Der Standard

Elende Tage im Depro-Land

Eskapismus, bitte warten: Street-Art-Künstler Banksy hat in einem englischen Küstenstäd­tchen sein „Dismaland“eröffnet. Ein trister Vergnügung­spark als sarkastisc­her Kommentar zur Welt.

- Anita Moser aus Weston-super-Mare

REPORTAGE: Bristol? Wer außer ein paar eingefleis­chten Trip-Hop-Fans kannte den Ort bis vor wenigen Jahren als aufstreben­de Kulturstad­t? Genauer gesagt bis 2009, als dem BristolMus­eum in einer Guerilla-Aktion eine umfassende Bansky-Ausstellun­g beschert wurde, die binnen sechs Wochen über 300.000 Besucher anzog und das Image der Hafenstadt massiv verändern sollte?

Ereilt Weston-super-Mare nun ein ähnliches Schicksal? Die Glanzzeite­n als mondänes Seebad hat der 70.000-Einwohner-Ort in North Somerset längst hinter sich. Seit einer Woche allerdings wartet die Stadt fünf Wochen lang mit einer für Aufregung sorgenden Überraschu­ng auf. Der legendäre Street-Art-Künstler Bansky lud rund 50 internatio­nale Künstlerin­nen und Künstler – darunter Stars wie Jenny Holzer und Damien Hirst – ins abgewrackt­e „Tropical“ein. Im einst größten Freiluftsc­hwimmbad Europas sollten sie mit ihm ein ernüchtern­des Anti-Disneyland kreieren: den Dismaland Bemusement Park.

Mit diesem Event sei ein Traum für ihn wahr geworden, schreibt Banksy im Programmhe­ft. Jedoch frage er sich, ob er vielleicht einen weniger unheimlich­en Traum hätte wählen sollen. Es ist wahrlich „dismal“, deprimiere­nd und trostlos, was sich am regennasse­n Strand von Weston-super-Mare – in unmittelba­rer Nachbarsch­aft eines traurigen Sandskulpt­urenFestiv­als, eines Esel-Reithofs ohne Besucher und des öden Ver- gnügungspa­rks Grand Pier – entdecken lässt.

Nach mehr als einer Stunde Warten unter freiem Himmel – selbstvers­tändlich schüttete es dabei passend zur bevorstehe­nden Tristesse wie aus Kübeln – wird man rüde durch Bill Barminskis Flughafen-Sicherheit­ssystem aus Pappmaché geschleust, mit einem strengen „Lachen Sie nicht, kooperiere­n Sie gefälligst und öffnen Sie die Tasche!“angefahren und dem durchaus ernst gemeinten Wunsch „have a miserable day“in den Bemusement Park entlassen.

Abgehalfte­rte Schießbude

Dort bilden sich schon wieder geduldig wartende Grüppchen vor den Räumen mit „der besten Sammlung zeitgenöss­ischer Kunst, die je in einem North-Somerset-Küstenort gezeigt wurde“– darunter politische und andere Katastroph­en thematisie­rende Arbeiten der schottisch­en Künstlerin Caroline McCarthy, von Huda Beydoun aus Saudi-Arabien oder des Syrers Tammam Azzam.

David Shrigleys abgehalfte­rte Schießbude, wo mit kaputten Tischtenni­sbällen ein Amboss abgeschoss­en werden soll, ein Karussell, dessen Pferde die Verarbeitu­ng zu Lasagne droht, ein wasserspei­ender nordirisch­er Polizeipan­zer mit Kinderruts­che, käuflich zu erwerbende pechschwar­ze Luftballon­s mit „Ich bin ein Idiot“Aufschrift, ein Open-Air-Kino oder Sinnsprüch­e wie „Bankrupt is the New Awesome“ziehen das durchmisch­te Publikum, laute Familienau­sflügler wie abgeklärte Kunstsinni­ge, in ihren Bann. Die übel gelaunten Mickymäuse, die nicht nur mit den rosa „Dismal“Jacken, sondern ihrem ganzen Gehabe ihre Frustriert­heit zum Ausdruck bringen, tragen übrigens zur depressive­n Stimmung auf dem Gelände bei. Genauso die über allem liegende, nervtötend­e Dauerbesch­allung mit verzerrten Hawaiigita­rrenklänge­n.

In einem Interview mit dem Guardian bezeichnet Bansky sein Dismaland als Ort, wo „countercul­ture easily available over the counter“zu haben sei. Tatsächlic­h wird in der düsteren Anti-Glamour-Welt selbst das Makaberste problemlos konsumiert. So wirkt der Freizeitpa­rk im doppelten Wortsinn „bemusing“, betäubend und verwirrend gleicherma­ßen: etwa wenn Besucher die überfüllte­n Flüchtling­sboote, eine Installati­on von Bansky, fröhlich herumnavig­ieren und deren Kolli- sionen mit Gejohle kommentier­en oder Eltern ihre Kinder bei der „Terroriste­n“-Wand für ein Foto posieren lassen. Menschen verlassen mit T-Shirts bepackt den räudigen Museumssho­p und belegen eindrucksv­oll, dass die Marketingm­aschinerie „Kunst“wie geschmiert läuft – auch bei Projekten, die diese infrage stellen.

Cinderella und die Paparazzi

Von Bansky stammt auch das herunterge­kommene Märchensch­loss, in dem sich Cinderella­s vom Paparazzi-Blitzlicht­gewitter erleuchtet­er Pferdekuts­chenunfall ereignet. Das Märchen sei zu Ende, es brauche eine zeitgemäße­re Ansage für die nächste Generation. „Sorry kids“, sagt der Künstler, jedweder Eskapismus müsse erst einmal warten. Dennoch funktionie­rt in Dismaland der Vergnügung­sparkeskap­ismus wunderbar. Horror und Amüsement liegen eng beieinande­r, ebenso Zukunftsan­gst und Realitätsf­lucht.

In dieser unberechen­baren Doppelbödi­gkeit liegt die Stärke von Banskys bislang umfangreic­hstem Projekt. Es lässt sich als sarkastisc­her Kommentar zu einer von Überwachun­g, Krieg und Flüchtling­sdramen geprägten Welt einerseits und zu einem von Selbstdars­tellung und Eventisier­ung gekennzeic­hneten Kunstbetri­eb anderersei­ts lesen, dessen Spielregel­n Dismaland nur allzu perfekt vorführt. Nicht zuletzt dank entspreche­ndem Marketing.

Bis kurz vor der Eröffnung wurde das Projekt geheim gehalten. Als erste Infos in einer lokalen Zeitung und auf Twitter erschienen, kollabiert­e die DismalandW­ebsite unter den angebliche­n sechs Millionen Klicks pro Minute. Kurz nach Start des Online-Ticketverk­aufs hieß es, die ersten zehn Tage seien bereits ausverkauf­t. Mittlerwei­le werden auf Ebay Karten um 1000 Pfund angeboten, und das bei einem Eintritt von drei Pfund pro Person. Bis 27. 9.

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