Showdown bei Le Pens
Marine Le Pen wollte sich von der Überfigur ihres Vaters Jean-Marie und seinem üblen Image befreien. Doch der Familienstreit könnte ihr mehr schaden als nützen. Für das Wochenende ist ein neuer Krach angesagt.
Marine Le Pen, Chefin des Front National, möchte sich bei der Sommertagung am Wochenende endgültig vom Vater lösen.
Das Umfeld bleibt eigentlich günstig für Marine Le Pen: Terrorgefahr und Wirtschaftskrise, die eine so dauerhaft wie die andere, spielen der Chefin des Front National (FN) in die Hände. Und die neue Migrationswelle noch mehr. Gleichzeitig haben die Franzosen von ihren Rivalen Nicolas Sarkozy und François Hollande genug. Nach den EU-Wahlen 2014, als die französischen Rechtsextremen mit 24,9 Prozent zur stärksten Landespartei aufrückten, erwarteten die Auguren einen weiteren FN-Triumph bei den Regionalwahlen im Dezember. Und 2017 soll der dritte Streich folgen: der Einzug in den Élysée-Palast bei den Präsidentschaftswahlen.
Doch jetzt liegt ein Sandkorn auf dem Weg – nein: eher ein massiver Hinkelstein. „Le Menhir“, wie Jean-Marie Le Pen von ergebenen Veteranen genannt wird, missgönnt der Tochter den Erfolg. Als sie sich im April wieder einmal besonders salonfähig, sozial und gemäßigt gab, machte er ihre Bemühungen mit einem weiteren antisemitischen Spruch brutal zunichte. Marine Le Pen erkannte, dass ihr Vater nicht mehr ein Wahljoker war, der den rechten Flügel absicherte, sondern eine Hypothek. Flugs warf sie ihn aus der Partei.
Der „Alte“, wie ihn die MarineGeneration lieber nennt, giftete darauf, seine Tochter sollte sich schämen, seinen Namen zu tragen; dann rief er die Gerichte an und erreichte die Wiedereinsetzung als Ehrenmitglied im FN.
Aus gleich hartem Holz geschnitzt, konterte die 47-jährige Tochter im August mit einem neuen, juristisch besser vorbereiteten Parteiausschluss. Der 87-Jährige ficht auch dies gerichtlich an.
Showdown in Marseille
Am Wochenende kommt es bei der FN-Sommertagung in Marseille zum Showdown. Wird sich der Parteigründer Zutritt zum Meeting jener Partei verschaffen, die er 1975 gegründet und fast 40 Jahre beherrscht hatte? Vorsorglich säuberte Marine Le Pen den FN-Ordnungsdienst, der ihrem Vater ergeben war. Dieser konterte in einem Interview: „Ich habe gehört, dass Marine Le Pen ein paar Söldner anwirbt. Ich hoffe, es sind darunter nicht allzu viele Tschetschenen.“
Auf jeden Fall will der „Alte“in Marseille eine Pressekonferenz geben; um seine Tochter aus den Schlagzeilen zu drängen, braucht er nur einen seiner berüchtigten, wohlkalkulierten Sprüche loszulassen. So geht das bei den Le Pens: Auf Futterneid folgt Vatermord, auf Verrat kalte Rache – und zum Schluss zerfleischt man sich vor laufenden TV-Kameras.
Marine Le Pens Adlat Gilbert Collard beschönigte am Donnerstag: „Endlich befreit sich die Partei von der Last des Jean-Marie Le Pen und seiner Vichy-Nostalgie, endlich hat Marine Le Pen freie Bahn, um den FN in eine republikanische Großpartei zu verwandeln und sich ihrem Kampf gegen EU, Immigration und Eliten zu widmen.“
Das ist Wunschdenken. Das Störpotenzial des Übervaters bleibt erheblich. Zudem entblößt der Streit den inneren Widerspruch Marine Le Pens: Die Juristin will das Pariser „System“abschaffen, aber selber darüber herrschen – denn als Staatspräsidentin wäre sie die oberste Vertreterin jener Pariser Elite, die sie in Grund und Boden verdammt. Dieser Widerspruch blieb so lange verborgen, als Marine mit Jean-Marie ein Gespann bilden konnte, in dem er den diabolischen Provokateur spielte und sie die wählbare Parteichefin. Jetzt fällt die doppelbödige Strategie in sich zusammen.
Wird Marine konservative Wähler anziehen können? Kaum mit diesem Namen. Selbst wenn der Vater das Feld räumt, wird sein Schatten über seiner Tochter hängen. Für iden Vatermord wird sie bis zur Wahl in zwei Jahren die Zeche zahlen müssen.
SCHWERPUNKT Sorge vor der Rechten in Europa