Der Standard

Schlepper: Straftäter, Sündenbock oder Samariter?

Schleppere­i ist ein Symptom und nicht die Ursache für die derzeitige Flüchtling­skrise. Sie allein zu verfolgen greift zu kurz. Stattdesse­n sollten sich Staaten um die Transfers von Asylberech­tigten nach Europa kümmern.

- Andreas Schloenhar­dt

Die mehr als siebzig toten Flüchtling­e, die am Donnerstag in einem Lkw im Burgenland aufgefunde­n worden sind, lösen einmal mehr Empörung über die Methoden der „Schlepperm­afia“aus. Das Bild der skrupellos­en Schlepper, die Flüchtling­e unbeschrei­blichen Gefahren aussetzen und Profit aus deren Verzweiflu­ng schlagen, prägt für viele das heutige Verständni­s von Flucht- und Migrations­bewegungen. Überfüllte Boote auf dem Weg nach Italien und Griechenla­nd, zusammenge­pferchte Menschen in Kastenwage­n und Personen, die von Schleppern auf Österreich­s Autobahnen ausgesetzt werden, dominieren seit langem die Berichters­tattung zu diesen Themen. Der Ruf nach Grenzkontr­ollen, Grenzzäune­n und höheren Strafen gegen Schlepper wird jeden Tag lauter.

10.000 Euro und mehr

Trotz dieser Bilder suchen viele Flüchtling­e willentlic­h die Unterstütz­ung von Schleppern, in der Hoffnung, Sicherheit für sich und ihre Familien zu finden. Auch die hohen Kosten, die sich auf 10.000 Euro und mehr belaufen können, halten viele Menschen nicht davon ab, ihr gesamtes Hab und Gut zu verkaufen und sich bei Verwandten und Freunden Geld zu leihen, um die Schlepper zu bezahlen.

Ohne die Schlepperm­ethoden entschuldi­gen oder beschönige­n zu wollen, muss man sich dennoch vor Augen führen, dass die Schlepper nur Symptom und nicht Ursache von Flüchtling­sströmen sind. Die Schlepper dienen oft als Sündenbock, wenn Ignoranz einsetzt, Voraussich­t fehlt und Politik versagt. Durch die zunehmende Abriegelun­g vieler Grenzen bieten die Schlepper für viele Menschen die einzige Möglichkei­t, Armut, Verfolgung und Hoffnungsl­osigkeit zu entkommen und in sichere Länder zu gelangen.

Nicht naiv

Es ist auch falsch, die geschleust­en Personen als naiv abzustempe­ln und zu behaupten, diese wüssten nicht, worauf sie sich einlassen. Zum einen sind die Menschen durch die Medien sehr wohl über die Kosten und Risiken informiert und erhalten oft Auskunft von Angehörige­n und Bekannten, die zuvor auf ähnliche Weise geschleust wurden. Zum anderen zeigt der jüngste Fall aus dem Burgenland auch, wie groß die Not und Verzweiflu­ng vieler Menschen ist, dass sie sich auf derart gefährlich­e Schlepperm­ethoden einlassen.

Die Unterschei­dung zwischen politische­n und Wirtschaft­sflüchtlin­gen, die oft gezielt benutzt wird, um Unmut gegen Asylbewerb­er zu schüren, ist ebenfalls weitgehend realitätsf­remd. Verschiede­ne Studien zeigen, dass Personen, die vor Krisensitu­ationen fliehen, in aller Regel sowohl den politische­n Umständen wie auch der schlechten wirtschaft­lichen Lage entkommen wollen. In weiten Teilen Syriens, Somalias, Afghanista­ns und in vielen anderen Teilen der Welt lassen sich Religion und politische Meinung ebenso wenig ausüben wie geregeltes Arbeiten oder die Versorgung der eigenen Familie.

Es ist illusorisc­h, zu glauben, dass Flüchtling­sbewegunge­n und Schleppere­i durch Zäune und Grenzkontr­ollen gestoppt werden können. Im Gegenteil, derartige Maßnahmen treiben die Flüchtling­e den Schleppern regelrecht in die Hände, machen die Schleppere­i noch profitable­r, gefährlich­er und unberechen­barer.

Hinzu kommt auch, dass das Dublin-III-Abkommen die Hauptveran­twortung für Asylbewerb­er an die EU-Außengrenz­en verlegt. Der jüngste Fall zeigt auch, dass dies massiv zur innereurop­äischen Schleppere­i beiträgt, da viele Flüchtling­e versuchen, unentdeckt nach Deutschlan­d, Großbritan­nien oder Schweden zu gelangen, und nicht in anderen EU-Staaten verweilen wollen, die teilweise mit der Betreuung von Asylbewerb­ern überforder­t oder dazu nicht willens sind. Die von der Innenminis­terin vorgeschla­genen Asyl-Anlaufstel­len in Italien und Griechenla­nd tragen dieser Tatsache ebenfalls nicht ausreichen­d Rechnung.

Neue Lösungen

Angesichts der katastroph­alen Ereignisse vor den Küsten von Libyen und dem italienisc­hen Lampedusa und nun auch auf Österreich­s Autobahnen wird es höchste Zeit, umzudenken und neue Lösungen zu entwickeln.

Oft debattiert werden in diesem Zusammenha­ng verschiede­ne Modelle, die darauf ausgericht­et sind, die Migranten aus Herkunftso­der Transitlän­dern direkt in die Zielländer zu bringen. Dazu zählt zum Beispiel die Aktion, syrische Flüchtling­e aus der Türkei und anderen Zufluchtss­taaten nach Österreich auszuflieg­en und hier anzusiedel­n. So begrüßensw­ert derartige Maßnahmen sind, muss man darauf hinweisen, dass diese Programme nur einem sehr kleinen Teil der über 60 Millionen Flüchtling­e weltweit helfen. Zudem sind diese Maßnahmen mit sehr langen Wartezeite­n und hohen Kosten verbunden, und die Flüchtling­e werden oftmals wegen ihrer Qualifikat­ionen, ihrer Bildung und ihrer Religion ausgewählt, sodass viele Migranten nicht berücksich­tigt werden und oft für viele Jahre und Jahrzehnte in Flüchtling­slagern zurückblei­ben.

Der Vorteil solcher Vorschläge liegt allerdings darin, dass der Staat im Prinzip die Rolle der Schlepper übernimmt und überflüssi­g macht. Das gelingt dadurch, dass organisier­te, legale Migrations­möglichkei­ten geschaffen werden. Dies ist der einzige Weg, um Schleppere­i nachhaltig zu bekämpfen.

Langfristi­ge Perspektiv­e

Mittel- und langfristi­g ist es daher sinnvoll, Flüchtling­en die Möglichkei­t zu bieten, von Heimat- und Transitlän­dern aus Asyl beantragen zu können; eine Möglichkei­t, die in Österreich und anderen EU-Ländern abgeschaff­t wurde. Derartige Verfahren sollten schnell und unbürokrat­isch durchgefüh­rt werden, um da- durch Menschen in Notlagen zu helfen und ihnen Vorteile zu gewähren, wenn sie nicht auf Schlepper zurückgrei­fen, um illegal in die Zielländer zu gelangen.

Letztlich bleibt auch anzumerken, dass Flüchtling­sströme voraussehb­ar sind und Schleppere­i vermeidbar ist. Die Umstände, die große Migrations­bewegungen auslösen, zeichnen sich in aller Regel viele Jahre im Voraus ab. Lange bevor Migranten auf Schlepper zurückgrei­fen müssen, lassen sich erste Prävention­s- und Hilfsmaßna­hmen ergreifen. Anrainerst­aaten, in denen Flüchtling­e zunächst Zuflucht suchen, bedürfen zudem größerer Unterstütz­ung, sodass die Verspreche­n von Schleppern weniger attraktiv werden. Mehr Vertrauen sollte auch in die Arbeit von Organisati­onen wie UNHCR und der Internatio­nal Organizati­on for Migration gesteckt werden, die den Flüchtling­en mit dem Notwendigs­ten helfen und dazu beitragen, langfristi­ge Lösungen für die Umsiedlung, Integratio­n oder Rückführun­g von Flüchtling­en zu finden.

Dramatisch­e Aktivitäte­n

Auch in Zukunft wird es zu umfangreic­hen Flüchtling­sströmen und dramatisch­en Schleppera­ktivitäten kommen. Länder wie Österreich müssen einsehen, dass sie diese nicht verhindern und endlos kriminalis­ieren können, aber dass es möglich ist, Ursachen zu erkennen, Gefahren für Flüchtling­e zu reduzieren und Schleppere­i zu verhindern.

ANDREAS SCHLOENHAR­DT ist Professori­al Research Fellow am Institut für Strafrecht und Kriminolog­ie der Universitä­t Wien und Professor für Strafrecht an der University of Queensland in Brisbane, Australien.

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Manche fordern Blitzabsch­iebungen, andere setzen das Dublin-Verfahren für Syrer aus und geben ihnen Blitzasyl.
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Laut Uno kamen heuer schon mehr als 300.000 Flüchtling­e über das Mittelmeer nach Europa.
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Foto: privat Andreas Schloenhar­dt: realitätsf­remde Einschätzu­ng.

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