„Die Menschen krepieren an ihrer Abscheu“
Volkstheaterdirektorin Anna Badora hat für ihre Eröffnungspremiere „Fasching“am Samstag Fernsehstar Adele Neuhauser engagiert: Die Schauspielerin über Machtbesessenheit, Liebe und europäische Werte.
INTERVIEW: STANDARD: Wie fühlen Sie sich nach doch längerer Abstinenz zurück am Theater? Neuhauser: Es ist schon ein geiles Gefühl! Es wird viel diskutiert, hinterfragt, das gibt es beim Film kaum noch, nur wenn man sich’s wirklich erkämpft, wird vielleicht noch ein bisschen gesprochen. Ich merke, dass ich weit weg war, aber – vielleicht ist es ein blöder Vergleich – es ist wie Radfahren, das verlernt man auch nie. Ich habe nie das Theater in mir verloren, es nie aus meinem Körper herausgerissen. Ich musste es nur eine Zeitlang hinter mir lassen, weil ich am Ende war mit meinen Mitteln und mich mit mir gelangweilt habe. Jetzt ist es gerade spannend mit mir (lacht). Mal schauen, ob das andere auch so empfinden.
Standard: Offenbar empfindet das Anna Badora auch so, die mit Ihnen nach vielen Jahren wieder zusammenarbeiten wollte. Sie kennen einander aus Deutschland. Neuhauser: Das war 1992 Medea in Mainz, eine Wahnsinnsarbeit! Anna hatte damals die Idee, dass ich den Monolog, nachdem sich die Kinder gegen sie entschieden haben, auf Griechisch spreche, um die Fremdartigkeit von Medea zu unterstreichen. Mein Vater hat übrigens damals Grillparzer ins Neugriechisch übersetzt. Es war ein schockartiger Moment; die Verwirrung, dass da plötzlich in einer anderen Sprache geredet wird, konnte man förmlich greifen im Zuschauerraum. Das war gigantisch! Natürlich sind seither viele schonungslos aufzeigt, wie sehr das Andersartige immer wieder Angst macht, sich der Mensch, der von Angst und von Ekel vor dem anderen geprägt ist, sich selber auffrisst. Die Menschen krepieren an ihrer Abscheu.
Standard: Ist „Fasching“emanzipatorisches Stück? Neuhauser: Nein, aber es erzählt viel über die Mechanismen einer Gesellschaft. Vorurteile, Toleranz, Opfer, Täter – lauter Themen, die heute höchst brisant sind. Wo gehe ich konform, wo nicht? Bin ich ein schlechterer Mensch, weil ich wo nicht mitmache? Was sind überhaupt unsere Werte? Das müssen wir hier in Mitteleuropa noch einmal ganz deutlich besprechen!
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Standard: Werte? Neuhauser: Meinungsfreiheit! Demokratie! Dass jeder das Recht hat, so zu leben, wie er oder sie es sich wünscht, ohne die anderen zu gefährden.
Standard: Sie haben einen griechischen Vater. Wie sehen Sie die Wertedebatte im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise? Neuhauser: Ich habe mich nie für Wirtschaft interessiert, das fing erst mit der Finanzkrise an. Und ich merke, wir sind vorn und hinten belogen und betrogen worden, die Griechen ebenso wie die Europäer. Von den Geldern, die angeblich ins griechische Volk investiert wurden, sind genau zehn Prozent bei den Menschen angekommen, den Rest haben die Banken gekriegt. Es ist klar erkennbar, wie sich die Politik von Wirtschaft und Banken abhängig macht, unsere Freiheiten beschneidet und reglementiert. Dagegen müssen wir uns wehren. Wir müssen wütend werden, den Mund aufmachen! Ich dachte immer, es geht darum, ein guter Mensch zu sein und in seiner Profession das Beste zu geben. Aber jetzt geht es um mehr! Da dürfen wir nicht feig und faul sein, sondern wir müssen die Konsequenzen ziehen und versuchen, die Zügel wieder in die Hand zu nehmen, weil: Hallo! Es geht um das Miteinander!
ADELE NEUHAUSER (56) ist dreifache Romy-Preisträgerin. Die in Athen geborene Tochter eines Griechen und einer Österreicherin wirkt in zahlreichen Filmen und TV-Serien („Vier Frauen und ein Todesfall“, „Tatort“) mit.