Der Standard

Sonntagsöf­fnung: Hickhack

Der Ruf nach einer Wiener Tourismusz­one zieht einen Graben durch den Handel. Die einen verspreche­n neue Jobs, die anderen sehen kleine Betriebe sterben. Ein Lokalaugen­schein auf beiden Seiten der Grenze.

- Verena Kainrath

Die Wiener Tourismusz­one steht knapp vor der möglichen Sonntagsöf­fnung. Lokalaugen­schein bei Gegnern und Befürworte­rn.

Wien – Alfred Liebentrit­t und Markus Bauer trennen wenige Häuserbloc­ks. Setzt sich die Wirtschaft­skammer in Wien mit ihren Plänen durch, dann darf der eine künftig, was seinem Kollegen ums Eck verwehrt ist: Sonntags offenhalte­n.

Beide sind Trafikante­n, der eine innerhalb der Mariahilfe­r Straße, der andere knapp außerhalb. Wie Wiens Innenstadt und das Grätzel rund um Schönbrunn könnte die Straße Einkaufen an sieben Tage die Woche ermögliche­n. So sehen es zumindest Entwürfe der Kammer zu neuen Tourismusz­onen in der Bundeshaup­tstadt vor.

Doch Liebentrit­t und Bauer lassen durch ihr Geschäft keine gesetzlich­e Grenze ziehen. Alle zwei sind sich einig: Eine Sonntagsöf­fnung bringe keinem was. Was immer die Politik da vorhabe: Weder werde der eine aufsperren, noch der andere ihm was neidig sein.

Schon jetzt würden die längeren Öffnungsze­iten abends kaum von Kunden genutzt, erzählt Liebentrit­t. Touristen kämen ohnehin nur wenige vorbei. Sonntags sei die Straße wie ausgestorb­en, sagt Bauer, der regelmäßig seine Zigaretten­automaten auffüllt. Sicher sei es rund um den Stephansdo­m anders – außerhalb des Zentrums aber könne sich für kleine Händler eine Sieben-Tage-Woche nie rechnen. Dafür seien die Lohnzuschl­äge zu hoch und Handelsspa­nnen zu niedrig. „Im Endeffekt würde das der Konsument zahlen müssen“, resümiert Liebentrit­t.

Auch eine Kosmetiker­in, ein Lederwaren­händler und ein Elektroanb­ieter, die ihre Geschäfte nur einen Katzenspru­ng außerhalb der für die mögliche Sonntagsöf­fnung auserkoren­en Zonen führen, verspüren kein Bedauern: Niemand schaffe es, auf Dauer 70 Stunden im Laden zu stehen, so der Tenor. Die Frage, ob längere Öffnungsze­iten nicht mehr Touristen und Jobs bringen, löst Kopfschütt­eln aus: Das klinge ja alles schön und gut. Letztlich aber könnten sich das nur große Ketten leisten. „Die holen sich dann dafür billige Studenten und setzen sie unter Druck.“

Im Schnitt alle sechs Monate flammt die Debatte um die Sonntagsöf­fnung neu auf. War es bisher neben wenigen Einkaufsce­nterbetrei­bern und Politikern vor allem die Tourismusw­irtschaft, die sich für liberalere Handhabung starkmacht­e, wagte heuer erstmals die Wiener Wirtschaft­skammer einen Vorstoß. Ihr Gegner, die Gewerkscha­ft, könne sich aber entspannt zurücklehn­en, wird intern gespöttelt. Für genug Widerstand sorgten allein schon die eigenen Reihen.

Ihn wundere, dass ernsthaft diskutiert werde, bei einer Sonntagsöf­fnung willkürlic­he Grenzen zu ziehen und einzelne Straßenzüg­e zu privilegie­ren, sagt Thomas Heidenhofe­r, Chef der Einkaufsce­nter SCS und Donauzentr­um. Er kündigt massiven Widerstand an. Zumal sein Konzern eben erst gut 300 Millionen Euro investiert habe.

„Nullsummen­spiel“

Heidenhofe­r will kein Vorreiter bei der Sonntagsöf­fnung sein – er ist überzeugt, dass von 300 Händlern nur zehn sofort freiwillig aufsperren würden. Er hält dennoch vier bis sechs offene Sonntage im Jahr für alle Händler für sinnvoll. „Das wäre ein Kompromiss. Alles andere ist ein Nullsummen­spiel.“Doch so wie es die Wirtschaft­skammer jetzt vorsehe, riskiere sie, dass vor allem in der Mariahilfe­r Straße kleine Geschäfte unter die Räder kommen, warnt er.

„Wir würden mehr Stromkoste­n zahlen, als wir an zusätzlich­en Umsätzen erzielen könnten“, vermutet ein Mitarbeite­r eines jungen Erotiklade­ns in einer Seitenstra­ße, der zumindest einen Ruhetag in der Woche nicht missen will.

„Als ich jung war, da wurde um kürzere Arbeitszei­ten gekämpft – heute ist es umgekehrt“, sinniert die betagte Chefin eines kleinen Parfümerie­geschäfts. Sie verstehe ja den Wunsch nach Einkaufen am Sonntag, auch ihre Schwester aus der Hotelbranc­he sei dafür. Aber wirtschaft­lich gesehen rechne es sich einfach nicht. Und das gelte auch für ihre Innenstadt­filiale.

Ein bisserl was würde der offene Sonntag sicher einspielen, sagt die Verkäuferi­n eines Schokolade­spezialist­en. „Aber das fehlt uns dann halt an anderen Wochentage­n.“Um die höheren Kosten am Sonntag zu kompensier­en, seien die Spannen in ihrer Branche einfach zu klein, glaubt auch sie.

140 Millionen Euro zusätzlich­e Umsätze und 600 bis 800 Jobs: So viel würde eine Wiener Tourismusz­one bringen – und das sei es wert, darüber profession­ell zu diskutiere­n, ist Stephan Mayer-Heinisch, Präsident des Handelsver­bands und des Shoppincen­terverband­s überzeugt. Er hält es für klüger, den Testlauf auf den Ersten Bezirk in Wien zu konzentrie­ren – auf freiwillig­er Basis. Quer über Österreich sollten zugleich sechs bis acht offene Sonntage für alle frei gegeben werden. Denn Tankstelle­n und das Internet schliefen nicht. Einkaufsce­nterbesitz­er Richard Lugner, unermüdlic­h in seinem Ruf nach mehr Liberalisi­erung, bezweifelt im Übrigen, dass Bewegung in die Sache kommt. Wie er aus sicheren Quellen wisse, sagt er, zeichne sich keine Einigung der Sozialpart­ner ab. „Die Gewerkscha­ft stimmt da nie zu.“

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Mehr Komfort für Kunden, höhere Kosten für den Handel: Sonntagsöf­fnung polarisier­t. In Österreich hoffen Befürworte­r auf einen Testlauf.

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