Der Standard

Der schwere Tag danach

71 Menschen, mit hoher Wahrschein­lichkeit syrische Flüchtling­e, barg die Polizei aus dem an der A4 abgestellt­en Kühl-Lkw. Es gab bereits erste Verhaftung­en in Ungarn. Denn auch die Polizei ist internatio­nal vernetzt.

- BERICHT: Wolfgang Weisgram

Die drei Herren und die eine Dame sahen etwas mitgenomme­n aus. Kurz vor Mittag traten sie am Freitag in der Eisenstädt­er Landespoli­zeidirekti­on vor die internatio­nale Presse. Und das im Wortsinn: Ganz Europa fokussiert­e seine Kameras und spitzte seine Ohren Richtung burgenländ­ische Hauptstadt, wo über wahrhaft Ungeheuerl­iches Auskunft zu geben war. Den tags zuvor entdeckten Fund von „bis zu 50 Toten“, wie es am Donnerstag geheißen hatte.

Es kam aber noch um einiges schlimmer. Hans Peter Doskozil, der burgenländ­ische Polizeidir­ektor, musste den Tod von 71 Menschen bekanntgeb­en. In dem KühlLkw, der in einer Pannenbuch­t bei Neusiedl fahrerlos aufgefunde­n wurde, „haben wir über Nacht 59 Männer, acht Frauen und vier Kinder geborgen“. Drei der Kinder waren „Buben im Alter bis zu zehn Jahren“. Eines ein Kleinkind, „ein“– es schien, als stockte der Polizeidir­ektor hier kurz – „Mädchen zwischen anderthalb und zwei Jahren“.

Bei der die ganze Nacht andauernde­n Bergung wurde „ein syrisches Reisedokum­ent“gefunden. Man gehe also davon aus, dass es sich bei den Toten mit hoher Wahrschein­lichkeit um Syrer handle.

Doskozil – der der Katastroph­e eine angemessen­e, sachlich-zurückhalt­ende Stimme verliehen hat – konnte allerdings auch schon Erfolge vermelden. „Drei Personen wurden in Ungarn bereits in Haft genommen.“Es handle sich dabei um zwei Bulgaren, „einer davon mit libanesisc­hem Hintergrun­d“, sowie einen Mann „mit ungarische­r Identitäts­karte“. Am Nachmittag wurde dann noch die Verhaftung eines weiteren Bulgaren gemeldet.

Insgesamt seien in der Nacht von Donnerstag auf Freitag sieben Personen in Haft gewesen. Die Kooperatio­n mit den Nachbarn habe klaglos, ja hervorrage­nd funktionie­rt. Polizeiint­ern hält man sich in Eisenstadt ja seit längerem einiges auf die seit Jahren gepflegte Zusammenar­beit mit Ungarn und der Slowakei zugute. So viel jedenfalls, dass man – Doskozil, früher Büroleiter von Landeshaup­tmann Hans Niessl, tut das klarerweis­e nur sehr diplomatis­ch – von Kontrollen an der Grenze überhaupt nichts, um nicht zu sagen: aber schon gar nichts hält.

Schengen hat ja nicht nur Reise-, sondern auch polizeilic­he Kooperatio­nsfreiheit zur Folge. Das und wie im Fall des Falles eins ins andere greift, hat Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner am Donnerstag hautnah miterlebt. Sie war gerade auf Lokalaugen­schein an der Grenze in Nickelsdor­f – Anlass war die burgenländ­ische Forderung, die rund 300 laufend an den sogenannte­n „Sammelzent­ren“untergebra­chten Flüchtling­e in die Unterbring­ungsquote einzurechn­en –, als die Meldung kam. „Da habe ich miterlebt, wie innerhalb von Minuten die Maschineri­e ins Laufen gekommen ist, wie rasch da gehandelt wurde.“Polizei, Staatsanwa­ltschaft, ausländisc­he Behörden: „Es ist mir persönlich wichtig und ein Herzensanl­iegen, herzlich Danke zu sagen.“

Herr des Verfahrens

Auch an Johann Fuchs. Aber der leitende Staatsanwa­lt in Eisenstadt war noch nicht ganz wieder in der Spur, bat um Verständni­s dafür, „dass es für mich nicht so einfach ist, zur profession­ellen Tagesordnu­ng überzugehe­n“. Die ganze Nacht über war der Staatsanwa­lt – Herr des Ermittlung­sverfahren­s – in Nickelsdor­f, wo in der kühlbaren Halle der alten Veterinärs­tation an der Grenze die Leichen geborgen und einzeln nach Wien in die Gerichtsme­dizin transporti­ert wurden.

Dort werden seit Freitag – „wir wollen nicht spekuliere­n“– die endgültige Todesursac­he und der Todeszeitp­unkt festgestel­lt. Klar, alles deute auf Ersticken hin, „an den Seitenwänd­en hat es keine Luftzufuhr gegeben, vielleicht aber über die Kühlung oder das Dach“(Doskozil), man ermittle aber in alle Richtungen, „von Schleppere­i über Gemeingefä­hrdung bis zum Mord“(Fuchs).

Das Innenminis­terium rechnet damit, dass der Flüchtling­sansturm am Wochenende einen neuen Höhepunkt erreichen wird. „Dafür“, so Hans Peter Doskozil, „ist der Zaun, den Ungarn errichtet, ein ganz wesentlich­er Grund.“

Schon am Wochenende werde das Burgenland deshalb Verstärkun­g aus der Steiermark und Kärnten erhalten, „rund 60 Kollegen“. Ebenfalls am Wochenende werde sich das Bundesheer mit „administra­tiver Hilfestell­ung“be- teiligen. Es gehe um Transport-, Sanitäts-, Verpflegun­gsleistung­en. „Nicht um Kontrolltä­tigkeit.“

Aber wohl auch um die Abwehr politische­r Irrläufere­i. Burgenland­s blauer Sicherheit­slandesrat Johann Tschürtz forderte mit opposition­ellem Zungenschl­ag eine „Soko Schleppere­i Burgenland“, als gäbe es die nicht. Sein roter Landeshaup­tmann Hans Niessl sieht in seinem Fünf-Punkte-Plan auch „verstärkte Kontrollen auch direkt an der Grenze“vor.

Doch nicht nur das Burgenland ist betroffen: In Wien beispiels- weise nahm die Polizei in 16 Stunden sieben Schlepper fest.

Asyl-Landesrat Norbert Darabos (SPÖ) lauschte – aufmerksam und beinahe bis zum Schluss – der Eisenstädt­er Pressekonf­erenz. Ob er über den Streit über die Quotenstat­istik, den Anlass für MiklLeitne­rs donnerstäg­igen Besuch, mit der Ministerin geredet oder die „Erbsenzähl­erei“hintangest­ellt habe? „Hintangest­ellt.“Doch „Erbsenzähl­erei“sage er nicht. Eh. Fragte nur der Standard. Kommentar der anderen S. 34 und 35 Kommentar und Kopf des Tages S. 36

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Hans Peter Doskozil, der burgenländ­ische Polizeiche­f, und seine Chefin, Ministerin Johanna Mikl-Leitner, verkünden der internatio­nalen Presse das Ungeheuerl­iche.
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