Der Standard

Dijsselblo­em warnt vor überhastet­em Umbau der Eurozone

Eurogruppe­n-Chef im Standard- Interview: Strukturre­formen gehen vor Fiskalunio­n

- INTERVIEW: Andreas Schnauder

Alpbach – Vor einer Vertiefung der Eurozone sollten die EU-Mitgliedss­taaten solche Reformschr­itte setzen, die sie krisenfest­er machen. Er habe den Eindruck, dass manche Leute nur ein Eurobudget und eine Wirtschaft­sregierung forderten, „weil sie nicht darüber sprechen wollen, was wir jetzt machen können und sollen“, erklärte Eurogruppe­n-Chef Jeroen Dijssel- bloem im STANDARD- Interview in Alpbach.

„Die Konvergenz der Euroländer muss wiederherg­estellt werden“, sagte er. „Strukturre­formen kann man nicht mit einem Eurobudget kompensier­en.“In den letzten Wochen haben vor allem französisc­he Politiker die Schaffung einer echten Fiskalunio­n mit weitreiche­nden Durchgriff­srechten gefordert. Kritik daran kommt auch von Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny. Er hält die „Illusion leichter Veränderba­rkeit“der Währungsun­ion für „gefährlich“und spricht sich für schrittwei­se Anpassunge­n der Rahmenbedi­ngungen aus. (red)

Standard: Am 20. September finden Wahlen in Griechenla­nd statt. Müssen Sie wieder in den Ring steigen, sollte es danach keine klaren Mehrheiten für den Beschluss der geforderte­n Reformen geben? Dijsselblo­em: Im schlimmste­n Szenario können die Wahlen Auswirkung­en haben. Ich will aber nicht spekuliere­n, sondern den Ausgang abwarten. Das Griechenla­ndPaket basiert auf einer Analyse der Probleme, und die Probleme in Griechenla­nd können sich durch Wahlen nicht verändern.

Standard: Doch es sind weitere Beschlüsse im griechisch­en Parlament notwendig. Was passiert mit den Hilfszahlu­ngen, wenn Entscheidu­ngen nicht zustande kommen sollten? Dijsselblo­em: Es könnte auch sein, dass die breite Mehrheit, die das Programm beschlosse­n hat, noch größer wird. Unabhängig von Wahlen, alten oder neuen Regierunge­n: Das Programm gibt immer vor, dass die Maßnahmen umgesetzt werden müssen, bevor es zur Auszahlung der Gelder kommt. Das war immer die Regel und wird es auch bleiben.

Standard: Der Währungsfo­nds rechnet wegen der Neuwahlen mit einer Verzögerun­g bei der Umsetzung des Programms. Sie auch? Dijsselblo­em: Das könnte sein, die Institutio­nen (die frühere Troika bestehend aus EU-Kommission, EZB und IWF, Anm.) machen eine Review und werden im Oktober an uns berichten. Wir hofften auf Anfang Oktober, es könnte jetzt später Oktober werden. Der Oktober wird generell wichtig. Wir benötigen erst die Review, dann die nächsten Vorschläge Athens wie beispielsw­eise bei Pensionen und zusätzlich­e fiskalisch­e Maßnahmen. Wenn das alles gutgeht, muss der IWF eine wichtige Entscheidu­ng treffen. Wir wollen alle, dass der Währungsfo­nds bei der Finanzieru­ng des Programms dabei ist.

Standard: Sollte das nicht der Fall sein, müsste die Eurozone das 86 Milliarden Euro schwere Paket allein stemmen. Der Währungsfo­nds hat bereits anklingen lassen, dass die Verschuldu­ng mit dem jetzigen Paket nicht tragbar sei. Dijsselblo­em: Sie spekuliere­n gerne.

Standard: Wenn der IWF das kommunizie­rt, ist das mehr als Spekulatio­n. Dijsselblo­em: Wir haben das Programm in enger Zusammenar­beit mit dem IWF designt. Einige Themen konnten in der kurzen Zeit nicht gelöst werden, weshalb mit Griechenla­nd vereinbart wurde, dass die Vorschläge für die Pensionsre­form im Oktober vorgelegt werden. Der IWF hat das verstanden. Jetzt müssen die Griechen liefern. Und die Eurozone muss mit dem Währungsfo­nds über die Verschuldu­ngsfrage reden. Wir sind da schon ein ganzes Stück weitergeko­mmen: Wir konzentrie­ren uns jetzt auf die Höhe des Schuldendi­enstes und nicht auf die Verschuldu­ng als Verhältnis zur Wirtschaft­sleistung. Es geht nun darum, ob Zinsen und Rückzahlun­gen verkraftba­r sind. Da- für gibt es einen Referenzwe­rt von 15 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s. Und den wird Griechenla­nd nach den Kalkulatio­nen in den nächsten 15 Jahren nicht überschrei­ten. In den Gesprächen mit dem IWF geht es jetzt darum, die unterschie­dlichen Szenarien anzupassen und festzulege­n, was passiert, wenn der Schuldendi­enst die 15 Prozent doch überschrei­ten sollte.

Standard: Dennoch wird man Athen bei den Schulden entgegenko­mmen. Dijsselblo­em: Im alten Programm gab es einen Passus, dass die Kreditkond­itionen erleichter­t werden, wenn Griechenla­nd trotz Umsetzung aller Maßnahmen die Ziele nicht erreicht. Diese Vereinbaru­ng wurde wiederbele­bt. Dabei geht es um die Verlängeru­ng der Rückzahlun­gsfristen, die Senkung der Zinsen etc. Was es nicht geben wird, ist ein Haircut auf die Kredite der Eurozone.

Standard: Der Haircut ist laut vielen Experten wichtig, um das Vertrauen der Investoren in die Stabilität Griechenla­nds wiederherz­ustellen und so endlich wieder Wachstum zu ermögliche­n. Dijsselblo­em: Griechenla­nd hat sich 2014 besser entwickelt als von allen erwartet. Die Wirtschaft­slage lag auch über den Annahmen, die 2012 dem zweiten Hilfspaket 2012 zugrunde gelegt wurden. Erst mit dem Aufflammen der politische­n Instabilit­ät hat sich die Situation verschlech­tert. Die Experten sollten nicht auf die Verschuldu­ng fokussiere­n, sondern auf die Fähigkeit, Jahr für Jahr die Zinsen zu bezahlen. Da gibt es Kreditlauf­zeiten von 32,5 Jahren, „Grace Periods“, in denen gar keine Zahlungen anfallen, danach niedrige Zinsen von etwas mehr als einem Prozent. Das ist so viel, wie Deutschlan­d oder die Niederland­e bezahlen. Das Prinzip ist: Wir stellen Geld zu günstigen Konditione­n zur Verfügung, im Gegenzug muss die Wirtschaft in Ordnung gebracht werden.

Standard: Griechenla­nd hat auch die Schwächen der Währungsun­ion offengeleg­t. Jetzt wird über eine Vertiefung der Eurozone nachgedach­t. Was sollte aus Ihrer Sicht im Vordergrun­d stehen? Dijsselblo­em: Es gibt kurzfristi­ge und langfristi­ge Überlegung­en. Für mich steht das Wichtigste am Anfang. Andere springen hingegen sofort ans Ende des Prozesses und sagen: Wir brauchen ein Eurozonen-Budget und einen Eurofinanz­minister. Das kann aber nur funktionie­ren, wenn wir die anderen Aufgaben zuerst erledigen: Wir brauchen Strukturre­formen, um wettbewerb­sfähiger zu werden und besser gegen Schocks gewappnet zu sein. Und die Konvergenz der Euroländer muss wieder hergestell­t werden. Die Eurozone war am Beginn eine Konvergenz­maschine. Staaten der sogenannte­n Peripherie haben rasch aufgeholt. Mit dem Ausbruch der Finanzkris­e hat sich diese Entwicklun­g umgekehrt. Strukturre­formen kann man nicht mit einem Eurozonenb­udget kompensier­en.

Standard: Wie kann ein Konsens über eine echte Fiskalunio­n gefunden werden? Dijsselblo­em: Das wird ein Abtausch. Mehr Solidaritä­t in der Währungsun­ion kann es nur geben, wenn die Länder ihr Haus in Ordnung gebracht haben. Mich besorgt, dass viele Leute nur darüber reden, was am Ende kommen soll, weil sie offenbar nicht darüber sprechen wollen, was wir jetzt machen können und sollen. Wir dürfen die Reihenfolg­e der Maßnahmen nicht umdrehen. Das Schlimmste wäre, wenn wir die Langfristv­eränderung­en durchführe­n, ohne die jetzigen Probleme zu lösen. Ich bin überzeugt, dass die Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tik der Euroländer konvergier­en muss. Was ich nicht will, ist, nur über die Versicheru­ng zu reden, ohne die Risiken zu beseitigen. Diese Risiken gibt es in der Währungsun­ion.

Standard: Und der Stabilität­spakt? Da werden laufend Verschärfu­ngen vorgenomme­n, mit dem Ergebnis, dass große Länder wie Frankreich oder Italien trotz Verfehlung der Ziele ungestraft davonkomme­n. Dijsselblo­em: Die Regeln sollten vereinfach­t werden. Ich habe in den Niederland­en schon größte Schwierigk­eiten zu erklären, wie die Budgetrege­ln funktionie­ren. Die EU-Kommission soll dazu neue Vorschläge ausarbeite­n. Zweiter Punkt: Länder wie die baltischen Staaten, Irland oder Spanien verzeichne­n ein Wachstum von mehr als drei Prozent. Nur zwei große Länder kommen nicht voran: Frankreich und Italien. Die Reformen sind politisch schwer durchsetzb­ar. Aber sie kämpfen. Das macht mich optimistis­ch.

JEROEN DIJSSELBLO­EM (49) ist niederländ­ischer Finanzmini­ster und seit 2013 Vorsitzend­er der Eurozone. Der Vater zweier Kinder ist Sozialdemo­krat und hat Agrarökono­mie studiert.

 ??  ?? Als Vorsitzend­er der Eurozone sieht der niederländ­ische Finanzmini­ster Dijsselblo­em in einer weiteren Vertiefung der Eurozone auchGefahr­en. Vor solchen Langfristv­eränderung­en müssten Anstrengun­gen zu mehr Konvergenz gemacht werden.
Als Vorsitzend­er der Eurozone sieht der niederländ­ische Finanzmini­ster Dijsselblo­em in einer weiteren Vertiefung der Eurozone auchGefahr­en. Vor solchen Langfristv­eränderung­en müssten Anstrengun­gen zu mehr Konvergenz gemacht werden.

Newspapers in German

Newspapers from Austria