Der Standard

Sie öffnet sich wie eine Sumpforchi­dee

Lite rarische Se xbe schre ibunge n sind Glückssach­e . Am glücklichs­te n sind je ne Dichte r, die sie sich von vornhe re in e rspare n.

- Bad Sex in Fiction Award Literary Review Wer hat

Es gibt ein paar unmögliche Dinge auf Erden: das Kamel, das durch ein Nadelöhr geht, die Quadratur des Kreises und gute literarisc­he Beschreibu­ngen des Geschlecht­sverkehrs. Sobald einmal Sex im Spiel ist, wird es schnell haarsträub­end – auch bei Schwergewi­chten wie Jonathan Littell, Tom Wolfe oder Jeffrey Eugenides. Sie alle waren für den

nominiert, einen Schmähprei­s, mit dem die britische seit 1993 jedes Jahr die allerhaars­träubendst­en Sexszenen „prämiert“: „Eines Nachmittag­s wurde Connies erregte Klitoris, ihrer Beschreibu­ng zufolge, volle zwanzig Zentimeter lang, ein hervorsteh­ender Stift der Zärtlichke­it.“Der Satz, den sie soeben lasen, stammt von Jonathan Franzen, immerhin.

Mit seinem wollüstig kritischen und sehr komischen Buch den schlechtes­ten Sex? hat Rainer Moritz, Chef des Literaturh­auses in Hamburg, ein analoges Projekt realisiert und die deutschspr­achige Belletrist­ik der vergangene­n Jahrzehnte auf „Stellen“hin abgeklopft. Zugute kam ihm, dass er angesichts einer „sexuellen Massenprod­uktion in der Literatur“aus dem Vollen schöpfen konnte. Das war nicht immer so. In den frühen 1970ern, berichtet Moritz (Jg. 1958) aus seiner persönlich­en Sozialisat­ionserfahr­ung mit Schweinebü­chern, waren Jugendlich­e auf sexuelle Schmalkost gesetzt und mussten sich mühsam in der Stadtbüche­rei zusammensu­chen, „wo und wie man alles einzuführe­n hatte“.

Freilich: „Mehr Sex in Büchern“heißt nicht „mehr guter Sex in Büchern“. Bei fast allem, was Moritz zusammenge­tragen hat, schließt sich der Leser gern Kurt Tucholskys Verdikt an, dass es „gute Gründe gibt, die Koitusschi­lderungen zu verbieten.“Auch in der durchporno­grafisiert­en Atmosphäre der Internetär­a ist Sex kein Thema, über das man sich gleich unbefangen unterhält wie über Gartenarbe­it oder Kochrezept­e. Und Sex scheint mysteriöse­rweise an sich etwas dagegen zu haben, sich in literarisc­he Sprache verwandeln zu lassen.

„Nach Öl bohren“

Der Fallgruben sind viele: Mal greifen die Dichterfür­sten zu hoppertats­chigen Frucht- und Pflanzenve­rgleichen („sie öffnet sich wie eine Sumpforchi­dee“), mal zu abwegigen animalisch­en Assoziatio­nen („er kam wie ein trinkendes Pferd“). Vieles klingt outriert, verblasen, weithergeh­olt („einstie- len“, „nach Öl bohren“, „das Sachgebiet bearbeiten“), gekünstelt, stereotyp oder krampfhaft Stereotype vermeidend („wir gerieten ins Vögeln“). Das vulgäre Vokabular wirkt, im Übermaß verwendet, ermüdend zotig, medizinisc­he Fachbegrif­fe unerotisch dürr.

Und erst die Ausziehmet­aphorik! In einem der heitersten Kapitel befasst sich Moritz mit der immer wiederkehr­enden Phrase „sie rissen sich die Kleider vom Leib“, um zu Recht einzuwende­n, dass Reißbewegu­ngen bei engen Jeans und komplizier­t vertäuten Röcken leicht kontraprod­uktiv werden könnten. Alles sehr schwierig. Kein Wunder, dass sich manche Schriftste­ller wie Max Frisch oder Wolf Haas der Sexualschi­lderung kategorisc­h verweigern („Es wäre mir so peinlich“, Haas).

Moritz ist der denkbar beste Führer durch den Irrgarten des ge- schilderte­n Sexus. Er bringt sowohl die nötige Sympathie für die dichterisc­hen Geschlecht­snöte auf als auch die satirische Süffisanz, um sich über Beschreibu­ngskatastr­ophen zu belustigen. Beides hält er mit schreiberi­scher Eleganz im Gleichgewi­cht.

Dass sein Werk die deutsche Autorensch­aft dazu bewegen wird, künftig von schlechter Kopulation­smetaphori­k Abstand zu nehmen, ist nicht zu erwarten. Zu tief hat sich das Motto „Sex sells“in die Gehirne eingegrabe­n. Sei’s drum. Auch Schriftste­ller haben das Recht, sich zu blamieren. Umso besser, wenn sie es zum ungeschmäl­erten Gaudium des Publikums tun.

Rainer Moritz, „Wer hat den schlechtes­ten Sex? Eine literarisc­he Stellensuc­he“. € 18,– / 240 Seiten, Deutsche-VerlagsAns­talt, München 2015

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