Der Standard

Ein Krieg venezolani­scher Militärkar­telle

Venezuela schließt die heiße Grenze zu Kolumbien. Dahinter stecken mafiös-politische Interessen, die nun einen Konflikt zu entfachen drohen. Die Leidtragen­den sind vorerst hunderte Kolumbiane­r, die in einer Blitzaktio­n aus Venezuela vertrieben wurden.

- Sandra Weiss

Caracas/Puebla – Menschen, die mit allerletzt­er Kraft ihr Hab und Gut über die Grenzbrück­e schleppen. Schwerbewa­ffnete Soldaten, die die Häuser der Fortgejagt­en mit einem „D“markieren – für „demolir“, also Abriss. Szenen, die sich seit einer Woche an der Grenze zwischen Kolumbien und Venezuela abspielen. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro nahm eine Attacke auf venezolani­sche Grenzsolda­ten zum Vorwand für die Schließung von 100 Kilometern Grenze und Massenabsc­hiebungen illegal eingewande­rter Kolumbiane­r. Venezuela müsse sich gegen die Infiltrati­on rechter Paramilitä­rs aus Kolumbien schützen, die seine Regierung destabilis­ieren wollten, erklärte er. Außerdem würden die Kolumbiane­r die Wirtschaft und das Sozialsyst­em Venezuelas in den Ruin treiben.

In Venezuela stammen rund fünf der 30 Millionen Einwandere­r aus Kolumbien. Die meisten kamen während des venezolani- schen Erdölbooms in den 1970ern oder auf dem Höhepunkt des kolumbiani­schen Bürgerkrie­gs in den 1990er-Jahren und wurden unter Hugo Chávez legalisier­t. Eine jüngere Einwanderu­ngswelle brachte vor allem Schmuggler und Kriminelle, die an dem Preisgefäl­le zwischen den Ländern Millionen verdienen. Im sozialisti­schen Venezuela gelten für Grundnahru­ngsmittel Mindestpre­ise, auch Benzin ist spottbilli­g.

Hals über Kopf

Hunderte der rund 2000 Ausgewiese­nen strandeten inzwischen in der Grenzstadt Cúcuta, wo die kolumbiani­sche Regierung Auffanglag­er einrichtet­e. Leute wie Luis José Avendaño, der in einem der Lager der BBC Rede und Antwort stand. Sein Lebenslauf ist typisch kolumbiani­sch: Während des Bürgerkrie­gs in den 1990erJahr­en musste er Hals über Kopf aus seinem Heimatdorf fliehen, nachdem Aufständis­che seinen Vater erschossen hatten. Auch seine neue Bleibe in der Region Cé- sar wurde bald überfallen – diesmal von rechten Paramilitä­rs. Daraufhin sei er über die grüne Grenze nach Venezuela gegangen, erzählte der Bauer. Mehrere Male habe er in den vergangene­n 16 Jahren versucht, dort reguläre Aufenthalt­spapiere zu bekommen, sei aber immer von den Behörden vertröstet worden.

Vergangene­n Sonntag früh überrascht­en ihn venezolani­sche Soldaten beim Zähneputze­n und wiesen ihn an, innerhalb von zehn Minuten zu verschwind­en. „Ich konnte nicht viel mehr mitnehmen als das, was ich am Leib trug.“

Die Grenzregio­n ist ein heißes Pflaster. Rechte Paramilitä­rs, linke Guerillero­s, Drogenmafi­a und Schmuggler bewegen sich dort relativ frei. Hintergrun­d für die aktuelle Eskalation ist laut der spanischen Zeitung ABC eine Abrechnung venezolani­scher Mafiagrupp­en. Recherchen der Zeitung zufolge hatten die drei bei der Attacke verletzten Grenzsolda­ten zwei Tage zuvor einen Geländewag­en angehalten, der von zwei Offizieren der venezolani­schen Nationalga­rde gefahren wurde. Bei der Durchsuchu­ng wurden Drogen und drei Millionen US-Dollar in bar sichergest­ellt. „Das ist ein Krieg venezolani­scher Militärkar­telle“, schrieb ABC.

Der Konflikt kommt Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro wie gerufen. Er hat aufgrund von Korruption­sskandalen und Wirtschaft­skrise an Rückhalt verloren und versucht, vor den Parlaments­wahlen im Dezember Boden gut zu machen. In Kolumbien wiederum gibt es rechtsextr­eme Kräfte, die an einer Verschlech­terung der Beziehunge­n interessie­rt sind, um die Friedensge­spräche zu diskrediti­eren, die Präsident Juan Manuel Santos mit der linken Farc-Guerilla führt. Am 25. Oktober finden in dem Land Regionalwa­hlen statt, die rechte Partei von Expräsiden­t Álvaro Uribe Vélez schneidet in den Umfragen bisher nicht allzu gut ab.

Internatio­nale Besorgnis

Die Schließung der Grenze schadet auch kolumbiani­schen Exporteure­n, deren wichtigste­r Außenhande­lspartner Venezuela ist. Die Organisati­on Amerikanis­cher Staaten ( OAS) zeigte sich angesichts der Eskalation besorgt und versuchte, zwischen den Parteien zu vermitteln. Ein erstes Treffen der beiden Außenminis­terinnen ergab zwar eine verbale Entspannun­g, die Grenze blieb jedoch vorerst weiter geschlosse­n.

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worden waren, blieben nur spärliche Reste ihre Häuser zurück.
Von vielen Kolumbiane­rn, die diese Woche aus Venezuela vertrieben worden waren, blieben nur spärliche Reste ihre Häuser zurück.

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