Auf der ungarischen Autobahn erstickt
Die 71 toten Flüchtlinge brachten die Ermittler auf die Spur eines im großen Stil agierenden bulgarischen Schlepperrings. In lebensgefährlich luftdichten Kühlwägen wurden die Flüchtlinge nach Österreich gebracht. Ein zweiter Fall ist dokumentiert.
Eisenstadt – Im Fall der 71 toten Flüchtlinge präsentierten der burgenländische Polizeichef Hans Peter Doskozil und der Leiter der Staatsanwaltschaft Eisenstadt, Johann Fuchs, die ersten Ergebnisse der Ermittlungen in dem „beispiellosen Verbrechen“(Fuchs). Die genaue Todesursache der in der Vorwoche in einem Kühl-Lkw gefundenen Menschen ließe sich zwar noch nicht nennen, aber, so Doskozil, „es spricht viel dafür, dass die Menschen erstickt sind“,
und zwar schon kurze Zeit nachdem sie an der ungarisch-serbischen Grenze den Lkw bestiegen hatten. Das Kühlaggregat war nicht in Betrieb, aber über die Kühlung wäre ohnehin keine Luftzufuhr möglich gewesen, ansonsten war der Aufbau aber luftdicht. Als die Schlepper am vergange- nen Mittwoch die Menschen in der Pannenbucht der A4 aussteigen lassen wollten, entdeckten sie die Toten und ergriffen – laut Zeugenaussagen – mit einem Begleitfahrzeug die Flucht.
Bei den Toten handelt es sich „um eine gemischte Gruppe“. 17 Reisepässe wurden gefunden, aus Syrien, dem Irak, Afghanistan. Aufschlüsse erwarten sich die Ermittler auch von den 40 Handys.
Die Obduktionen sind abgeschlossen, DNA-Proben werden erst untersucht, aber eines ließe sich schon sagen: „Unter den Toten befand sich auch eine Familie, zu ihr gehörte das Mädchen und einer der vier Buben.“Die Identifizierungen dauern an, da rechnet der Polizeichef mit bis zu drei Monaten.
Sechs Verdächtige, darunter der Lenker, sind in Haft, fünf sitzen in Ungarn, einer in Bulgarien. Hans Peter Doskozil berichtete auch von einer zweiten, schon durch Zeugenaussagen von Flüchtlingen dokumentierte, Schleppung am Tag nach der Todesfahrt. Demnach hat ein Lkw „gleicher Bauart und aus demselben Verkaufsprozess stammend“81 Menschen über die ungarischösterreichische Grenze gebracht. Einziger Unterschied war eine Schiebetür. Den Menschen gelang es, mit einem Brecheisen die Tür während der Fahrt aufzuhebeln. Das rettete ihnen wohl das Leben.
Laut Spiegel online soll der Halter, ein 50jähriger Bulgare namens Kassim S., insgesamt neun solcher Lkws erworben haben. Er war Autohändler, in Deutschland als Schlepper auffällig und betrieb einen Gewerbehof in Linz. Wo ihm und den anderen der Prozess gemacht wird, ist noch offen. Johann Fuchs, der federführende Staatsanwalt in Eisenstadt, hält das im Moment ohnehin für zweitrangig. Durch die von ihm erlassenen EU-Haftbefehle habe Österreich einmal quasi seinen Anspruch deponiert. Fuchs will aber ausdrücklich festgehalten wissen, „dass es keinen Zuständigkeitsstreit gibt“.
Die Kooperation über die Grenzen hinweg funktioniere hervorragend, besonderen Dank schickte Fuchs nach Bulgarien. „Hinweise der dortigen Behörden haben erst das rasche Verfahren ermöglicht.“
Koordiniert wird das von der europäischen Justizbehörde Eurojust, dem Pendant zur exekutiven Europol, die beide in Den Haag logieren. Eurojust wird nicht von sich aus tätig, ist eine Art Serviceund Kontaktstelle für nationale Behörden. Anstatt Rechtshilfeersuchen von Ministerium zu Ministerium zu verhandeln, geht man bei Eurojust einfach ins Nebenzimmer. Im diesem Fall klopfte der ungarische Delegierte an die österreichische Tür.