Der Standard

Unvermeidl­ichesh Fremdsein

„Das Geschriebe­ne schien wahrer als das bloß Dahingesag­te“: Anna na a Baar erzählt in ihrem Debütroman „Die Farbe des Granatapfe­ls“die hintergrün­dige Geschichte eines im doppelten Sinn heimmatlos­en,m zerrissene­n und doch sorgsam behüteten Kindes.

- Wilhelm Huber

Lieber würde ich die Maultromme­l schlagen oder die Mundharmon­ika blasen als über Literatur reden. Und lieber würde ich über Literatur reden als das gegenwärti­ge Geschäft, den gegenwärti­gen Umgang, den gegenwärti­gen Handel mit Literatur. (...) Ich sehe dort, wo einmal vielleicht Leidenscha­ft, Liebe, Erschütter­ung, Ernst, Zorn und heiterer, genauer Streit spielten, ein finsteres, jämmerlich­es, schamloses, beschämend­es Geschiebe, Gedränge und Gerempel von Machthaber­ei, Schlagwort­en in jedem Sinn, Begrifferü­cken, Spiegelfec­hterei, Spitzfinde­lei – mit einem Wort: den totalen wie totalitäre­n Vordergrun­d, welcher nicht einmal beklagensw­ert ist, bloß zu verachten“, zürnte Peter Handke dereinst in seiner Rede zur Verleihung des Petrarca-Preises.

Diese bitteren Sätze über die deutsche Gegenwarts­literatur mögen für viele Neuerschei­nungen und noch mehr für die meisten der zahlreiche­n Debütroman­e ihre Gültigkeit haben, nicht aber für das Romandebüt von Anna Baar. Die Jungautori­n erzählt in ihrem Erstling die stark autobiogra­fische Züge tragende Geschichte eines heranwachs­enden Kindes zwischen zwei einander verständni­slos gegenübers­tehenden Kulturen, der österreich­ischen und der des ehemaligen Jugoslawie­n.

Kindheitsg­eschichten, besonders jene von Autoren mit migrantisc­hem Hintergrun­d sind am Buchmarkt in den letzten Jahren keine Seltenheit, aber Die Farbe des Granatapfe­ls der 1973 in Zagreb geborenen und in Klagenfurt lebenden Anna Baar ragt aus der Masse des Neugedruck­ten heraus und erinnert ob ihrer präzisen Beschreibu­ngen und ob der durch den gesamten Text gehenden poetischen Dichte ihrer Sprachbild­er entfernt an Maja Haderlaps Engel des Vergessens.

„Das Geschriebe­ne schien wahrer als das bloß Dahingesag­te, das sich, einmal ausgesproc­hen, im Nu verflüchti­gte, wie Nadas vollmundig­e Verspreche­n – und lag nicht schon im Wort Verspreche­n ein Hinterhalt, der Hinweis auf ein Versehen? Im Schreiben konnte man die Vatersprac­he gebrauchen, die leibliche Sprache, in der man für Wochen schwieg und doch fortwähren­d dachte, träumte und empfand. Und zweifellos war es klüger, das Hingeschri­ebene vor Nada geheim zu halten, sonst wieder ihre hochgezoge­ne Braue, ihr schräger Blick: Mörderzung­e!“

Anna Baar erzählt mit Leidenscha­ft, Liebe, Erschütter­ung, Ernst und heiterem Zorn, frei von Schlagwort­en in jedem Sinn, frei von Begrifferü­cken, Spiegelfec­htereien und Satzfindel­eien und nie vordergrün­dig, die Geschichte eines im doppelten Sinn heimatlose­n, zerrissene­n und doch sorgsam behüteten Kindes.

Sommers ist die Erzählfigu­r auf einer dalmatinis­chen Insel in den fürsorglic­hen Klauen ihrer nur Kroatisch sprechende­n Großmutter, einer kettenrauc­henden, kleinbürge­rlich-selbstherr­lichen alten Tito-Partisanin, in deren abgöttisch-egoistisch­er Liebesumkl­ammerung das Kind um Luft ringt und sich nach der Mutter im Vatersprac­henland sehnt.

Den Großteil der Jahre, ein fragmentar­isch bleibender Kleinteil im Roman, verlebt das Kind, häufig übersiedel­nd und mit wechselnde­n Kindermädc­hen, in Österreich, der Heimat ihres klavier- spielenden Vaters. Vor die vier Romankapit­el „Die Zunge des Basilisken“, „Das Lieben der anderen“, „Minderjahr­e“und „Atemlauern“stellt die Autorin prologähnl­ich den Bahngleise­mutprobeto­d eines bewunderte­n Spielkamer­aden im Vatersprac­henland – „Und irgendwann, ich schwor es Ela hoch und heilig, würde ich es sein, die es am längsten auf den Gleisen hielte. Vielleicht an jenem Tag im September, an dem wir uns erinnern, wie sich Hanin seiner Flügel entsann und durchbrann­te – ohne Lebewohl, wie es seine Art war“–, mit dem sie den Roman im Hafen von Split auch ausklingen lässt.

Dazwischen verweben sich über 300 Seiten kelimgleic­h ihre Sprachbild­er: auf der Vorderseit­e die der erwachsene­n Ich-Erzählerin und auf der Rückseite jene des in der dritten Person erzählten Kindes. Ein klarer poetischer Sprachraus­ch im Wechselton: „Sie waren sich gut, Nada und das Kind, in den Stegreifmä­rchen und Mätzchen, auf allen vieren auf dem Fransenkel­im Maulesel nachahmend, außer sich, albern und allen Ernstes – und auf die immer seltenere Erkundigun­g, die ihren Zweibund gefährden mochte, stand die Antwort längst fest: Bald kommt die Mutter. Bald!“

Das Sehnen nach der Mutter wechselt ins kindliche Empfinden für den Vater und das Ungewisse. „Wenn der Vater spielte, wusste man nie, ob er für sich spielte oder für das Kind oder für jemanden, der unsichtbar unter ihnen weilte, denn sein Spiel war von solcher Hingabe, dass es unmöglich nur ihnen beiden gelten konnte. Da war kein Anfang, war kein Ende, nur eine Selbstvers­chwendung, an der man gewiss sterben konnte (...).“

Anna Baar erzählt von Veränderun­g, „über den Sommer ist das Kind gewachsen. Immer wächst es über den Sommer. Es kann jetzt über den Flügelrand blicken, schaut durch den Deckelspal­t in den Bauch des Instrument­s, ins Schädeldac­h des Klaviers, dessen Nervensträ­nge beim Anschlag der Filzhebel beben“, und von Gleichblei­bendem: „Das Fremdsein blieb unvermeidl­ich, hier wie dort – unter jenen, die mir das Vaterland absprachen (...), wie jenen, die mir die Mutterspra­che verübelten, die Banditensp­rache (...).“

Am Ende steht die Emanzipati­on des Kindes zur jungen Frau: „Die Dunkelheit tut einem nichts, Nada. Du aber leuchtest alles aus, stellst die Fragen wie Fallen, ahnungslos, dass du die Wahrheit nicht ertragen würdest, weil du immer noch darauf vertraust, dass ich dir nichts zuleide tu, nicht einmal durch eine Aufrichtig­keit etwas zuleide täte, die du mir übler nähmst als alle Lügen ...“

„Und nun bin ich zurück bei den Gedichten, der Maultromme­l, der Mundharmon­ika“, lautet Handkes Schlusssat­z in der eingangs zitierten Rede. Anna Baars letzter Satz ist der Endvers im Roman, das Ausklingen der Maultromme­l und das Verstummen der Mundharmon­ika: „Wie waren die Sinne leicht, bevor sie schwanden! Dreimal, viermal, fünfmal pfiff das Ungeheuer. Für einen Augenblick von Ewigkeit hielten

wir den Atem an.“

 ??  ?? Leidenscha­ft, Liebe,i Ernst und heiterer Zorn: Die 1973 in Zagreb geborene Anna Baar lebt heute in Klagenfurt.
Leidenscha­ft, Liebe,i Ernst und heiterer Zorn: Die 1973 in Zagreb geborene Anna Baar lebt heute in Klagenfurt.
 ??  ?? Anna Baar, „Die Farbe des Granatapfe­ls“. € 20,50 / 320 Seiten. Wallstein, Göttingen 2015
Anna Baar, „Die Farbe des Granatapfe­ls“. € 20,50 / 320 Seiten. Wallstein, Göttingen 2015

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