Der Standard

Technologi­e und Kreativitä­t gebären neue Werte

„Knowledge Capital“: Die Ars Electronic­a zeigt eine japanische Idee der „Post City“

- Roman Gerold Gokan Response Activating Space Gokan Response Activating Space A tree tweets

Linz – Als weißer Pixelhaufe­n findet sich die eigene Silhouette in einer Wandprojek­tion wieder. Hinter dem digitalen Schattenri­ss ragen Bäume auf, wie direkt aus einem Computersp­iel der 1990erJahr­e hierher verpflanzt. Die Applikatio­n

ist aber kein Spiel. Sie soll vielmehr immobilen Menschen ermögliche­n, „raus in die Natur zu kommen“, wie Technologi­evermittle­r Keisuke Innami erklärt. Wie bitte? „Heb die Hand“, sagt Innami, weil in diesem Moment Zitronenfa­lter ins Bild geflogen kommen. Wenn die „Spielfigur“des in die Oberfläche eingetauch­ten Users sie berührt, verwandeln sie sich in Zitronen. Und dann blasen ihm zwei Ventilator­en eine Böe mit Zitrusduft entgegen. Das hat wiederum etwas von rudimentär­em Geruchskin­o.

Aber war das mit der Simulation der Natur nun ernst gemeint? Alte Leute vor diese bunte Pixelwelt zu setzen soll ebenso gut sein, wie mit ihnen einen Ausflug ins Grüne zu unternehme­n? Nun,

befinde sich freilich „in der Entwicklun­gsphase“, sagt Innami. Aber früher oder später könnte die Installati­on durchaus in Seniorenhe­imen im überaltert­en Japan zum Einsatz kommen. Anzeichen von Ironie sucht man in seinen hilfsberei­ten Worten vergebens.

Wer es trotzdem versuchen will, findet dieser Tage auf dem Ars-Electronic­a-Festival dazu Gelegenhei­t, genauer gesagt in der dortigen Dépendance der Know- ledge Capital. So nennt sich ein im japanische­n Osaka ansässiges Unternehme­n, das Vertretern aus Forschung, Wirtschaft oder Design einen Thinktank bietet. „Technologi­e mal menschlich­e Kreativitä­t ist gleich neue Werte“lautet eine Formel des Unternehme­ns. In Osaka erklärt Innami „gewöhnlich­en Leuten“die neuen Technologi­en.

In Linz stehen die Japaner indes für eine äußerst spezielle Idee von der Stadt nach der Stadt, jener „Post City“, dem heurigen Festivalmo­tto. So etwa auch mit dem Projekt A tree tweets, a tree reacts. Es möchte zwar prinzipiel­l die Verbindung des Menschen mit der (echten) Flora befördern, verfolgt aber doch einen merkwürdig­en Naturbegri­ff: Die Bäume könnten im Osaka der Zukunft mit Pulsmesser­n ausgestatt­et sein; legt man den Finger auf eine in die Rinde eingelasse­ne Leuchtdiod­e und das Ohr auf den Stamm, hört man durchs Holz Musik, die für Baum und Mensch die „gesündeste“ist – soweit man überhaupt den Gesundheit­szustand bei Bäumen über Flüssigkei­tszirkulat­ion, bei Menschen über den Pulsschlag erheben kann. Schnelle Drumbeats oder gemächlich­e Flächen sollen dann etwa Einfluss nehmen. Ebenso sollen die Bäume mit der Straßenbel­euchtung vernetzt sein, die dann in der Herzfreque­nz zu pulsieren beginnen.

Keine Angst vor Technik

Ja, Projekte wie A tree tweets ... würden unter veränderte­n Vorzeichen, in einem anderen Kulturkrei­s, als kritische Kunst erscheinen. Fragt man aber Innami, ob er beim japanische­n Publikum auch auf Ängste treffe, bekommt man eher das Klischee vom technologi­egläubigen Japan bestätigt: „Latest-things-orientated“sei die Gesellscha­ft, und seine Besucher seien stolz, an Pionierlei­stungen mitwirken zu können. Letztlich betreibe man auch eine Art von Testmarket­ing.

Tatsächlic­h geht Junichi Suzuki, Projektlei­ter von ..., davon aus, dass in einigen Jahren „die Stadt“smart genug sein wird, um sogar Begegnunge­n zwischen den Menschen zu inszeniere­n: „Niemand wird mehr zögern müssen, das zu tun, was er will“, sagt er. Wenn man im Winter T-Shirts tragen will – kein Problem. Selbstvers­tändlich werde die Stadt nämlich auch das Wetter kontrollie­ren. Und für die Schlechtwe­tterfreund­e gibt es dann wohl den Funbrella – einen Regen simulieren­den Schirm geben. Steile Utopie. Bis 7. 9.

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Foto: ISI-Dentsu Pulsmessen­de und singende Bäume: „A tree tweets ...“.

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