Foto mit totem Kind entzweit Medien
Ethikdebatte über Veröffentlichung – Türkei ist empört über „barbarischen Westen“
Istanbul/Wien – „Barbarischer Westen“steht in großen Buchstaben über dem Bild von der Leiche des dreijährigen Aylan Kurdi. Die türkischen Zeitungen zeigten sich am Freitag weiter entsetzt über die Tragödie von Bodrum und über die Blockade der Flüchtlinge im rechtsgerichteten Ungarn von Viktor Orbán, mit dem die konservativ-islamische Regierung in der Türkei doch bisher besonders gute Beziehungen unterhielt.
Staatspräsident Tayyip Erdogan und sein Regierungschef Ahmet Davutoglu wandten sich mit scharfen Worten an die türkische Öffentlichkeit. Gewissenlos sei Europa, sagten sie, der Tod der Flüchtlinge in der Ägäis sei „Europas Sünde“. Die Leiche des syrischen Flüchtlingskinds war am Mittwochmorgen am Ufer bei Bodrum entdeckt worden.
Eine türkische Fotografin der Nachrichtenagentur AFP nahm das Bild auf, das dann um die Welt ging. Die Leichen der 27-jährigen Mutter Rihanna und von Aylans fünfjährigem Bruder Ghaled sol- len unweit des Fundorts gelegen sein. Die Flüchtlinge hatten versucht, auf die griechische Insel Kos zu gelangen, doch ihr Boot war gekentert. Nur der Vater der vierköpfigen Familie überlebte.
Er richtete sich mit einem Appell an die Öffentlichkeit. Die gesamte Welt solle dieses Elend sehen: „Damit es nie mehr passiert.“
Medien müssten abwägen
Ob Medien das Foto zeigen sollen, ist Gegenstand heftiger Kontroversen. Im Boulevardblatt Bild war es zu sehen, aber auch im Qualitätsmedium Guardian. Der STANDARD hat sich gegen eine Veröffentlichung entschieden.
Eine einfache Antwort über den Umgang mit solchen Aufnahmen gebe es nicht, sagt Politikwissenschafterin Petra Bernhardt zum STANDARD: „Das müssen Medien in Abwägung von Menschenwürde der Abgebildeten, der Zumutbarkeit für das Publikum, der journalistischen Berichterstattungspflicht und des medienrechtlichen Rahmens entscheiden.“Das sei eine Frage der Selbstpositionierung. Es mache einen Unterschied, „ob ein Bild aufs Cover kommt und somit kein Wegsehen möglich macht oder ob es zum Beispiel online hinter einer Schranke abrufbar ist, wo das Publikum selbst entscheiden kann, ob es das Bild sehen will oder nicht.“
In Österreich steht das Foto etwa auf was bereits zu einer Beschwerde beim Österreichischen Presserat geführt hat. Zu sehen sind nur die Beine des Kindes. Befassen wird sich der Presserat mit der Causa am 15. September. Dann wird entschieden, ob ein medienethisches Verfahren eingeleitet wird.
Bernhardt konstatiert aber einen klaren Unterschied zu jenem Foto mit toten Flüchtlingen, das kürzlich in der veröffentlicht wurde und zu einer Beschwerdeflut beim Presserat geführt hat. „Die Toten wurden in voyeuristischer Weise zur Schau ausgestellt. Rechtfertigungsversuche, nur das Elend zu zeigen, seien „scheinheilig“. (mab, omark)