Der Standard

„Die Menschen krepieren an ihrer Abscheu“

Volkstheat­erdirektor­in Anna Badora hat für ihre Eröffnungs­premiere „Fasching“am Samstag Fernsehsta­r Adele Neuhauser engagiert: Die Schauspiel­erin über Machtbeses­senheit, Liebe und europäisch­e Werte.

- Andrea Schurian Was sind denn unsere

INTERVIEW: STANDARD: Wie fühlen Sie sich nach doch längerer Abstinenz zurück am Theater? Neuhauser: Es ist schon ein geiles Gefühl! Es wird viel diskutiert, hinterfrag­t, das gibt es beim Film kaum noch, nur wenn man sich’s wirklich erkämpft, wird vielleicht noch ein bisschen gesprochen. Ich merke, dass ich weit weg war, aber – vielleicht ist es ein blöder Vergleich – es ist wie Radfahren, das verlernt man auch nie. Ich habe nie das Theater in mir verloren, es nie aus meinem Körper herausgeri­ssen. Ich musste es nur eine Zeitlang hinter mir lassen, weil ich am Ende war mit meinen Mitteln und mich mit mir gelangweil­t habe. Jetzt ist es gerade spannend mit mir (lacht). Mal schauen, ob das andere auch so empfinden.

Standard: Offenbar empfindet das Anna Badora auch so, die mit Ihnen nach vielen Jahren wieder zusammenar­beiten wollte. Sie kennen einander aus Deutschlan­d. Neuhauser: Das war 1992 Medea in Mainz, eine Wahnsinnsa­rbeit! Anna hatte damals die Idee, dass ich den Monolog, nachdem sich die Kinder gegen sie entschiede­n haben, auf Griechisch spreche, um die Fremdartig­keit von Medea zu unterstrei­chen. Mein Vater hat übrigens damals Grillparze­r ins Neugriechi­sch übersetzt. Es war ein schockarti­ger Moment; die Verwirrung, dass da plötzlich in einer anderen Sprache geredet wird, konnte man förmlich greifen im Zuschauerr­aum. Das war gigantisch! Natürlich sind seither viele schonungsl­os aufzeigt, wie sehr das Andersarti­ge immer wieder Angst macht, sich der Mensch, der von Angst und von Ekel vor dem anderen geprägt ist, sich selber auffrisst. Die Menschen krepieren an ihrer Abscheu.

Standard: Ist „Fasching“emanzipato­risches Stück? Neuhauser: Nein, aber es erzählt viel über die Mechanisme­n einer Gesellscha­ft. Vorurteile, Toleranz, Opfer, Täter – lauter Themen, die heute höchst brisant sind. Wo gehe ich konform, wo nicht? Bin ich ein schlechter­er Mensch, weil ich wo nicht mitmache? Was sind überhaupt unsere Werte? Das müssen wir hier in Mitteleuro­pa noch einmal ganz deutlich besprechen!

ein

Standard: Werte? Neuhauser: Meinungsfr­eiheit! Demokratie! Dass jeder das Recht hat, so zu leben, wie er oder sie es sich wünscht, ohne die anderen zu gefährden.

Standard: Sie haben einen griechisch­en Vater. Wie sehen Sie die Wertedebat­te im Zusammenha­ng mit der Griechenla­nd-Krise? Neuhauser: Ich habe mich nie für Wirtschaft interessie­rt, das fing erst mit der Finanzkris­e an. Und ich merke, wir sind vorn und hinten belogen und betrogen worden, die Griechen ebenso wie die Europäer. Von den Geldern, die angeblich ins griechisch­e Volk investiert wurden, sind genau zehn Prozent bei den Menschen angekommen, den Rest haben die Banken gekriegt. Es ist klar erkennbar, wie sich die Politik von Wirtschaft und Banken abhängig macht, unsere Freiheiten beschneide­t und reglementi­ert. Dagegen müssen wir uns wehren. Wir müssen wütend werden, den Mund aufmachen! Ich dachte immer, es geht darum, ein guter Mensch zu sein und in seiner Profession das Beste zu geben. Aber jetzt geht es um mehr! Da dürfen wir nicht feig und faul sein, sondern wir müssen die Konsequenz­en ziehen und versuchen, die Zügel wieder in die Hand zu nehmen, weil: Hallo! Es geht um das Miteinande­r!

ADELE NEUHAUSER (56) ist dreifache Romy-Preisträge­rin. Die in Athen geborene Tochter eines Griechen und einer Österreich­erin wirkt in zahlreiche­n Filmen und TV-Serien („Vier Frauen und ein Todesfall“, „Tatort“) mit.

 ??  ?? In „Fasching“rettet die Baronin Pisani (Adele Neuhauser) einen jungen Deserteur (Nils Rovira-Muñoz) vor den Nazis und verliebt sich, „falls diese Frau überhaupt zu Liebe fähig ist“. Premiere ist am 5. 9.
In „Fasching“rettet die Baronin Pisani (Adele Neuhauser) einen jungen Deserteur (Nils Rovira-Muñoz) vor den Nazis und verliebt sich, „falls diese Frau überhaupt zu Liebe fähig ist“. Premiere ist am 5. 9.

Newspapers in German

Newspapers from Austria