„Brauchen Liste sicherer Drittstaaten“
Der EU-Kommissar für Erweiterungsverhandlungen, Johannes Hahn, fordert, dass die Idee der Kommission, eine EU-weite einheitliche Liste der sicheren Drittstaaten zu erstellen, von den Mitgliedstaaten endlich akzeptiert wird.
Standard: Das Flüchtlingsthema hat die Westbalkankonferenz dominiert. Wie soll die EU vorgehen? Hahn: Seit den türkischen Wahlen haben wir eine Zunahme an Flüchtlingen, weil die innenpolitische Situation unklar ist und alle Parteien auf die Wahlen fokussiert sind. In Griechenland ist die innenpolitische Situation ja auch nicht gerade klar. Das sind zwei neuralgische Länder. Wir haben vonseiten der Kommission den Griechen hinreichend Unterstützung angeboten und geliefert, damit die Außengrenzen geschützt werden. Das ist von einer Dimension, bei der man fairerweise ein einzelnes Land nicht alleine lassen kann, aber rein rechtlich müssen sie jetzt Verantwortung übernehmen.
Standard: Es gibt an der mazedonischen Grenze niemanden, der hilft, den Flüchtlingen zu sagen, wo sie sich registrieren lassen können. Hahn: Deshalb geht es nun darum, dass wir die Flüchtlinge in Griechenland und in Italien in Empfang nehmen und noch dort registrieren. Das ist die Idee der Hot Spots. Die Kommission hat bereits vor neun Jahren eine einheitliche Liste von sicheren Drittstaaten EU-weit vorgeschlagen. Damals haben die Mitgliedstaaten gesagt, dass das eine unzulängliche Einmischung in ihre Souveränität sei.
Standard: Die stellen sich noch immer quer gegen so eine Liste. Hahn: Deswegen ist mir gestern ein wenig die Galle übergegangen, dass sich einige EU-Staaten, die gerade nicht betroffen sind, wegducken. Ich kann mich auch erinnern, dass in Teilen Mitteleuropas die Aufregung nicht so groß war, als wir im Mittelmeer die Probleme hatten und als man nun auf die Entwicklung auf dem Westbalkan hingewiesen hat, haben die am Mittelmeer sich wieder auf den Schlips getreten gefühlt. Fakt ist jedenfalls, dass es Grundvoraussetzung ist, dass wir eine einheitliche Beurteilung hinsichtlich der sicheren Drittstaaten haben müssen und auch eine einheitliche Anwendung. Ich höre etwa, dass in Deutschland einzelne Bundesländer unterschiedlich beurteilen, ob der Kosovo ein sicherer Drittstaat ist. Für derartige Probleme kann nicht die gesamte EU verantwortlich gemacht werden.
Standard: Wie könnte man aber auf dem Balkan eine bessere Koordination erreichen? Hahn: Wir helfen der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien (Fyrom) und Serbien. Wir haben dieser Tage zusätzliche Finanzmittel freigegeben. Aber das ändert nichts daran, dass Griechenland sich im Rahmen des Möglichen bemühen sollte. Eigentlich muss man das Thema an der Außengrenze ansprechen.
Standard: Griechenland blockiert die EU-Integration von Mazedo-
INTERVIEW: nien. Kann man das aufbrechen? Hahn: Es haben mittlerweile alle verstanden, dass wir gewissermaßen mitverantwortlich sind, weil es nicht gelungen ist, dies zu überwinden. Aber zunächst müssen die Mazedonier jetzt Reformen liefern. Unter unserer Vermittlung wurde ein umfangreiches Reformpaket beschlossen, dass hoffentlich auch dazu beitragen wird, die jahrelange politische Krise zu überwinden. Die Umsetzung des Reformpakets ist die Voraussetzung dafür, dass man über die eventuelle Aufnahme von konkreten Beitrittsverhandlungen überhaupt sprechen kann. Parallel dazu werden sich hoffentlich die Nebelschleier in Griechenland lüften. Wir machen auch neue Grenzübergänge zwischen Griechenland und Fyrom. Da brauchen sie ja auch uns, weil die beiden aufgrund des Namensstreits keine Staatsverträge abschließen können. Es gibt aber auch Fortschritte: Bei den Schlussfolgerungen des Westbalkangipfels haben die Balkanstaaten unterschrieben, dass sie sich gegenseitig auf dem Weg in die EU nicht behindern werden. Das wäre noch vor einem Jahr undenkbar gewesen.
Standard: Wann starten die EUVerhandlungen mit Serbien? Hahn: Ich war schon vor der Einigung zum Kosovo zuversichtlich. Jetzt ist es aber noch leichter. Rein technisch können wir bis Jahresende Kapitel 35 (Sonstiges) und dann 32 (Finanzkontrolle) öffnen. Ich möchte auch, dass dann schon klar ist, wann wir die Kapitel 23 und 24, die die Rechtsstaatlichkeit betreffen, aufmachen können.
Standard: Russland meldet sich immer wieder auf dem Balkan zu Wort. Wie sehen Sie das? Hahn: Ehrlich gesagt ist mein Befund, dass es wieder ruhiger geworden. Das gesamte russische Investment in Serbien liegt bei 4,5 Prozent und das von Österreich z. B. liegt bei 18 Prozent. Und wir haben gerade am Westbalkangipfel das grüne Licht für prioritäre Infrastrukturprojekte im Bereich Verkehr und Energie gegeben. Standard: Deswegen verhandelt man das Energiekapitel prioritär? Hahn: Ja natürlich. Die Achillesferse Europas ist die Abhängigkeit von Rohstoffen, das betrifft sowohl Öl und Gas als auch die seltenen Erden. Wenn man sich die europäische Handelsbilanz ansieht, so hätten wir ohne diese Handelsbilanz einen gigantischen Überschuss, aber durch die Rohstoffe rutschen wir ins Minus. Durch den niedrigen Ölpreis sind wir zurzeit ausgeglichen. Auf dem Balkan forciere ich deshalb ganz besonders die erneuerbare Energie – insbesondere Wasserkraft.
Standard: In Bosnien-Herzegowina fordert die EU, dass Geld von Internationalen Geldgebern nur gegeben wird, wenn Reformen gemacht werden. Ist das ein Modell? Hahn: Das ist mein genereller Ansatz und ich arbeite da auch an einer Vereinbarung mit den wesentlichen Finanzinstitutionen, EIB, EBRD, Weltbank und Internationalen Währungsfonds. Bosnien-Herzegowina braucht jährlich 900 Millionen Euro, und 80 Prozent kommen von diesen Institutionen und der EU-Kommission. Es geht darum, dass die Anreize und Bedingungen zusammengeführt werden.
JOHANNES HAHN (57) ist seit 2010 EU-Kommissar, zunächst für Regionalpolitik nun für Nachbarschaftspolitik. Der Jurist war zuvor in Österreich Wissenschaftsminister der ÖVP.