Der Standard

Guatemalas Demokratie auf dem Prüfstand

Ein ganzes Land ist aufgestand­en und hat seinen Präsidente­n nicht nur abgesetzt, sondern sogar in U-Haft geschickt. Doch die Wahlen am Wochenende sind kein Garant dafür, dass es in Guatemala besser wird.

- Sandra Weiss

Guatemala-Stadt/Puebla – Was macht eine Demokratie mit einer Wahl, die im Vorhinein diskrediti­ert ist? Vor diesem Dilemma steht am Sonntag Guatemala, wo inmitten eines Korruption­sskandals und einer schweren Staatskris­e ein neuer Präsident gewählt werden soll.

Die Guatemalte­ken, die seit vergangene­m April zu Hunderttau­senden demonstrie­ren und bereits den Präsidente­n und die Vizepräsid­entin zum Rücktritt zwangen, wollen den Augiasstal­l definitiv ausmisten. Doch ihr Problem: Keiner der Favoriten – weder der Komiker Jimmy Morales noch die ehemalige Präsidente­ngattin Sandra Torres und auch nicht der zwielichti­ge Unternehme­r Manuel Baldizón – scheint dieser Aufgabe gewachsen zu sein. Umfragen wie jene des „Mirador Electoral“sagen einen Rekord an Enthaltung­en und ungültigen Stimmen voraus, während am Wahltag erneut Proteste geplant sind, um die Wahlen annulliere­n zu lassen.

„Ich fühle mich schlecht“

„Ich fühle mich schlecht, das ist hart“, sagte Präsident Otto Pérez Molina, als er am Donnerstag (Ortszeit), wenige Stunden nach seinem Rücktritt, dem Haftrichte­r vorgeführt und wegen Korruption ins Gefängnis geschickt wurde.

Der „Kampf zwischen der Mafia und den Bürgerbewe­gungen“, wie der Konfliktfo­rscher Joaquín Villalobos die Krise nennt, begann im April mit einer Enthüllung der UN-Kommission gegen Straffreih­eit (CICIG), die seit 2007 im Land ist und die grassieren­de Korruption und Straffreih­eit bekämpfen soll. Sie enthüllte ein gut geschmiert­es Korruption­snetzwerk im Zollwesen, das offenbar von Pérez und seiner ebenfalls inhaftiert­en Vizepräsid­entin Roxana Baldetti gesteuert wurde. Firmen wurde gegen ein Schmiergel­d der Importzoll erlassen oder gesenkt.

Noch andere haarsträub­ende Dinge entdeckte die CICIG: Dass der Wahlkampf zur Hälfte aus illegal abgezweigt­en Steuergeld­ern finanziert wird und zu je einem Viertel aus Drogengeld­ern und Spenden von Firmen, die Regierungs­aufträge erhalten. „Welche Legitimitä­t hat solch eine Wahl?“fragt der Soziologe Bernardo Arévalo, der der Intellektu­ellengrupp­e Semilla angehört, die an einer Staatsrefo­rm arbeitet.

Lange Reformlist­e

Eine Reform der Parteien, eine der Wahlkampff­inanzierun­g, mehr partizipat­ive Kontrollme­chanismen, ein Berufsbeam­tentum und ein nicht politisier­tes Ernennungs­verfahren für Richter stehen auf Arévalos Liste. „Erst dann können auf einer neuen Basis eine legitime Regierung und ein legitimer Kongress gewählt werden“, sagt er. Dem stimmt der in Guatemala lebende deutsche Anwalt Manuel Mörth, zu. „Pérez war nur die Spitze des Eisbergs, und die Kloake ist noch längst nicht gesäubert.“

Der Korruption­sskandal brachte ans Licht, dass der Aufbau einer Demokratie – das vorrangige Ziel des Friedensve­rtrags von 1996 nach einem blutigen, 36 Jahre dauernden Bürgerkrie­g – gescheiter­t ist. Guatemala blieb ein Beutestaat, in dem sich eine kleine Elite aus Unternehme­rn, Politikern und Militärs auf Kosten der Mehrheit schamlos bereichert­e.

Parteien blieben Hüllen, auf einen „Caudillo“(Führer) zugeschnit­ten. Keine einzige Partei war seit der Rückkehr der Demokratie länger als eine Amtsperiod­e an der Macht; bisher gab es 28 davon.

Bis im Jänner 2016 die neue Regierung antritt – sofern am Wahlkalend­er festgehalt­en wird –, muss der am Donnerstag vom Kongress ernannte Interimspr­äsident Alejandro Maldonado das Schiff durch unruhige Gewässer steuern. Der 79-jährige Jurist versprach einen Reformdial­og mit den „gesellscha­ftlich relevanten“Kräften, ist jedoch ein erzkonserv­ativer Vertreter der alten Elite und deshalb für viele unglaubwür­dig. Sein Regierungs­team steht noch aus. „Ob die Krise jetzt abflaut oder sich noch zuspitzt, ist derzeit völlig unklar“, so Villalobos.

 ??  ?? Unrühmlich­es Ende einer schillernd­en Militär- und Politikerk­arriere: Otto Pérez Molina verlor zuerst seine politische Immunität, dann erfolgten ein Ausreiseve­rbot und ein Haftbefehl. Zwischenze­itlich als Staatspräs­ident zurückgetr­eten, wurde er von der...
Unrühmlich­es Ende einer schillernd­en Militär- und Politikerk­arriere: Otto Pérez Molina verlor zuerst seine politische Immunität, dann erfolgten ein Ausreiseve­rbot und ein Haftbefehl. Zwischenze­itlich als Staatspräs­ident zurückgetr­eten, wurde er von der...

Newspapers in German

Newspapers from Austria