„Kreditbanken abschaffen“
Die EU-Länder schaffen aus eigener Kraft kein Wachstum, sagt der deutsche Ökonom Thomas Mayer, weil sie tote Banken und Staaten am Leben halten. Schuld sei ein Konstruktionsfehler im Geldsystem.
Thomas Mayer, Ex-Chefökonom der Deutschen Bank, über den fundamentalen Konstruktionsfehler im Geldsystem.
INTERVIEW: STANDARD: China hält die Weltwirtschaft in Atem. Was, wenn das Wachstum in China einbricht? Mayer: Es wird zu einer weltweiten Wachstumsdämpfung kommen, man könnte sagen: zu einer Wachstumsrezession. Das globale Wachstum wird sich im nächsten Jahr wohl knapp unter drei Prozent einpendeln. Und nicht über drei Prozent, die der Internationale Währungsfonds erwartet.
STANDARD: Da ändert auch die Yuan-Abwertung nichts? Sie soll ja die chinesische Wirtschaft stützen. Mayer: Im Gegenteil. Die Yuan-Abwertung ist Teil des Problems. Was wir in China jetzt gesehen haben, ist die dritte Welle der Finanzkrisen im Abschwung des Kreditzyklus’. Dieser hat 2007 gedreht: Davor hatten wir einen riesigen Aufschwung und eine enorme Expansion von Kredit und Verschuldung. Dann ist die Subprime-Blase geplatzt und – als erster Kulminationspunkt – Lehman pleitegegangen. Lehman war enorm gut vernetzt, alle Welt hatte amerikanische Hypotheken in den Büchern und war völlig unvorbereitet.
STANDARD: Die zweite Welle war die Eurokrise? Mayer: Genau: Diese wurde 2012 durch Draghis „whatever it takes“gestoppt. Und in China sehen wir wieder das gleiche: Platzen einer Kreditblase. Die Kredite wurden dort enorm ausgeweitet, in vielen Bereichen haben sich Preisblasen gebildet. Man wusste lange nicht, ob sie in China ein Problem sind. Die Yuan-Abwertung hat diese Spekulationen beendet. Damit hat sich China praktisch als Problemland geoutet. Die globalen Auswirkungen dürften aber geringer sein als bei Lehman. STANDARD: Aber die Fed steht vor einer Zinserhöhung. Kehrt zumindest in Amerika Normalität ein? Mayer: Die Fed hat enormes Interesse an einer Rückkehr zur Normalität. Sie haben die Zinsen auf Rekordtiefstände gesenkt und gigantische Mengen an Geld in die Wirtschaft gepumpt. Wenn die Fed nicht bald zur Normalität zurückkehrt, muss sie sich fragen, ob ihre Politik überhaupt wirkliche Erfolge gebracht hat. Aber: Wann immer sie die Zinswende vollziehen wollte, ist irgendein Ereignis dazwischengekommen. Es ist immer noch enorm schwierig, aus der Ausnahmesituation herauszukommen, da der Abschwung des Kreditzyklus’ noch nicht vorbei ist.
STANDARD: Also doch keine Zinswende im September? Mayer: Vermutlich wird sie verschoben. Dieses „Wollen aber nicht Können“wird weitergehen.
STANDARD: Geben die jüngsten starken BIPQuartalszahlen der USA der Fed nicht größeren Spielraum? Mayer: Hier kommt die Absurdität dieser Politik zum Ausdruck. Die Fed-Politik ist auf den Arbeitsmarkt fixiert, weil sich die Fed Anstöße der Beschäftigung auf die Inflation erwartet. Die Wirkungen der Geldpolitik sind global – die Politik reagiert aber auf regionale Indikatoren. Wenn die Fed auf den amerikanischen Arbeitsmarkt reagiert und dadurch der Weltwirtschaft schadet, schießt sie sich selbst ins Knie. Aus diesem Widerspruch kommt ja das „Wollen und nicht Können“.
STANDARD: Gibt es in den USA oder anderswo bedenkliche Preisbildungen an den Finanzmärkten? Mayer: Das Problem ist, dass Finanzmarktpreise weitgehend zentral gesteuert werden – über die Zentralbanken. Was an den Preisen fundamental gerechtfertigt ist, wissen wir nicht. Zentralbanken beeinflussen die Preisbildung im Aktien- und Immobilienmarkt über ihre Zinspolitik. Was wir haben, ist eine Finanz zentralver waltungs wirtschaft mit der Fed als wichtigster Planungsbehörde. China hat gezeigt, dass sie aber nicht die einzige Zentralbank ist, die Märkte beeinflusst: Neben der Peoples Bank of China sind EZB und Bank of Japan die weiteren großen Spieler.
STANDARD: Wie reagieren die Finanzmärkte auf Planungsunsicherheit – etwa wenn sie nicht wissen, wann die Zinswende kommt? Mayer: Im August ist die Volatilität der Preise enorm gestiegen. Es ist auf den Finanzmärkten ein bisschen wie „Kreml-Watching“zu Zeiten des Kalten Krieges. Alle schauen auf die Zentralbank.
STANDARD: Stehen die Zentralbanken im Abwertungswettlauf? Mayer: „Kalten Währungskrieg“habe ich das kürzlich genannt. Das läuft wie die Welle der Finanzkrisen durch: Erst haben die Amerikaner aggressive Währungspolitik gemacht – der Dollar fiel. Dann Japan – der Yen fiel. Als nächste die Europäer – der Euro fiel. Und jetzt die Chinesen mit dem Yuan. STANDARD: Wenn die Zinsen überall niedrig, die Schulden hoch, die Rohstoffe billig sind: Wie kann der Westen in diesem Umfeld noch aus eigener Kraft Wachstum erzeugen? Mayer: Das kann er nicht! Nach Lehman waren die Schwellenländer die globale Lokomotive. Jetzt ist auch dort der Dampfkessel geplatzt. Wir selbst kommen deshalb nicht in höheres, stabileres Wachstum, weil wir die gleichen Fehler wie die Japaner gemacht haben, als sie Ende der Achtziger auf die Blasenökonomie reagiert haben. Hier wie dort wollte man Schmerzen vermeiden, indem die Krise mit Niedrigzinsen und Staatsschulden abgefedert wurde.
STANDARD: Also Bankenrettungen und Konjunkturprogramme? Mayer: Genau: In Japan wurden nicht lebensfähige Banken und Unternehmen künstlich am Leben gehalten. Dadurch wurden notwendige Anpassungen der Wirtschaft verhindert. Europa hat das ähnlich gemacht. Amerika war ein bisschen radikaler und hat auch Pleiten zugelassen. Deshalb geht es den Amerikanern jetzt ein bisschen besser als den Europäern. Europa schleppt Pleite-Unternehmen, Banken und Staaten weiter.
STANDARD: Können neue Institutionen künftige Krisen verhindern? Mayer: Es gibt einen fundamentalen Konstruktionsfehler im Geldsystem. Wir produzieren Geld über die Kreditvergabe der Banken. Der Staat produziert das Geld über die Zentralbank, verteilt es an die Banken – und versucht, die Kreditvergabe mit Zentralbankpolitik und Regulierung ein bisschen zu steuern. Aber meist gelingt es ihm nicht. In diesem System gibt es immer eine Überproduktion von Geld, wodurch sich Blasen bilden.
STANDARD: Ginge das Geld in Realinvestitionen, würde das System funktionieren? Mayer: Es müsste in produktive Investitionen gehen. Gehen Sie jedoch zur Bank und sagen, dass Sie eine tolle Idee für ein Start-up haben – und fragen Sie nach einem Kredit. Da werden Sie nichts bekommen. Wenn Sie aber ein Haus bauen und ein bisschen eigenes Geld haben, dann wird die Bank Ihnen gern einen Kredit gewähren, wenn Sie das Haus als Sicherheit einsetzen. Durch diese Kreditvergabe fließt das Geld nicht dahin, wo es produktiv ist. So war es ja auch im großen Kreditaufschwung der 2000er-Jahre.
Eigentlich könnte man Kreditbanken abschaffen.
STANDARD: Wären stärkere Kapitalmärkte eine Lösung? Mayer: Ja. Nehmen sie Silicon Valley: Da finanzieren sich Unternehmen nicht über Kredite, sondern über Wagniskapitalfonds. Kreditbanken könnte man eigentlich abschaffen. Oder zumindest ihr Geschäftsmodell so ändern, dass sie nur Geld verleihen dürfen, das jemand bei ihnen eingelegt hat.
STANDARD: Aber Kapitalmärkte sind ja politisch problematisch: Da investieren immer Private, die dadurch ihr Vermögen erweitern ... Mayer: Bei Kreditbanken bekommen immer nur die Geld, die bereits Geld haben. Bedenken Sie das Beispiel von vorhin. Auf diese Weise entstehen viel größere Vermögensunterschiede. In Europa wird immer die Gier der Banker diskutiert – aber nie das Geldsystem.
THOMAS MAYER (61) war bis 2012 Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Zuvor war er unter anderem bei Goldman Sachs und dem IWF tätig. Nun leitet er das von ihm gegründete Forschungsinstitut Flossbach von Storch.