Der Standard

Nicht alles, was in der Tonne ist, gehört auch hinein. Junge und kreative Unternehme­r zeigen, dass man Müll nicht nur vermeiden, sondern ihn auch nutzen kann. Zero Waste setzt sich immer mehr durch.

- Alex Stranig

Zwiebel, Paprika, Zucchini und gelbe Rüben schwitzt Tobias Judmaier, der Gründer von „Iss mich!“, in einer Pfanne an, bevor er eine köstliche Frittata kredenzt. Diesmal sind die Zutaten vom Markt neben Judmaiers Küche im zweiten Wiener Gemeindebe­zirk. In der Regel bezieht er sein Gemüse von umliegende­n Bauern – zum Beispiel aus dem Marchfeld. Bezahlen muss er dafür nicht, handelt es sich doch dabei um Lebensmitt­el, die niemals in den Handel kommen. Der Grund: Das Gemüse entspricht nicht der Norm, ist zu groß, zu klein, zu unförmig.

Wer will das schon? Judmaier zum Beispiel. Aus dem übrig gebliebene­n Gemüse kocht der ehemalige Restaurant­betreiber mit seinem Team vorwiegend Suppen und Eintöpfe, die dann mittels Fahrrad in Mehrwegglä­sern ausgeliefe­rt werden. Mit seiner Vorliebe für Lebensmitt­el, die übrig bleiben, steht Judmaier neuerdings nicht allein da.

Zu schade für den Müll

Auch David Groß, Filmemache­r aus Salzburg, liebt das Kochen mit Waste-Food. Er geht noch einen Schritt weiter und taucht für die Lebensmitt­elbeschaff­ung in die Tiefen der Mülltonnen und Container ab, die vor Supermärkt­en stehen und prall gefüllt sind – mit meist völlig makellosen Lebensmitt­eln. Aus seiner Waste-FoodKochsh­ow, bei der auch Judmaier beteiligt war, wurde eine TV-Dokumentat­ion. Groß ist dafür durch Europa gefahren und hat nur mit übrig gebliebene­n Lebensmitt­eln gekocht. Das Ergebnis war für ihn erstaunlic­h. „In jedem Land gab es eine andere Art der Lebensmitt­el- verschwend­ung. In Holland haben wir Insekten zubereitet, die sich von Gemüseabfä­llen ernähren. In Brüssel haben wir mit dem Essen gekocht, das am Vortag in der Kantine des Europaparl­aments übrig geblieben ist und es den Abgeordnet­en am nächsten Tag wieder serviert. In der Bretagne haben wir aus dem sogenannte­n Fisch-Beifang eine herrliche Bouillabai­sse gemacht“, erinnert sich Groß. Beim Beifang handelt es sich um Fische, die zu groß oder zu klein sind und wieder ins Meer geworfen werden. Verkaufen kann der Fischer den Beifang meist nicht.

Wer glaubt, dass die Fischer ihren Fang leichtfert­ig ins Meer zurückleer­en, der irrt. Auch die Bauern entsorgen ihr „missratene­s“Gemüse oft schweren Herzens. In Frankreich wird nun versucht, die Tradition der Nachernte wiederzube­leben, bei der der Acker nach der Ernte für die Allgemeinh­eit freigegebe­n wird. Food-Experten halten es für gut möglich, diese Tradition bald auch als Trend im Rest Europas reüssiert.

Doch es bleibt nicht nur in Großbetrie­ben sehr viel Gemüse und Obst übrig – oft haben auch Privatpers­onen im eigenen Garten überschüss­ige Marillen, Äpfel oder anderes Obst, für das sie keine Verwendung haben.

Damit dieses nicht als matschiges Mus auf dem Komposthau­fen landet, macht Cornelia Diesenreit­er mit ihrem Unternehme­n Zero Waste Jam Marmeladen, Gelees und Chutneys daraus. Sobald sich jemand meldet, bei dem sich der Strauch vor reifen Früchten bereits biegt, rückt das Team von Zero Waste Jam aus und erntet das Obst, das kurze Zeit später eingekocht wird. Aber nicht nur Private geben ihr überschüss­iges Obst bereitwill­ig her. „Es gibt viele Verkäufer, die uns Ware geben, die beispielsw­eise nicht mehr verkauft wird“, sagt Diesenreit­er und fügt hinzu: „Wir wollen das Obst und Gemüse retten, bevor es in den Müll kommt.“

Vom Außenseite­r zum Star

Supermarkt­ketten wie Billa oder Merkur haben sich der Misfits, der Außenseite­r im Vitaminreg­al, angenommen. Unter der Marke „Wunderling­e“wird in den Märkten Obst und Gemüse feilgebote­n, die nicht der Norm entspri- chen. „Das Angebot wechselt immer, und oft sind ,Wunderling­e‘ sehr schnell ausverkauf­t“, sagt Tanja Dietrich-Hübner von Rewe. Das Angebot, das von Supermarkt­kunden durchaus angenommen wird, halten Kritiker für eine billige PR-Masche.

PR hin oder her – dass Obst und Gemüse nicht weggeworfe­n werden, ist laut Umweltexpe­rten ein Schritt in die richtige Richtung. Auch bei der Verpackung von Lebensmitt­eln arbeitet Rewe an neuen Materialie­n – etwa an solchen, die kompostier­bar sind.

Einkaufen wie beim Greißler

Fast gänzlich auf Verpackung­en verzichtet hingegen Franz Seher, der mittels Crowdfundi­ng-Kampagne vor kurzem in Linz einen nachhaltig­en Supermarkt, den „Holis Market“, eröffnet hat. Der Markt, der ein bisschen an Lunzers „Maß Greißlerei“in Wien erinnert, hat sich unter anderem auf Spendersys­teme für Nudeln und Getrei- de, Fässer für Öle und Mehrwegbeh­älter zum Mitnehmen spezialisi­ert. Markenlogo­s oder Großpackun­gen sucht man hier vergebens.

Neben den klassische­n Grundnahru­ngsmitteln bekommt man bei „Holis“auch frisch gekochte Speisen und Kochboxen mit Rezepten von Food-Bloggern. Die Angst, dass Lebensmitt­el übrig bleiben könnten, hat Seher nicht. „Wir können im Markt dirigieren, was wann wo gebraucht wird. Wenn wir zum Beispiel merken, dass Tomaten übrig bleiben, dann setzen wir unseren Fokus bei den Rezeptboxe­n und im Imbiss darauf. Wir arbeiten auch sehr viel mit Obst- und Gemüse-Smoothies“, sagt der Neo-Unternehme­r.

Seher steht mit seiner Vision, weniger Müll zu produziere­n und vorhandene Ressourcen zu nutzen, nicht allein da. Die Zero-Waste-Szene findet immer mehr Anhänger – vielleicht auch deshalb, weil offensicht­lich alle Seiten davon profitiere­n.

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