Nicht alles, was in der Tonne ist, gehört auch hinein. Junge und kreative Unternehmer zeigen, dass man Müll nicht nur vermeiden, sondern ihn auch nutzen kann. Zero Waste setzt sich immer mehr durch.
Zwiebel, Paprika, Zucchini und gelbe Rüben schwitzt Tobias Judmaier, der Gründer von „Iss mich!“, in einer Pfanne an, bevor er eine köstliche Frittata kredenzt. Diesmal sind die Zutaten vom Markt neben Judmaiers Küche im zweiten Wiener Gemeindebezirk. In der Regel bezieht er sein Gemüse von umliegenden Bauern – zum Beispiel aus dem Marchfeld. Bezahlen muss er dafür nicht, handelt es sich doch dabei um Lebensmittel, die niemals in den Handel kommen. Der Grund: Das Gemüse entspricht nicht der Norm, ist zu groß, zu klein, zu unförmig.
Wer will das schon? Judmaier zum Beispiel. Aus dem übrig gebliebenen Gemüse kocht der ehemalige Restaurantbetreiber mit seinem Team vorwiegend Suppen und Eintöpfe, die dann mittels Fahrrad in Mehrweggläsern ausgeliefert werden. Mit seiner Vorliebe für Lebensmittel, die übrig bleiben, steht Judmaier neuerdings nicht allein da.
Zu schade für den Müll
Auch David Groß, Filmemacher aus Salzburg, liebt das Kochen mit Waste-Food. Er geht noch einen Schritt weiter und taucht für die Lebensmittelbeschaffung in die Tiefen der Mülltonnen und Container ab, die vor Supermärkten stehen und prall gefüllt sind – mit meist völlig makellosen Lebensmitteln. Aus seiner Waste-FoodKochshow, bei der auch Judmaier beteiligt war, wurde eine TV-Dokumentation. Groß ist dafür durch Europa gefahren und hat nur mit übrig gebliebenen Lebensmitteln gekocht. Das Ergebnis war für ihn erstaunlich. „In jedem Land gab es eine andere Art der Lebensmittel- verschwendung. In Holland haben wir Insekten zubereitet, die sich von Gemüseabfällen ernähren. In Brüssel haben wir mit dem Essen gekocht, das am Vortag in der Kantine des Europaparlaments übrig geblieben ist und es den Abgeordneten am nächsten Tag wieder serviert. In der Bretagne haben wir aus dem sogenannten Fisch-Beifang eine herrliche Bouillabaisse gemacht“, erinnert sich Groß. Beim Beifang handelt es sich um Fische, die zu groß oder zu klein sind und wieder ins Meer geworfen werden. Verkaufen kann der Fischer den Beifang meist nicht.
Wer glaubt, dass die Fischer ihren Fang leichtfertig ins Meer zurückleeren, der irrt. Auch die Bauern entsorgen ihr „missratenes“Gemüse oft schweren Herzens. In Frankreich wird nun versucht, die Tradition der Nachernte wiederzubeleben, bei der der Acker nach der Ernte für die Allgemeinheit freigegeben wird. Food-Experten halten es für gut möglich, diese Tradition bald auch als Trend im Rest Europas reüssiert.
Doch es bleibt nicht nur in Großbetrieben sehr viel Gemüse und Obst übrig – oft haben auch Privatpersonen im eigenen Garten überschüssige Marillen, Äpfel oder anderes Obst, für das sie keine Verwendung haben.
Damit dieses nicht als matschiges Mus auf dem Komposthaufen landet, macht Cornelia Diesenreiter mit ihrem Unternehmen Zero Waste Jam Marmeladen, Gelees und Chutneys daraus. Sobald sich jemand meldet, bei dem sich der Strauch vor reifen Früchten bereits biegt, rückt das Team von Zero Waste Jam aus und erntet das Obst, das kurze Zeit später eingekocht wird. Aber nicht nur Private geben ihr überschüssiges Obst bereitwillig her. „Es gibt viele Verkäufer, die uns Ware geben, die beispielsweise nicht mehr verkauft wird“, sagt Diesenreiter und fügt hinzu: „Wir wollen das Obst und Gemüse retten, bevor es in den Müll kommt.“
Vom Außenseiter zum Star
Supermarktketten wie Billa oder Merkur haben sich der Misfits, der Außenseiter im Vitaminregal, angenommen. Unter der Marke „Wunderlinge“wird in den Märkten Obst und Gemüse feilgeboten, die nicht der Norm entspri- chen. „Das Angebot wechselt immer, und oft sind ,Wunderlinge‘ sehr schnell ausverkauft“, sagt Tanja Dietrich-Hübner von Rewe. Das Angebot, das von Supermarktkunden durchaus angenommen wird, halten Kritiker für eine billige PR-Masche.
PR hin oder her – dass Obst und Gemüse nicht weggeworfen werden, ist laut Umweltexperten ein Schritt in die richtige Richtung. Auch bei der Verpackung von Lebensmitteln arbeitet Rewe an neuen Materialien – etwa an solchen, die kompostierbar sind.
Einkaufen wie beim Greißler
Fast gänzlich auf Verpackungen verzichtet hingegen Franz Seher, der mittels Crowdfunding-Kampagne vor kurzem in Linz einen nachhaltigen Supermarkt, den „Holis Market“, eröffnet hat. Der Markt, der ein bisschen an Lunzers „Maß Greißlerei“in Wien erinnert, hat sich unter anderem auf Spendersysteme für Nudeln und Getrei- de, Fässer für Öle und Mehrwegbehälter zum Mitnehmen spezialisiert. Markenlogos oder Großpackungen sucht man hier vergebens.
Neben den klassischen Grundnahrungsmitteln bekommt man bei „Holis“auch frisch gekochte Speisen und Kochboxen mit Rezepten von Food-Bloggern. Die Angst, dass Lebensmittel übrig bleiben könnten, hat Seher nicht. „Wir können im Markt dirigieren, was wann wo gebraucht wird. Wenn wir zum Beispiel merken, dass Tomaten übrig bleiben, dann setzen wir unseren Fokus bei den Rezeptboxen und im Imbiss darauf. Wir arbeiten auch sehr viel mit Obst- und Gemüse-Smoothies“, sagt der Neo-Unternehmer.
Seher steht mit seiner Vision, weniger Müll zu produzieren und vorhandene Ressourcen zu nutzen, nicht allein da. Die Zero-Waste-Szene findet immer mehr Anhänger – vielleicht auch deshalb, weil offensichtlich alle Seiten davon profitieren.