Der Standard

In der Gemeinscha­ftsküche spielt sich das Leben ab

Michaela Moser, Sozialexpe­rtin der Armutskonf­erenz, lebt seit fast zwei Jahren im Wohnprojek­t Wien im Nordbahnho­fviertel. Warum dieses Zusammenwo­hnen ihr Leben bereichert, hat sie Anne Feldkamp erzählt.

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Ich bin kurz vor Weihnachte­n 2013 ins ,Wohnprojek­t Wien‘ eingezogen, war in die Planungen aber schon drei Jahre involviert gewesen. Zuvor hatten die Initiatori­nnen und Initiatore­n mit einem Bauträger einen Wettbewerb der Stadt Wien gewonnen und einen Bauplatz im Nordbahnho­fviertel bekommen. Wir haben dann die Organisati­on und Aufteilung des Hauses gemeinsam erarbeitet.

Heute leben 70 Erwachsene und 30 Kinder in 39 Wohneinhei­ten. Die Bewohnerin­nen und Bewohner wollen nachhaltig­es Leben in einer generation­enübergrei­fenden und vielfältig­en Gemeinscha­ft umsetzen. Hier leben ganz verschiede­ne Menschen von null bis siebzig auf möglichst soziale und umweltfreu­ndliche Weise.

Organisier­t sind wir als Verein, das Haus ist unser kollektive­s Eigentum. Der solidarisc­he Aspekt unserer Wohnform liegt uns dabei seit Beginn am Herzen. Solche Projekte stehen ja oft im Ver- dacht, nur für Wohlhabend­ere da zu sein. Deshalb haben wir etwa auch Solidaritä­tswohnunge­n integriert. Diese günstigere­n Wohneinhei­ten finanziere­n wir genauso mit wie eine WG für Junge.

Dann gibt’s hier auch noch gewerblich­e Einheiten wie unsere Greißlerei , Salon am Park‘. Ganz wichtig sind die circa 700 Quadratmet­er Gemeinscha­ftsräume. Ein Herzstück davon ist unsere gemeinsame Küche im Erdgeschoß, hier bin ich eigentlich täglich. Ich habe zwar auch eine kleine Küche in meiner Wohnung, aber hier unten spielt sich das Leben ab. Und wenn ich mal größer aufkoche, was ich liebe, kann ich mich hier mit den großen Töpfen und Schöpflöff­eln austoben.

In der Gemeinscha­ftsküche wird unter der Woche jeden Mittag frisch gekocht. Es gibt eine Kochgruppe von Leuten, die abwechseln­d kochen. Bis vormittags um zehn können sich alle, die mitessen wollen, in eine Liste eintragen. Und um 13 Uhr gibt’s dann herrliches Essen zum Selbstkost­enpreis. Seit einiger Zeit zweimal die Woche auch abends – ein Glück für Leute wie mich, die tagsüber auswärts arbeiten.

Wie das gutgeht, mit 100 Leuten in einem gemeinsame­n Haus? Alle lieben muss man nicht, und Konflikte gibt’s natürlich auch, aber wir bemühen uns alle, gut miteinande­r umzugehen. Wichtige Entscheidu­ngen treffen wir nach den Prinzipien der Soziokrati­e und nach meist intensiven Informatio­ns- und Meinungsru­nden in verschiede­nen Arbeitsgru­ppen.

Um das Haus gut in Schuss, unser Gemeinscha­ftsleben in Schwung zu halten und auch in der Nachbarsch­aft und in Solidaritä­tsprojekte­n aktiv zu sein, bringe ich mich wie alle Erwachsene­n hier im Haus mit elf Stunden Engagement im Monat ein. Mein Leben hat dieses Wohnmodell wirklich enorm bereichert. Ich hatte schon immer eine Sehnsucht nach gemeinscha­ftlichem Wohnen. In meiner Jugend hat mich beispielsw­eise das Klosterleb­en fasziniert. Wahrschein­lich, weil das Kloster die einzige gemeinscha­ftliche Wohnform war, die ich damals kannte.

Ich habe dann auch viel länger als andere in Wohngemein­schaften gelebt. Das wurde aber immer schwierige­r, weil die Mitbewohne­rinnen immer jünger wurden. Dieses Wohnprojek­t, das entspricht mir jetzt genau. Als Frau ohne eigenen Nachwuchs finde ich besonders das Leben mit den Kindern toll. Mit den zehnjährig­en Mädchen im Haus gehe ich zum Beispiel ab und an ins Kino und schaue ,Mädchenfil­me‘.

Nochmal zurück zur Küche: Wenn ich abends heimkomme, gibt es oft noch Essen, das vom Mittagstis­ch übriggebli­eben ist. Auf der Tafel im Gang steht dann zum Beispiel: ,Fünf Erdbeertir­amisu im Kühlschran­k‘. Das klingt doch zu gut, um wahr zu sein, oder?

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Michaela Moser (Bildmitte im Vordergrun­d) hatte schon immer eine Sehnsucht nach gemeinscha­ftlichem Wohnen. 2013 ist sie in eine Wohnung im Wohnprojek­t Wien eingezogen.

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