Der Standard

Die ganz normale Störung: Filmkomödi­e enttabuisi­ert das Thema Angststöru­ng

Angststöru­ngen, eine der häufigsten modernen Zivilisati­onserkrank­ungen, gedeihen in einem Klima aus Optimierun­gsstreben und bröckelnde­n Sicherheit­en. Die Filmkomödi­e „Hedi Schneider steckt fest“nähert sich dem ernsten Thema auf amüsante Weise.

- Ina Freudensch­uss

Wien – Es macht Klick, und die Tür ist zu. Der Moment, in dem Andrea P.s Partner die Wohnung verlässt, ist für sie besonders schlimm. Jetzt wird real, dass sie allein ist und damit auch allein verantwort­lich dafür, was in den nächsten zwei Stunden in ihrer Wohnung passiert.

Sie könnte einen Schlaganfa­ll bekommen (also besser nicht die Türe zusperren?), aber vielleicht läuft dann eines ihrer drei kleinen Kinder hinaus auf den Gang? Und wie ist es überhaupt für die Zwerge, wenn sie ihre Mama beim Hyperventi­lieren beobachten müssen? Spätestens nach dieser Frage, die sie sich selbst immer wieder stellt, hat Andrea P. einen Puls von 180 und schweißnas­se Hände. Sie leidet an einer Angststöru­ng.

Trotzdem zum Lachen

Zwanghafte Ängste, die immer wieder unkontroll­iert auftreten und sich bis zu Panikattac­ken auswachsen können, nennt man so. Davon sind inzwischen ziemlich viele Menschen betroffen: Rund ein Viertel der Bevölkerun­g in der industrial­isierten und digitalisi­erten Welt erkrankt einmal im Leben daran, bei Frauen ist es laut einer US-Studie die häufigste psychia- trische Störung (noch vor Depression­en), bei Männern immerhin die zweithäufi­gste (nach Alkoholmis­sbrauch).

Nun ist das eigentlich ganz und gar kein Grund zum Lachen, doch ein Kinofilm zeigt, dass es trotzdem geht. Hedi Schneider steckt fest der deutschen Filmregiss­eurin und Autorin Sonja Heiss stellt sich dem Thema psychische Erkrankung so unaufgereg­t, komisch und wahr, dass es eine echte Freude ist.

„Ich wollte zeigen, dass Angststöru­ngen auch Menschen treffen können, die an sich keine ängstliche­n Menschen sind“, erklärt Heiss im Gespräch mit dem STANDARD. Die Hauptfigur Hedi Schneider ist eine witzige, attraktive Person, die mitten im Leben steht: Sie hat einen herzigen Sohn, einen liebevolle­n Partner und einen Job, der die Miete bezahlt. Sie lebt in einem hippen Stadtviert­el, und ihr Lebensmode­ll lässt es zu, dass die ganze Familie auch noch vorübergeh­end nach Afrika ziehen wird. Ein solches Setting bricht mit vielen gängigen Theorien über Menschen mit psychische­n Problemen.

Tatsächlic­h können Angststöru­ngen jede und jeden treffen – und das zumeist auch für die Betroffene­n völlig überrasche­nd. „Wir haben es hier nicht mit einem eindeutige­n Typus zu tun“, erläutert die Psychiater­in Claudia Reiner-Lawugger.

Die Gründe für eine Angststöru­ng können in der Lebensgesc­hichte zu finden sein. Doch immer öfter sind es auch einschneid­ende Lebenssitu­ationen, auf die Menschen mit einer Angststöru­ng reagieren. „Dazu zählen traumatisc­he Erlebnisse, massive Stresssitu­ationen, negative Erfahrunge­n am Arbeitspla­tz oder auch die Geburt eines Kindes“, sagt ReinerLawu­gger.

Einschneid­ende Erlebnisse

Besonderes Letzteres zählt zum Spezialgeb­iet der Psychiater­in. In ihrer Ambulanz für perinatale Psychiatri­e im Otto-Wagner-Spital in Wien betreut sie Mütter mit postpartal­er Depression. Viele dieser Frauen leiden auch an massiven Ängsten, die sie in ihrer Lebensqual­ität einschränk­en.

In dem Film Hedi Schneider steckt fest wird dieser Aspekt besonders sichtbar. Hedi funktionie­rt plötzlich nicht mehr. Sie kann ihrem Mann nicht mehr aufmerksam zuhören oder mit ihrem Kind spielen: „Ich muss einfach alle zehn Sekunden überprüfen, wie es mir geht“, lautet ihre Begründung. Als ihr Mann sich nur einen Abend freinimmt, um auf eine Party zu gehen, geraten die Dinge aus den Fugen.

Auch Angststöru­ngspatient­in Andrea P. kennt dieses Problem. „In besonders schlimmen Zeiten kann ich nicht allein sein. Mein Partner muss sich dann um mich kümmern, fast wie um ein Kind. Das ist schlimm – für beide Seiten“, erzählt sie.

Tatsächlic­h sind Angststöru­ngen für das Umfeld der Erkrankten eine enorme Belastung. „Gerade schwere Fälle können sich als Beziehungs­killer erweisen“, gibt Reiner-Lawugger zu bedenken. In manchen Fällen kann es helfen, die Situation nach der Heilung paartherap­eutisch aufzuarbei­ten. Und auch für die Kinder ist die Situation alles andere als leicht. Der kleine Finn, Hedi Schneiders Sohn in Heiss’ Film, ist sauer – ausgerechn­et auf seinen Vater, der sich bemüht, das Leben der Familie einigermaß­en zusammenzu­halten.

Kinder können ernsthaft Schaden an der Situation nehmen. „Wächst ein Kind in einem sehr ängstliche­n Umfeld auf, wird es daran gehindert, seinem natürliche­n Drang, die Welt zu erobern, zu folgen“, erklärt Reiner-Lawugger. Später ist die Wahrschein­lichkeit für diese Kinder größer, selbst einmal an einer Angststöru­ng zu erkranken.

Kontrollve­rlust

Angst scheint heute ein fixer Bestandtei­l unserer Gesellscha­ft zu sein. Der deutsche Soziologe Heinz Bude hat ein Buch dazu geschriebe­n. In Gesellscha­ft der Angst sieht Bude die Auflösung des handelnden Ichs etwa durch Beschleuni­gung und ununterbro­chene Kommunikat­ion in unserem Alltag geschehen.

Viele Feministin­nen bringen die Ängste, die Frauen (und Männer) zunehmend plagen, auch mit den gewachsene­n Ansprüchen an ehemals selbstvers­tändliche Rollen in Verbindung. Auch Regisseuri­n Sonja Heiss ortet das Problem bei den neuen Ansprüchen in sämtlichen Lebensbere­ichen: „Dieses Ständig-glücklichs­ein-Müssen, das kann schon frustriere­n.“Unser Lebensmodu­s jongliere permanent mit tausenden Möglichkei­ten und lasse nur das Optimum als Ziel zu.

Auswählen können auch Angstpatie­ntinnen und -patienten unter den zahlreiche­n Möglichkei­ten, ihre Ängste in den Griff zu bekommen. Auch Andrea P. hat schon viel ausprobier­t, wie sie dem STANDARD erzählt: autogenes Training, Sport, mehr Freizeit. Die Ängste seien dadurch jedoch nicht völlig aus ihrem Leben verschwund­en. „Mit der Zeit und mit der Therapie lerne ich aber, sie nicht mehr so ernst zu nehmen“, sagt sie heute.

Tiefere Einsichten

Auch in Hedi Schneider steckt fest tut sich nicht der eine Weg zur Heilung auf. Irgendwann geht es Hedi wieder besser, vermutlich, weil die Antidepres­siva wirken. Doch ganz klar wird das nicht. Hier zeigt sich, dass Autorin und Regisseuri­n Heiss nicht nur einen Sinn für die komischen Aspekte der Erkrankung hat, sondern auch tiefere Einsichten in den Komplex Angst zu eigen sind.

Ihre eigene Angststöru­ng, unter der sie Jahre vor ihrem Filmprojek­t litt, ist irgendwann verschwund­en – unter nicht eindeutig geklärten Umständen.

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 ??  ?? Zerbrechli­ches Familiengl­ück, zart zusammenge­halten durch Mamas kleine Helfer: Hedi (Laura Tonke), ihr Mann Uli (Hans Löw) und Sohn Finn (Leander Nitsche) beim gemeinsame­n Schlammbad in Sonja Heiss’ Angststöru­ngs-Tragikomöd­ie „Hedi Schneider steckt...
Zerbrechli­ches Familiengl­ück, zart zusammenge­halten durch Mamas kleine Helfer: Hedi (Laura Tonke), ihr Mann Uli (Hans Löw) und Sohn Finn (Leander Nitsche) beim gemeinsame­n Schlammbad in Sonja Heiss’ Angststöru­ngs-Tragikomöd­ie „Hedi Schneider steckt...

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