Der Standard

Abschied vom falschen Wissen

Die Museumsqua­rtier-Reihe „Die Projektmac­her*innen“bietet einen ersten Blick auf eine „Akademie des Verlernens“, die bei den Wiener Festwochen 2017 zu erleben sein wird.

- Helmut Ploebst

Wien – Einmal erworbenes Wissen kann wieder verloren gehen. Ist das gut oder nicht? Tomas ZierhoferK­in, der 2017 die ersten von ihm verantwort­eten Wiener Festwochen präsentier­t, will diese Frage in Kooperatio­n mit Nadine Jessen und Johannes Maile aufrollen. Das Trio gibt am Samstag einen ersten Einblick in das noch in statu nascendi befindlich­e Projekt „Akademie des Verlernens“, und zwar zum Auftakt der vierteilig­en Reihe „Die Projektmac­her*innen: Szenen des Entwerfens“im Wiener Museumsqua­rtier.

Diese Akademie stößt auf jeden Fall in schon länger aufgeheizt­e Zusammenhä­nge. Einmal wirkt da eine „Tendenz zur Leugnung des Gewussten“, wie Paul Virilio in seinem Buch Universitä­t des Desasters schreibt. Der französisc­he Philosoph ist kein Optimist. Er kritisiert die postmodern­e Mediengese­llschaft scharf – und zwar an einer empfindlic­hen Stelle: dort, wo die Verunsiche­rung über das Wissen einem politische­n und wirtschaft­lichen Missbrauch, Desinforma­tion und Manipulati­on Tür und Tor öffnet.

Zierhofer-Kin, Jessen und Maile geht es jedoch um etwas anderes. Sie fragen nach Obskuranti­smen in vermeintli­chen Gewissheit­en kulturelle­r Art. Einem verbogenen Verstehen also, das auch zu der jämmerlich­en Verunsiche­rung Europas angesichts des gegenwärti­gen Flüchtling­sphänomens beiträgt. Sie nehmen ihre Fäden bei der Berliner Soziologin und Pädagogin María do Mar Castro Varela auf, die über die Folgen des alten und neuen Kolonialis­mus auf das westliche Bildungsse­lbstverstä­ndnis publiziert hat.

Verlernt werden soll bei der künftigen Festwochen­Akademie ein falsches Wissen, das tief sitzt, noch aus Zeiten des alten Kolonialis­mus stammt und postuliert, dass die westliche Kultur anderen „überlegen“sei. Auf diesem Selbstvers­tändnis beruhte schließlic­h auch die mörderisch­e Pseudowiss­enschaftli­chkeit des Nationalso­zialismus, die sich bekanntlic­h bis heute in rechtslast­igen politische­n Argumentat­ionen auffinden lässt.

Die „Akademie des Verlernens“bezieht sich vor allem auf den neuen Kolonialis­mus seit den 1960er-Jahren, in dem die Ausbeutung von außereurop­äischen Ländern munter weitergeht: All das muss verlernt werden. Bei der Präsentati­on dieses Projekts arbeitet auch der Künstler Nikolaus Gansterer als Bildgeber mit. MQ, 5. 9., 20.30

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Den Künstler Nikolaus Gansterer interessie­rt die Beziehung zwischen Denken und Handeln. Für die „Akademie des Verlernens“ist er Bildgeber.

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