So gefährlich sind Tsunamis im Mittelmeer
Forscher ermitteln auf Basis neuer Modellrechnungen besonderes Risiko für Süditalien und Kreta
Bologna/Wien – Es war die größte Naturkatastrophe Europas im 20. Jahrhundert: Am frühen Morgen des 28. Dezember 1908 wurde die Region rund um die Meerenge von Messina in Süditalien für etwas mehr als eine halbe Minute durch ein starkes Erdbeben der Stärke 7,2 erschüttert. Durch das Beben und den nachfolgenden Tsunami, der mancherorts zehn Meter Höhe erreichte, fanden bis zu 200.000 Menschen den Tod.
Noch gewaltiger waren Beben und Tsunamis in der Antike: Im Jahr 365 unserer Zeitrechnung löste ein Beben der Stärke 8,0 bis 8,5 einen Tsunami aus, der über das Mittelmeer raste und allein in der griechischen Stadt Alexandria rund 5000 Menschen tötete. Am gewaltigsten dürfte indes die Flutwelle nach dem Ausbruch des Vulkans auf der Insel Santorin im Jahr 1613 vor unserer Zeitrechnung gewesen sein.
Besondere Gefährdungslage
Das Mittelmeer ist neben dem Indischen Ozean, wo sich 2004 die bislang letzte verheerende Tsunamikatastrophe ereignete, eine von Monsterwellen besonders gefährdete Region: Im Schnitt ist es ein Tsunami pro Jahrhundert, der Küsten überflutet; jede zehnte Monsterwelle bildet sich im Mittelmeer. Auslöser sind die vielen Beben, die dadurch entstehen, dass sich die afrikanische Kontinentalplatte unter die eurasische schiebt.
Ähnlich mächtige Tsunamis würden heute weitaus mehr Opfer fordern als 1908: Insgesamt leben heute an die 130 Millionen Menschen an den Mittelmeerküsten. Ein besonderes Problem ist, dass aufgrund der geringen Größe des Meeres kaum Zeit für Vorwarnungen und Evakuierungen bleibt.
Diesen besonderen Bedingungen tragen nun neue Simulationen Rechnung, die Forscher um Achilleas Samaras von der Universität Bologna im Fachblatt Ocean Science vorstellen. Sie wollen damit zugleich einen Beitrag leisten, das Katastrophenmanagement noch effektiver zu machen. Im Mittelpunkt der Modellrechnungen standen entsprechend die Auswirkungen von Tsunamis auf jene Küstengebiete, die nicht nur zu den seismologisch aktivsten im Mittelmeerraum gehören, sondern in denen es in der Vergangenheit auch schon einige TsunamiEreignisse gegeben hatte.
Daten zur Topografie
Die Wissenschafter um Samaras sammelten unter anderem Informationen über die Meerestiefen und weitere topografische Merkmale an der Südküste Kretas und im Osten Siziliens. In bisherigen Tsunami-Modellen fehlten nämlich Daten zum Küstenbereich, obwohl gerade hier die Riesenwellen mächtig werden: Im seichten Wasser wachsen sie zu steilen Wasserwänden heran.
Bei ihren Berechnungen gingen die Forscher von Beben der Stärke 7,0 aus. Den Simulationen zufolge würden die so erzeugten Wellen an der östlichen Küste Siziliens beziehungsweise der Südküste Kretas Regionen bis zu einer Höhe von fünf Metern über dem Meeresspiegel überschwemmen. Im Fall Kretas wären insgesamt rund 3,5 Quadratkilometer Küstenstreifen von den reißenden Fluten betroffen, was vor allem in der Urlaubssaison katastrophale Folgen hätte.
Die Forscher wollen ihre Daten Behörden und Entscheidungsträgern im Mittelmeerraum zur Verfügung stellen. (tasch)