Schlepperprozess: 54 Flüchtlinge auf acht Quadratmetern
Ein 51-jähriger Bulgare wurde in Korneuburg zu drei Jahren unbedingter Haft verurteilt – und sieht sich auch als Opfer
Wissen Sie, wie viel Platz jeder Flüchtling hatte?“, fragt Helmut Neumar, Vorsitzender des Schöffensenats, den Angeklagten – und hält zwei Din-A4-Blätter nebeneinander in die Luft. Der Angesprochene, ein 51-jähriger Bulgare, schweigt.
Am 14. Juli wurde der Mann mit seinem Kleintransporter auf der Ostautobahn gestoppt. Im Lade- raum waren auf acht Quadratmetern 24 Männer, zwölf Frauen und 18 Kinder zusammengepfercht. Insgesamt also 54 Menschen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan.
„Das ist ärger als jeder Viehtransport“, empört sich Neumar – und liest Aussagen der Flüchtlinge vor. Stundenlang sei man ohne Pause in dem heißen und stickigen Gefährt gewesen. Manche haben ihre Notdurft während der Fahrt verrichtet, einer hat Fenster- putzmittel, das er im Inneren gefunden hatte, getrunken, da es kein Wasser gab. Von Schlägen und Tritten ist die Rede.
Faktisch bekennt sich der Angeklagte schuldig – stellt sich aber als Opfer dar. Er sei arbeitslos gewesen, in seiner Heimat sei er von einem Mann angesprochen worden, der ihm „viel Arbeit“in Ungarn versprach. Es sollte um Gepäcktransport gehen, behauptet er.
In Budapest traf er einen anderen Mann, der ihn schließlich zum Transporter führte und zu einem Waldstück dirigierte. „Das war offenbar eine Falle“, sagt der Angeklagte, denn erst dort habe er erkannt, dass er Flüchtlinge nach Regensburg transportieren sollte.
Dass es so viele seien, habe er nicht gewusst: „Ich habe gedacht, es sind neun bis zehn.“Bei der Polizei hatte er noch anders ausgesagt: Er habe in den Rückspiegel geschaut und gesehen, dass „sehr viele Leute“einstiegen.
300 Euro Lohn und 200 Euro Fahrtkosten habe er verlangt und bekommen. „Da haben Sie sich eh schnell angepasst, wenn Sie vorher nicht wussten, dass es um Schlepperei geht“, hält ihm Neumar vor. „Ich hatte keine Wahl, ich hatte ja keinen Groschen, und meine Frau ist krank“, redet sich der Angeklagte heraus.
Nach einer halben Stunde klopfte es laut, der Angeklagte hielt auf dem Pannenstreifen. Seine Beifahrer seien ausgestiegen und hätten nachgeschaut und dann eine bewusstlose Frau aus dem Inneren gehoben.
„Sie haben es nicht für wert empfunden, Ihren Allerwertesten zu heben und selbst nachzusehen?“, fragt Neumar mit kaum unterdrücktem Zorn. „Ich hatte Angst“, hört er. „Kennen Sie die Statuen von den drei Affen? Die nichts hören, nichts sehen und nichts sagen?“, kann sich der Vorsitzende nicht verkneifen. Kennt der Angeklagte nicht.
Er habe dann einem Beifahrer Mund-zu-Mund-Beatmung aufgetragen. Dass auch ein junger Mann wegen Sauerstoffmangels ohnmächtig geworden ist, will er nicht bemerkt haben – ebenso wenig, dass die Flüchtlinge in ihrer Verzweiflung schon die Dichtungen herausgerissen hatten, um Luft zu bekommen.
Zugute hält er sich, an einer Raststätte gehalten zu haben, wo zwölf Flaschen Wasser gekauft wurden. „Und dann haben wir die Tür zugemacht und sind munter weitergefahren?“, ist Neumar fassungslos. „Das war nicht ich, das war einer der Begleiter.“Erst bei Mannswörth wurden sie gestoppt.
„Machen Sie für 500 Euro eigentlich alles, was man Ihnen anschafft?“– „Nein.“– „Haben Sie gestern ferngesehen?“– „Ja.“– „Wissen Sie, was passiert ist?“– „Ich habe mitbekommen, dass es einen Unfall oder Mord an Flüchtlingen gegeben hat.“– „Bei Ihnen war es nur Zufall oder Glück, dass es keine Toten gab.“– „Ich danke Gott dafür.“
Der Senat verhängt über den Unbescholtenen rechtskräftig drei Jahre unbedingte Haft.