Eine Suppe für die Frau Minister
Dietlinde Breitfurtner-Brandstätter ist Innenministerin in Österreich und auf dem Weg zu einem wichtigen Fototermin in einem Asylantenheim. Ein Auzug aus dem unfertigen Roman „Das Monster aus der Tiefe“.
Und Sie glauben wirklich, dass das eine gute Idee ist, wenn ich mich mit diesem – wie heißt er noch einmal?“„Chimamanda Nkwongu.“„Wie?“, fragte die Ministerin. „Chimamanda Nkwongu“, wiederholte ihr Pressereferent leicht genervt.
„Schreiben Sie mir den Namen auf, ich kann mir das alles nicht mehr merken. Ich soll mich also tatsächlich mit diesem Nigerianer fotografieren lassen?“
„Ja, Frau Minister, glauben Sie mir, das wird Ihnen viel Sympathie einbringen. Ich habe mit der Leiterin des Asylantenheims bereits alles besprochen. Sie wird die beiden Kinder des Nigerianers so herrichten, dass wir ein richtig schönes Foto zusammenbringen. Ich stelle mir so eine Art Familienfoto vor, wo Sie quasi die Mutterrolle übernehmen. Die Frau von diesem Nkwongu ist ja von BokoHaram-Kämpfern entführt worden. Da werden selbst die Herzen der Kronen-Zeitung- Leser höher schlagen. Der Chefredakteur hat mir übrigens versprochen, dass das Foto morgen auf die Titelseite kommt. Und auch auf Facebook werden bei diesen Fotos viele Daumen nach oben zeigen. Was wollen Sie mehr?“„Na ja, aber warum ausgerechnet ein Nigerianer?“
In Nigeria als Dorflehrer
„Dieser Nkwongu ist der perfekte Vorzeige-Asylwerber. Er ist mit seinen beiden Kindern vor den Islamisten geflüchtet und war ein ganzes Jahr lang unterwegs, um im katholischen Österreich Schutz zu suchen. Außerdem hat er in Nigeria als Dorflehrer gearbeitet. Das ist keine so undurchsichtige Figur wie dieser Afghane, der kürzlich ermordet wurde.“
Die Innenministerin hob abwehrend die Hände. „Dieser Mord darf nicht zur Sprache kommen. Ich habe keine Lust, mich da in die Nesseln zu setzen.“
„Nein, nein“, antwortete Magister Besendorfer. „Das ist ja auch der Grund, weshalb wir diesen Nkwongu als positives Beispiel präsentieren wollen.“
„Aber was ist mit dem Dubliner Abkommen? Wieso ist dieser Nigerianer nicht schon längst nach Italien oder Spanien abgeschoben worden?“
„Aus seinem Akt geht hervor, dass er mit seinen Kindern nur in der Nacht unterwegs war und sie daher von niemandem gesehen werden konnten.“Magister Besendorfer hielt kurz inne. „Sie sind ja schwarz, und in der Nacht –“
Die Ministerin schüttelte den Kopf. „Wenn ich so etwas sage, heißt es gleich wieder, die Breitfurtner-Brandstätter ist eine Rassistin.“Der Pressereferent machte eine entschuldigende Geste. „Aber schrecken Sie sich bitte nicht, der Nigerianer ist nämlich wirklich schwarz. Und zwar pechschwarz. Ich sag’s ja nur.“
Die Innenministerin sah beim Fenster ihres Dienstwagens hinaus und war sich noch immer nicht sicher, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. Oed hieß die Ausfahrt, an der sie gerade vorbeifuhren, und sie fragte sich, weshalb solche Orte im Interesse des österreichischen Fremdenverkehrs nicht einfach umbenannt wurden. Außerdem hatte sie Wallungen. „Zeit für den Wechsel“, ließ ihre Partei gerade überall plakatieren. So einen Slogan konnten sich auch nur Männer ausdenken.
Besendorfer reichte ihr den Zettel mit dem unaussprechlichen Namen. Warum konnte der Mann nicht einen normalen Namen haben? Wie zum Beispiel Dietlinde Breitfurtner-Brandstätter, das konnte sich jeder Depp merken. „Der Ablauf sieht also folgendermaßen aus“, riss Besendorfer die Ministerin aus ihren Gedanken: „Zuerst werden Sie mit einigen Asylwerbern zusammenkommen, da sind die Asylwerber aber nur Staffage. Das eigentliche Treffen mit Nkwongu und seinen beiden Kindern findet anschließend im Beisein ausgewählter Medienvertreter in der Küche des Asylantenheims statt.“
„In der Küche? Warum ausgerechnet in der Küche?“Der Ministerin schwante Übles. „Na ja, Nkwongu möchte unbedingt eine nigerianische Spezialität für Sie kochen. Das bringt noch ein paar zusätzliche Pluspunkte. Vergessen Sie nicht, dass die Leute ganz verrückt sind nach Koch-Events.“
„Um Gottes willen, muss ich das Zeug auch essen?“Der Ministerin wurde jetzt schon schlecht, wenn sie daran dachte, dass sie die Leibspeise eines nigerianischen Asylwerbers essen musste. Und das womöglich auch noch vor laufender Kamera. Sie bevorzugte österreichische Hausmannskost und hielt nicht viel von kulinarischen Experimenten. Na gut, eine Pizza oder einen Döner Kebab aß sie schon ab und zu, aber das war’s dann auch schon wieder. „Was kocht er denn, der –“Sie sah auf den Zettel. „Chima-manda Nkwongu.“„Ein traditionelles Eintopfgericht aus Nigeria. Es nennt sich Egusi Soup, ist aber keine Suppe im herkömmlichen Sinn.“
Villa des Containerherstellers
„Aha.“Die Ministerin warf ihrem Pressereferenten einen skeptischen Blick zu. „Und wann sind wir mit dem ganzen Tamtam dort fertig? Vergessen Sie nicht, dass ich um zwanzig Uhr einen wichtigen Termin habe.“Besendorfer verzog das Gesicht. Dass seine Vorgesetzte in der Villa eines Containerherstellers zum Abendessen eingeladen war, während er mit dem Zug nach Wien zurückfahren musste, kränkte ihn zutiefst. „Das geht sich alles aus, keine Angst“, murmelte er kurz angebunden.
„Anikulapo, komm her, und hilf mir beim Zwiebelschneiden.“Chimamanda Nkwongu sah auf die alte Uhr, die an der vergilbten Tapetenwand hing. „In zwei Stunden müssen wir fertig sein.“
Der Junge war gerade dabei, sein Hemd zuzuknöpfen, das er von der Leiterin des Asylantenheims bekommen hatte. Seine Schwester Ayesha stand vor der Fensterscheibe, die sie als Spiegel benutzte, und flocht sich Zöpfchen. Der Junge nickte und ging zum Tisch. Er musste sich auf die Zehenspitzen stellen, damit er das Schneidbrett überhaupt erreichen konnte. Wenn sie unter sich waren, unterhielt sich Chimamanda Nkwongu mit seinen Kindern auf Kanuri. Es war die Sprache der gleichnamigen Volksgruppe, der sie angehörten.
Das Mädchen soll lachen
Auf dem Tisch lagen die Zutaten für die Egusi Soup, die Nkwongu mit einem zufriedenen Lächeln betrachtete. Er hatte lange überlegt, durch welches Tier er die Buschratte ersetzen sollte, und war schließlich auf die Bisamratte gestoßen. Bei seinen illegalen Angelausflügen hatte er diese Tiere oft gesehen, und da er ein geübter Jäger war, war es für ihn ein Leichtes gewesen, diese Ratten zu erlegen. Und wenn man ihn fragte, welches Fleisch er für die Egusi Soup verwendete, würde er sagen: Ziegenfleisch, Rindfleisch und Geflügel. Aufgrund der vielen Zutaten wie Reis, Erbsen, Tomaten, Paprika, Mais und Yamswurzeln würde kein Mensch auf die Idee kommen, dass sich in der Egusi Soup auch das Fleisch von drei Bisamratten befand.
Als er die getrockneten Melonenkerne in den Topf leerte, begann Ayesha plötzlich zu weinen. Sie setzte sich auf den Boden und verbarg ihr Gesicht in den Händen. „Was ist denn los?“, fragte Nkwongu, obwohl er die Antwort längst kannte. „Wegen Mama“, schluchzte das Mädchen. „Sie hat ja immer die Melonenkerne in die Suppe getan.“Nkwongu seufzte und hob das Mädchen auf. „Wo ist die Mama jetzt?“, fragte Ayesha mit tränenerstickter Stimme. „Du hast gesagt, dass sie bald zu uns kommen wird.“
Anikulapo stand am Herd und beobachtete aufmerksam die Szene. Nkwongus Herz schnürte sich zusammen, als er seine beiden Kinder ansah. „Sie ist noch zu Hause, aber ich verspreche euch, dass wir sie bald wiedersehen werden.“„Wann?“, fragte Ayesha trotzig. Noch bevor Nkwongu etwas sagen konnte, betrat die Leiterin des Asylantenheims die Küche. „Wie weit sind Sie mit den Vorbereitungen?“Nervös zupfte sie an ihrer frisch gebügelten Bluse und hoffte inständig, dass die Innenministerin keine Vegetarierin war. Aber das hätte ihr deren Pressereferent sicherlich gesagt. Chimamanda Nkwongu deutete auf den Topf. „Es alles gut“, sagte er in seinem kaum verständlichen Deutsch.
Die Leiterin des Asylantenheims fand, dass die Suppe gar nicht so schlecht roch. Sie warf Ayesha einen besorgten Blick zu. „Das Mädchen soll lachen,
Dass seine Vorgesetzte in der Villa eines Containerherstellers zum Abendessen eingeladen war, während er mit dem Zug nach Wien zurückfahren musste, kränkte ihn zutiefst.
ALBUM Mag. Christoph Winder (Redaktionsleitung) E-Mail: album@derStandard.at