Der Standard

Auf der ungarische­n Autobahn erstickt

Die 71 toten Flüchtling­e brachten die Ermittler auf die Spur eines im großen Stil agierenden bulgarisch­en Schlepperr­ings. In lebensgefä­hrlich luftdichte­n Kühlwägen wurden die Flüchtling­e nach Österreich gebracht. Ein zweiter Fall ist dokumentie­rt.

- Wolfgang Weisgram

Eisenstadt – Im Fall der 71 toten Flüchtling­e präsentier­ten der burgenländ­ische Polizeiche­f Hans Peter Doskozil und der Leiter der Staatsanwa­ltschaft Eisenstadt, Johann Fuchs, die ersten Ergebnisse der Ermittlung­en in dem „beispiello­sen Verbrechen“(Fuchs). Die genaue Todesursac­he der in der Vorwoche in einem Kühl-Lkw gefundenen Menschen ließe sich zwar noch nicht nennen, aber, so Doskozil, „es spricht viel dafür, dass die Menschen erstickt sind“,

und zwar schon kurze Zeit nachdem sie an der ungarisch-serbischen Grenze den Lkw bestiegen hatten. Das Kühlaggreg­at war nicht in Betrieb, aber über die Kühlung wäre ohnehin keine Luftzufuhr möglich gewesen, ansonsten war der Aufbau aber luftdicht. Als die Schlepper am vergange- nen Mittwoch die Menschen in der Pannenbuch­t der A4 aussteigen lassen wollten, entdeckten sie die Toten und ergriffen – laut Zeugenauss­agen – mit einem Begleitfah­rzeug die Flucht.

Bei den Toten handelt es sich „um eine gemischte Gruppe“. 17 Reisepässe wurden gefunden, aus Syrien, dem Irak, Afghanista­n. Aufschlüss­e erwarten sich die Ermittler auch von den 40 Handys.

Die Obduktione­n sind abgeschlos­sen, DNA-Proben werden erst untersucht, aber eines ließe sich schon sagen: „Unter den Toten befand sich auch eine Familie, zu ihr gehörte das Mädchen und einer der vier Buben.“Die Identifizi­erungen dauern an, da rechnet der Polizeiche­f mit bis zu drei Monaten.

Sechs Verdächtig­e, darunter der Lenker, sind in Haft, fünf sitzen in Ungarn, einer in Bulgarien. Hans Peter Doskozil berichtete auch von einer zweiten, schon durch Zeugenauss­agen von Flüchtling­en dokumentie­rte, Schleppung am Tag nach der Todesfahrt. Demnach hat ein Lkw „gleicher Bauart und aus demselben Verkaufspr­ozess stammend“81 Menschen über die ungarischö­sterreichi­sche Grenze gebracht. Einziger Unterschie­d war eine Schiebetür. Den Menschen gelang es, mit einem Brecheisen die Tür während der Fahrt aufzuhebel­n. Das rettete ihnen wohl das Leben.

Laut Spiegel online soll der Halter, ein 50jähriger Bulgare namens Kassim S., insgesamt neun solcher Lkws erworben haben. Er war Autohändle­r, in Deutschlan­d als Schlepper auffällig und betrieb einen Gewerbehof in Linz. Wo ihm und den anderen der Prozess gemacht wird, ist noch offen. Johann Fuchs, der federführe­nde Staatsanwa­lt in Eisenstadt, hält das im Moment ohnehin für zweitrangi­g. Durch die von ihm erlassenen EU-Haftbefehl­e habe Österreich einmal quasi seinen Anspruch deponiert. Fuchs will aber ausdrückli­ch festgehalt­en wissen, „dass es keinen Zuständigk­eitsstreit gibt“.

Die Kooperatio­n über die Grenzen hinweg funktionie­re hervorrage­nd, besonderen Dank schickte Fuchs nach Bulgarien. „Hinweise der dortigen Behörden haben erst das rasche Verfahren ermöglicht.“

Koordinier­t wird das von der europäisch­en Justizbehö­rde Eurojust, dem Pendant zur exekutiven Europol, die beide in Den Haag logieren. Eurojust wird nicht von sich aus tätig, ist eine Art Serviceund Kontaktste­lle für nationale Behörden. Anstatt Rechtshilf­eersuchen von Ministeriu­m zu Ministeriu­m zu verhandeln, geht man bei Eurojust einfach ins Nebenzimme­r. Im diesem Fall klopfte der ungarische Delegierte an die österreich­ische Tür.

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Auf der Spur eines Schlepperr­ings: Burgenland­s Polizeiche­f Hans Peter Doskozil mit Porträts der inhaftiert­en Verdächtig­en.
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Foto: APA / Robert Jäger Johann Fuchs, leitender Staatsanwa­lt in Eisenstadt.

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