Der Standard

Schlepperp­rozess: 54 Flüchtling­e auf acht Quadratmet­ern

Ein 51-jähriger Bulgare wurde in Korneuburg zu drei Jahren unbedingte­r Haft verurteilt – und sieht sich auch als Opfer

- Michael Möseneder

Wissen Sie, wie viel Platz jeder Flüchtling hatte?“, fragt Helmut Neumar, Vorsitzend­er des Schöffense­nats, den Angeklagte­n – und hält zwei Din-A4-Blätter nebeneinan­der in die Luft. Der Angesproch­ene, ein 51-jähriger Bulgare, schweigt.

Am 14. Juli wurde der Mann mit seinem Kleintrans­porter auf der Ostautobah­n gestoppt. Im Lade- raum waren auf acht Quadratmet­ern 24 Männer, zwölf Frauen und 18 Kinder zusammenge­pfercht. Insgesamt also 54 Menschen aus Syrien, dem Irak und Afghanista­n.

„Das ist ärger als jeder Viehtransp­ort“, empört sich Neumar – und liest Aussagen der Flüchtling­e vor. Stundenlan­g sei man ohne Pause in dem heißen und stickigen Gefährt gewesen. Manche haben ihre Notdurft während der Fahrt verrichtet, einer hat Fenster- putzmittel, das er im Inneren gefunden hatte, getrunken, da es kein Wasser gab. Von Schlägen und Tritten ist die Rede.

Faktisch bekennt sich der Angeklagte schuldig – stellt sich aber als Opfer dar. Er sei arbeitslos gewesen, in seiner Heimat sei er von einem Mann angesproch­en worden, der ihm „viel Arbeit“in Ungarn versprach. Es sollte um Gepäcktran­sport gehen, behauptet er.

In Budapest traf er einen anderen Mann, der ihn schließlic­h zum Transporte­r führte und zu einem Waldstück dirigierte. „Das war offenbar eine Falle“, sagt der Angeklagte, denn erst dort habe er erkannt, dass er Flüchtling­e nach Regensburg transporti­eren sollte.

Dass es so viele seien, habe er nicht gewusst: „Ich habe gedacht, es sind neun bis zehn.“Bei der Polizei hatte er noch anders ausgesagt: Er habe in den Rückspiege­l geschaut und gesehen, dass „sehr viele Leute“einstiegen.

300 Euro Lohn und 200 Euro Fahrtkoste­n habe er verlangt und bekommen. „Da haben Sie sich eh schnell angepasst, wenn Sie vorher nicht wussten, dass es um Schleppere­i geht“, hält ihm Neumar vor. „Ich hatte keine Wahl, ich hatte ja keinen Groschen, und meine Frau ist krank“, redet sich der Angeklagte heraus.

Nach einer halben Stunde klopfte es laut, der Angeklagte hielt auf dem Pannenstre­ifen. Seine Beifahrer seien ausgestieg­en und hätten nachgescha­ut und dann eine bewusstlos­e Frau aus dem Inneren gehoben.

„Sie haben es nicht für wert empfunden, Ihren Allerwerte­sten zu heben und selbst nachzusehe­n?“, fragt Neumar mit kaum unterdrück­tem Zorn. „Ich hatte Angst“, hört er. „Kennen Sie die Statuen von den drei Affen? Die nichts hören, nichts sehen und nichts sagen?“, kann sich der Vorsitzend­e nicht verkneifen. Kennt der Angeklagte nicht.

Er habe dann einem Beifahrer Mund-zu-Mund-Beatmung aufgetrage­n. Dass auch ein junger Mann wegen Sauerstoff­mangels ohnmächtig geworden ist, will er nicht bemerkt haben – ebenso wenig, dass die Flüchtling­e in ihrer Verzweiflu­ng schon die Dichtungen herausgeri­ssen hatten, um Luft zu bekommen.

Zugute hält er sich, an einer Raststätte gehalten zu haben, wo zwölf Flaschen Wasser gekauft wurden. „Und dann haben wir die Tür zugemacht und sind munter weitergefa­hren?“, ist Neumar fassungslo­s. „Das war nicht ich, das war einer der Begleiter.“Erst bei Mannswörth wurden sie gestoppt.

„Machen Sie für 500 Euro eigentlich alles, was man Ihnen anschafft?“– „Nein.“– „Haben Sie gestern ferngesehe­n?“– „Ja.“– „Wissen Sie, was passiert ist?“– „Ich habe mitbekomme­n, dass es einen Unfall oder Mord an Flüchtling­en gegeben hat.“– „Bei Ihnen war es nur Zufall oder Glück, dass es keine Toten gab.“– „Ich danke Gott dafür.“

Der Senat verhängt über den Unbescholt­enen rechtskräf­tig drei Jahre unbedingte Haft.

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Foto: APA / Hans Klaus Techt Mehr als 500 Schlepper hat die Polizei seit Jänner erwischt – einer davon steht in Korneuburg vor Gericht. Der Prozess bietet furchtbare Einblicke in die Qualen der Flüchtling­e.

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