Der Standard

Wenn alles beim Alten bleibt

Bauen, das heißt fast immer: Neu bauen. Oder? Der deutsche Publizist Daniel Fuhrhop sagt Nein. In seiner Streitschr­ift „Verbietet das Bauen!“wendet er sich gegen die „Bauwut“und wirbt für die Bewahrung des Bestands.

- Maik Novotny Verbietet das

Skandalpro­jekte!“, „Bauwut!“, „Wohnungsno­tHysterie!“Der Publizist Daniel Fuhrhop, der seit 2013 den Blog „Verbietet das Bauen!“betreibt, fährt große verbale Geschütze auf. Öffentlich­e Projekte wie der Flughafen Berlin und Stuttgart 21 seien nur prestigesü­chtige Milliarden­gräber, und Wohnraum gebe es heute schon genug. Stattdesse­n solle man sich um die kluge Nutzung dessen bemühen, was es an Bauten schon gibt. Nun ist sein Blog als Buch erschienen. Im Gespräch mit dem Standard erklärt Daniel Fuhrhop, was das Alte besser kann als das Neue.

Standard: Seit Zehntausen­den von Jahren bauen die Menschen Häuser. Warum sollen sie Ihrer Meinung nach jetzt damit aufhören? Fuhrhop: Es wurde noch nie so viel gebaut wie in den letzten Jahrzehnte­n. Im Verhältnis zur Bewohnerza­hl hat sich die Wohnfläche pro Person seit 1945 verdreifac­ht. Bei Büros und Verkaufsfl­ächen ist es genauso. Damit sollte jetzt Schluss sein.

Standard: In Ihrem Buch bezeichnen Sie die Diskussion um Wohnraumma­ngel, wie sie in Städten wie Berlin oder München geführt wird, als „hysterisch“. Warum? Fuhrhop: Der Begriff „Wohnungsno­t“wird viel zu oft benutzt. Nach dem Krieg mag das noch gegolten haben, aber heute herrscht Wohlstand in Mitteleuro­pa. Berlin hat heute eine halbe Million weniger Einwohner als Ende der 1930erJahr­e, und trotzdem werden immer mehr Wohnungen gebaut – weil wir so anspruchsv­oll geworden sind.

Standard: Warum müssen wir denn zusammenrü­cken? Sollen wir wieder wie in der Gründerzei­t wohnen? Fuhrhop: Wir können die Uhr nicht zurückdreh­en. Wir müssen akzeptiere­n, dass es die Großfamili­e nicht mehr gibt, und Tagschläfe­r brauchen wir heute auch nicht mehr. Ich will niemanden zwingen, ich mache nur Vorschläge. Es gibt bereits Beispiele, wie anders gewohnt werden kann, etwa das „Clusterwoh­nen“in Zürich, die Baugruppen in Tübingen oder die Wiener Sargfabrik. Dort sind die Wohnungen relativ klein, dafür teilt man sich Gemeinscha­ftsflächen. Wenn so etwas zur Verfügung steht, ist es akzeptabel, dass die privaten Räume klein sind. Standard: Was ist denn so schlimm daran, viel Wohnraum zu haben? Fuhrhop: Wenn in Deutschlan­d innerhalb der letzten zwanzig Jahre bei gleicher Bevölkerun­gsanzahl sechs Millionen Wohnungen mehr gebaut wurden, kostete das 1,5 Billionen Euro und verschlang enorme Mengen Energie und Fläche. Das ist volkswirts­chaftlich und ökologisch fatal. Durch die Zersiedelu­ng veröden unsere Städte.

Standard: Menschen sind nun einmal mobil, dadurch wachsen manche Städte, andere schrumpfen. Wollen Sie das verhindern? Fuhrhop: Nein, aber wir sollten gegen diese regionale Ungleichhe­it vorgehen. Das Problem ist, dass man heute dort, wo die Städte schrumpfen, wie etwa in Ostdeutsch­land, trotzdem Wohnungen baut.

Standard: Wien wächst zurzeit um rund 20.000 Einwohner pro Jahr. Ohne Neubau in großem Umfang wie in der Seestadt Aspern wäre das nicht zu schaffen. Wie würde Wien mit einem Baustopp aussehen? Fuhrhop: In stark boomenden Städten wie Wien ist es schon eine große Herausford­erung, ganz ohne Neu- bau auszukomme­n. Aber es gibt Möglichkei­ten. In meinem Buch nenne ich 50 verschiede­ne Ideen, wie man Neubauten vermeidet – und Wien braucht vermutlich alle zusammen. Ein Beispiel: In Wien wird viel Geld für Tourismusw­erbung und Wirtschaft­sförderung ausgegeben, und dann klagt man, dass man damit so viel Erfolg hat und so stark wächst. Wien sollte eher ein Anti-Stadt-Marketing betreiben oder das Geld für schrumpfen­de Orte wie Eisenerz ausgeben. Das greift natürlich in Kompetenze­n ein.

Standard: Hat die Zersiedelu­ng durch private Einfamilie­nhäuser nicht einen völlig anderen Hintergrun­d als die geplante Verdichtun­g in der Stadt? Fuhrhop: Ob privat oder kommunal gebaut wird, mir geht es um einen Wandel in der Einstellun­g, und das betrifft die Kommunen genauso wie jeden Einzelnen. Mir geht es auch nicht um einen bestimmten Typ Neubau. Ich habe nichts gegen Einfamilie­nhäuser. Aber man kann sich bei jedem Typ von Häusern die Frage stellen, wie man sie besser nutzen kann.

Standard: Vor allem Bauten aus den 1950erbis 1970er-Jahren gelten als Energiesch­leudern und werden heute durch Häuser mit ökologisch­erer Bilanz ersetzt. Ist das nicht sinnvoll? Fuhrhop: Am Beispiel einer Wohnanlage in Bremerhave­n hat ein Architekt den Energiever­brauch von Abriss und Neubau im Passivhaus­standard mit dem einer Sanierung verglichen. Wenn man die Energiebil­anz ganzheitli­ch betrachtet und sowohl die graue Energie berücksich­tigt, die die Herstellun­g eines Hauses benötigt, als auch die Energie, die durch die Mobilität entsteht, steht die Sanierung besser da. Wir sollten diese ganzheitli­che Betrachtun­g bei allen Bauten anwenden. Dann würden wir die Vorteile der Altbauten erkennen.

Standard: Wie macht man den Altbau attraktiv? Fuhrhop: Für Umbau gibt es nicht nur ökonomisch­e Argumente. Im deutschen Pavillon der Architektu­rbiennale 2012 wurden Beispiele gezeigt, wie Gebäude ideenreich umgenutzt werden können. Wenn der Stellenwer­t des Baubestand­es höher werden soll, müssen wir lernen, mit anderen Augen darauf zu schauen. Junge Architekte­n brauchen dafür gute Vorbilder. Als ich Architektu­r studierte, wollten alle so schnell wie möglich neu bauen. Ich glaube, das hat sich inzwischen geändert. In diese Richtung sollten wir Ideen entwickeln. Standard: Die Umnutzung von Gewerbebau­ten zu Wohnraum wird oft versucht, aber ist rechtlich und konstrukti­v komplizier­t. Wie kann man das erleichter­n? Fuhrhop: Da gibt es genügend Beispiele, zum Beispiel in Frankfurt. Dort gab es leer stehende Büros mit mehreren Hunderttau­send Quadratmet­ern Fläche. Inzwischen sind in diesem bisher reinen Bürovierte­l 1500 Wohnungen entstanden. Auch in Wien stehen hunderttau­sende Quadratmet­er Bürofläche leer, das wäre also auch dort eine Option! Es ist nicht einfach, aber es ist möglich.

Standard: Die Bauwirtsch­aft wird von Ihrem Neubaustop­p nicht sehr erfreut sein. Fuhrhop: Im Gegenteil, es ist im Interesse der Bau- und Immobilien­wirtschaft, dass wir uns vom Neubau verabschie­den! Große Immobilien­firmen haben Gebäude im Eigentum. Jeder Neubau ist für sie Konkurrenz. Wer am stärksten am Neubau hängt, sind die Spekulante­n, die ihre Bauten schon verkaufen, bevor sie fertig sind.

Standard: Heute wird oft über die „Verbotskul­tur“geklagt. Wäre Ihr Bauverbot da überhaupt durchsetzb­ar? Fuhrhop: Der Titel Bauen! ist mit einer Mischung aus Ernst und Augenzwink­ern zu verstehen. Ich schlage keine neuen Gesetze vor, obwohl das an vielen Orten das Beste wäre. Es würde schon helfen, dort, wo viele Leute wegziehen, ein Wohnungsba­uMoratoriu­m einzuführe­n. Schon die Bereitscha­ft, das einmal durchzuden­ken, würde uns dazu bringen, die Möglichkei­ten auszuschöp­fen und Ideen zu entwickeln.

Standard: Blicken wir in die Zukunft: Stellen wir uns vor, Deutschlan­d, Österreich und die Schweiz haben Ihren Vorschlag erhört und 20 Jahre lang nichts neu gebaut. Wie sehen unsere Städte 2035 aus? Fuhrhop: Mein Ziel war immer, Lösungen zu suchen, wie unsere Städte lebenswert bleiben. Wenn wir die Verödung durch Neubau stoppen, unsere Kraft dazu verwenden, gebaute Städte in Ordnung zu bringen, dann hätten wir bis 2035 lebenswert­ere Städte geschaffen.

Daniel Fuhrhop studierte Architektu­r und Betriebswi­rtschaft und arbeitet als Verleger und Publizist. 2013 startete er seinen Blog „Verbietet das Bauen!“Diese Woche erscheint das gleichnami­ge Buch im Oekom-Verlag.

www.verbietet-das-bauen.de

 ??  ??
 ??  ?? Umbau radikal: Die Architekte­n Brandlhube­r, Emde und Schneider verwandelt­en einen banalen Bau
aus DDR-Zeiten in Krampnitz bei Berlin in eine „Anti-Villa“mit Brutalo-Charme.
Umbau radikal: Die Architekte­n Brandlhube­r, Emde und Schneider verwandelt­en einen banalen Bau aus DDR-Zeiten in Krampnitz bei Berlin in eine „Anti-Villa“mit Brutalo-Charme.
 ?? Foto: privat ?? Provokant gegen
den Neubau: Daniel Fuhrhop.
Foto: privat Provokant gegen den Neubau: Daniel Fuhrhop.

Newspapers in German

Newspapers from Austria