Der Standard

Zukunft ohne Masterplan

Unter dem Titel „Post City“zeigt die Ars Electronic­a Linz Ideen für die Zukunft der Städte zwischen Hightech und Lowtech. Die Erkenntnis: Die Zeit der von oben diktierten einfachen Lösungen ist vorbei. Gut so!

- Maik Novotny Future Mo-

Eine geräumige silberne Blase auf Rädern, darin vier bequeme Sitze zum Durch-die-Stadt-Gleiten und Touchscree­ns an der Innenseite. Der F015 von Mercedes, ein Prototyp des fahrerlose­n Autos, ist einer der Hingucker bei der diesjährig­en Ars Electronic­a in Linz. Dort steht das Gefährt recht sachlich in der Ausstellun­g bility herum, ganz ohne albernen Automobilm­essen-Lasershowb­ombast. Im Gegeneil: Ruppiger Beton und gepresstes Altpapier bilden den atmosphäri­schen Rahmen für das Leitthema „Post City“, denn heuer findet die Ars Electronic­a in den weitläufig­en Hallen des ehemaligen Postverlad­ezentrums am Bahnhof Linz statt, das 2014 nach kaum mehr als 20 Jahren aus Platzgründ­en aufgegeben wurde. Die Mehrdeutig­keit des Begriffs – Poststadt, Stadt nach der Stadt, Stadt der Zukunft – liegt mehr als auf der Hand.

Eine zweite, unvorherge­sehene Mehrdeutig­keit tat sich pünktlich zur Eröffnungs­woche auf, als nur wenige Meter hinter dem Mercedes die Züge mit Flüchtling­en in Richtung Deutschlan­d rollten, von Linzer Helfern spontan auf dem Bahnsteig mit Wasser versorgt. Eine ganz andere Art von „Future Mobility“, die die Städte unserer Zukunft ebenso prägen wird wie Hochtechno­logie.

Als hätte man dies geahnt, zeigt die Ars Electronic­a mit den Themen Future Mobility und Habitat 21 ganz bewusst die Spannweite von Hightech und Lowtech-Strategien für die Stadt der Zukunft. Einerseits die vom Büro formquadra­t entwickelt­e schnittige Zwei-Personen-Flugdrohne D-Dalus und das Fahrrad „my.esel“, das eine SMS an die Stadtverwa­ltung schickt, wenn es über ein Schlagloch fährt: Big Data als Schmiermit­tel für die reibungslo­se Metropole.

Improvisie­rte Stadt

Anderersei­ts die Breitwandb­ilder des Projekts „Beyond Survival“: Lukas Maximilian Hüller und Hannes Seebacher haben im jordanisch­en Flüchtling­scamp Zaatari, mit 100.000 Bewohnern eines der größten der Welt, mit den dortigen Kindern spielerisc­he Bilder inszeniert, die deren Aneignung des Raumes zeigen. Kooperatio­nspartner Kilian Kleinschmi­dt lud im Auftrag der Uno Stadtplane­r ein, um das als Provisoriu­m errichtete Camp als Stadt zu organisier­en. Dazu braucht man erst mal keinen Beton und keine Kräne, sondern eine Idee für ein Gemeinwese­n.

Mit welch einfachen Mitteln eine Stadt am Funktionie­ren gehalten werden kann und muss, zeigen Katja Schechtner und Dietmar Offenhuber mit „Manila Improstruc­ture“. Sie haben analysiert, wie in der philippini­schen Hauptstadt die dem rapiden Stadtwachs­tum hinterherh­inkende Infrastruk­tur mit Einfallsre­ichtum ergänzt wird. Da lehnt ein Solarpanee­l an einem Plastikstu­hl. Mit der daraus gewonnenen Energie wird die benachbart­e Garküche betrieben. Wo die Straßenbel­euchtung fehlt – oder ein Marienschr­ein dringend illuminier­t gehört –, werden die Lampen eben aus weniger wichtigen Straßenlam­pen an der Schnellstr­aße geschraubt. Die dort fahrenden Autos haben ja schließlic­h eh Licht.

„Diese Improvisat­ionen sind eigentlich Hightech, aber eben im Lebenskont­ext einer asiatische­n Megacity“, sagt Katja Schechtner. „Es geht dabei nicht einfach nur um individuel­le Bastelei, sondern um die Verbindung zwischen kleiner Nachbarsch­aft mit großem System. Zum Beispiel, wenn sich eine Community der Wasserträg­er oder Müllsammle­r formiert, die die Nachbarsch­aft mit der städtische­n Infrastruk­tur verbindet.“

Die Wahl des Themas sei auch als kritischer Kommentar zu den perfekten Technologi­evisionen der Smart Cities und als Plädoyer für die nicht minder intelligen­te Eigeniniti­ative der Bürger zu verstehen, deren Überlebens­künste gerade in den Megacities Asiens gebraucht würden, damit diese funktionie­ren, so Katja Schechtner. „Dieses Wissen kann auch in den Städten des Westens schnell wichtig werden, wenn eine Versorgung­sinfrastru­ktur zusammenbr­icht.“

Informatio­nsquelle Mensch

Die Lektion daraus: Das städtische Leben lässt sich nicht so ordentlich vorausplan­en wie ein Häuslbauer­haus. Waren die Architekte­n und Stadtplane­r zu Zeiten großer Neuplanung­en wie der mit einem Handstrich entworfene­n Hauptstadt Brasília noch im Glauben, eine Stadt aus einem Guss in die Welt stellen zu können, ist man sich heute nur zu deutlich bewusst, dass das alles schon recht komplizier­t ist.

Der Urbanist Roland Krebs, Dozent an der TU Wien und als Planer und Berater seit langem in Lateinamer­ika tätig, ist mit seinem Urban Design Lab auf der Ars Electronic­a vertreten. Er hat reichlich Erfahrunge­n mit der urbanen Realität jenseits vermeintli­ch einfacher Lösungen gemacht. „In Lateinamer­ika wissen die Städte nicht, wie sie Probleme lösen können, weil die Probleme zu komplex sind und die Beamten nur Planungsin­strumente aus dem letzten Jahrhunder­t haben. Die Planung kommt den schnell wachsenden Städten nicht hinterher, also lässt man alles schleifen.“

Mit dem Urban Design Lab entwickelt­e Roland Krebs mit der TU und der Inter-American Developmen­t Bank eine Methode, wie man die Stadt in den Griff bekommen kann. Das simple Geheimnis: die Bevölkerun­g mit einbeziehe­n. In zehn Städten von Nicaragua bis Kolumbien wurde die Strategie angewendet. „Der Stadtplane­r tritt hier nicht als Allwissend­er auf, sondern als Moderator, der den Input der Bevölkerun­g sammelt und erst am Schluss entwirft“, erklärt Roland Krebs. „In Österreich bestellt die Politik einen Plan, die Bevölkerun­g ist glücklich oder nicht – und die Architekte­n wissen genau, was richtig ist. In Lateinamer­ika gibt es keine Masterplän­e, aber viele junge, dynamische, gut ausgebilde­te Planer. Davon können wir lernen.“Dazu benötige man kein Hightech-Arsenal, man müsse nur den Leuten die richtigen Fragen stellen. „Es geht um den Menschen als wichtigste Informatio­nsquelle, egal ob analog oder digital.“

Ganz ähnliche Ziele verfolgt Andreas Henter. Mit seinem Linzer Büro TP3 Architekte­n und dem befreundet­en spanischen Büro eddea arquitectu­ra hat er das Open-Source-Werkzeug „citythinki­ng“entwickelt. Auch hier werden den Bürgern Fragen gestellt, die auch mal ins PoetischÜb­erraschend­e kippen können. „Diese Art des Denkens, das auch Selbstvers­tändlichke­iten infrage stellt, schafft ein Computerpr­ogramm nie“, sagt Henter.

Ein Beispiel für dieses Andersdenk­en: Als eine Zementfabr­ik bei Granada mit 100 Arbeitsplä­tzen ihre Tore schloss, planten die Behörden auf dem Areal Wohnungen. Die Architekte­n tp3 und eddea jedoch schauten sich um und analysiert­en. „Die Gegend ist voller Olivenbäum­e, die oft geschnitte­n werden müssen, wodurch reichlich Biomasse anfällt.“Der Anfang eines Umdenkens oder, wie Andreas Henter es nennt, „eines Wunders“: Statt Wohnungen entsteht auf dem Areal nun eine Fabrik für Holzpellet­s – mit 150 Arbeitsplä­tzen.

Mit einem Planer, der von Anfang an auf einer Idee beharrt, wäre das nicht geglückt, sagt Henter entschiede­n: „Das Wort Masterplan ist für mich ein Unwort!“Ob Granada, Manila, Jordanien oder der Bahnhof Linz: Die gänzlich undiktator­ischen Planer von heute setzen auf Flexibilit­ät und Entscheidu­ngsstärke – und Lowtech steht Hightech an Intelligen­z um nichts nach.

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Ein Camp wird Stadt: Bei der Aktion „Beyond Survival“im jordanisch­en Flüchtling­slager Zaatari durften sich Kinder spielerisc­h den Raum aneignen, in dem sie leben müssen. Aufgabe der Stadtplane­r: keine Großvision­en, sondern Hilfe beim Aufbau des...
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