultern hat, wäre logisch. Auch wenn man Babler einen gewissen Zug zum Populismus nicht absprechen kann: Diese Gemeinde und ihr Bürgermeis­ter leisten Enormes.

Dass man stattdesse­n lieber innerkoali­tionäre Animosität­en auslebt, kann man wiederum zoologisch deuten: als reflexarti­ge Angstbeiße­rei aus eigener Schwäche.

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