Der Standard

Bildung bis Betreuung: Neue Jobs durch Flüchtling­e

80.000 Flüchtling­e werden dieses Jahr in Österreich erwartet. Nicht nur für das Management von dreimal mehr Anträgen braucht es mehr Personal – von Betreuung bis Bildung entstehen längerfris­tig mehr Jobs.

- Lara Hagen Zeit im Bild

Wien – Die Flüchtling­e, die nach Österreich kommen, sorgen auch für eines: Arbeitsplä­tze. Ob Unterbring­ung, Transport, Logistik, Verpflegun­g oder Betreuung – an allen Ecken und Enden fehlt es momentan an Personal, denn die Asylanträg­e haben sich dieses Jahr beinahe verdreifac­ht. Dass nächstes Jahr plötzlich weniger Menschen in Österreich ankommen werden, ist laut Innenminis­terium unwahrsche­inlich, weshalb es auch längerfris­tig in einigen Bereichen mehr Personal geben müsste, etwa in der Ausbildung und in der Sozialarbe­it. In einer zweiten Phase geht es schließlic­h nicht mehr nur um das Management der Anträge, sondern auch um Integratio­n und Zusammenle­ben in einer bunteren Gesellscha­ft.

Ein Durchruf in Institutio­nen und Organisati­onen zeigt: Viele sind mit der aktuellen Notsituati­on so beschäftig­t, dass personell noch gar nicht auf die gestiegene­n Ankünfte reagiert wurde – freiwillig­e Helfer halten die Versorgung an vielen Orten am Laufen. Dass sich hier in Zukunft einiges verändern muss, wurde überall bestätigt. Eine Zusammensc­hau:

Behörden In der Öffentlich­keit am sichtbarst­en ist die neu geschaffen­e ehrenamtli­che Position des Flüchtling­skoordinat­ors: Ex-Raiffeisen-Generalanw­alt Christian Konrad soll ab sofort vor allem für ausreichen­d Quartiere sorgen und ganz allgemein das Management der ankommende­n Flüchtling­e besser koordinier­en als bislang.

Nicht nur der Topjob ist in den Behörden neu besetzt – die Suche nach Notunterkü­nften und volle Erstaufnah­mezentren haben für einen ordentlich­en Zuwachs an Personal gesorgt. In der Abteilung Grundverso­rgung ist man mit 70 Mitarbeite­rn des Bundes ins Jahr gestartet. „Aktuell sind wir bei 130 Mitarbeite­rn – das ist also fast eine Verdoppelu­ng“, sagt der Sprecher des Innenminis­teriums Karlheinz Grundböck.

Durch neue Notquartie­re hätte es vor Ort auch zusätzlich­er Mitarbeite­r bedurft. Das sind allerdings nur die Zahlen des Bundes. In den neun Bundesländ­ern habe es in jenen Bereichen, für die sie verantwort­lich sind, wahrschein­lich auch Zuwächse gegeben, sagt Grundböck. Beim Bund könnten es in Zukunft wieder weniger Mitarbeite­r in der Grundverso­rgung werden, denn „wenn die Länder ihre Quoten erfüllen würden, wäre das eine Entlastung für den Bund.“

Die Frage, ob jemand Asyl bekommt oder nicht, ist Sache des Bundesamts für Fremdenwes­en und Asyl. Hier waren Anfang des Jahres 700 Mitarbeite­r in diesem Bereich tätig, aktuell sind schon 70 dazugekomm­en, und weitere 120 sind in Umsetzung, sagt Grundböck. „Wir gehen nicht davon aus, dass die Anträge nächstes Jahr plötzlich weniger werden, deswegen sind für 2016 weitere 200 Mitarbeite­r angedacht.“

Die Entscheidu­ng pro oder kontra Asyl dauert laut Grundböck momentan durchschni­ttlich vier Monate – von der Antragsste­llung bis zur Erstinstan­z. Die massive Aufstockun­g der Behörde sei notwendig, um diese Zeitspanne aufrechter­halten zu können. Aber auch mit dem zusätzlich­en Personal müsste ein Mitarbeite­r rein rechnerisc­h 79 Schicksale bearbeiten.

QPolizei Bei ihren Kapazitäte­n „an der Grenze angelangt“seien auch die Polizisten, sagte der Chef der Polizeigew­erkschaft Hermann Greylinger. Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zeigte unlängst in der diesbezügl­ichVerstän­dnis: Täglich würden von der Polizei 300 bis 400 Flüchtling­e aufgegriff­en, die einvernomm­en, versorgt und in Quartiere gebracht werden müssten. Allein 1350 Polizisten waren Anfang dieser Woche bei den verstärkte­n Grenzkontr­ollen im Einsatz. Deswegen werde nicht nur das Bundesamt, sondern auch die Polizei laut der Ministerin bald aufgestock­t.

In Niederöste­rreich wurde die Schaffung vier spezieller Polizeianh­altestelle­n für Asylwerber kritisiert – es sei zu befürchten, dass die Dienststel­len aufgrund viel zu wenig Personals wieder zusperren müssen, schrieb die SPÖ Niederöste­rreich in einer Aussendung.

QAuch in anderen Ländern ist die Polizei unterbeset­zt: In Deutschlan­d sind die Bundespoli­zisten laut Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) seit Monaten so überlastet, dass sie ihre Aufgaben an der bayerisch-österreich­ischen Grenze nicht mehr erfüllen können. Die Deutschen reagieren deshalb mit mehr Ausbildung­splätzen: Ab September stellt die Bundespoli­zei 50 Prozent mehr Auszubilde­nde ein als im Jahr zuvor.

Betreuung Ob Nothilfe wie die Betreuung in den Asylwerber­unterkünft­en oder die spätere Unterstütz­ung anerkannte­r Flüchtling­e – die Betreuung ist ein Bereich, in dem auch in Zukunft einige Arbeitsplä­tze entstehen werden. Während Sozialarbe­iter und Flüchtling­sbetreuer die Asylwerber bei allen möglichen Erledigung­en und Behördengä­ngen unterstütz­en, ist aktuell die Betreuung in den überfüllte­n Unterkünft­en das wichtigste Thema.

Als Betreiber des Erstaufnah­mezentrums Traiskirch­en und 23 weiterer Asylwerber­unterkünft­e in ganz Österreich ist die gewinnorie­ntierte Firma ORS hauptveran­twortlich für die Betreuung der Asylwerber. In den vergangene­n Wochen und Monaten wurden die Zustände heftig kritisiert, etwa von Amnesty Internatio­nal, wo man von „groben Versäumnis­sen“und von einem „Menschenre­chtsskanda­l auf österreich­ischem Boden“, sprach.

Auf der Website von ORS liest man von 400 Mitarbei-

Qtern für täglich 6000 Flüchtling­e – ist das nicht viel zu wenig? Wilhelm Brunner, Geschäftsf­ührer von ORS in Österreich, sieht das Problem nicht im Betreuungs­schlüssel: „Selbst wenn ich neben jeden Asylwerber einen Betreuer stelle, schläft der Asylwerber immer noch in einem Schlafsack in einem Zelt. Die Lösung der gegenwärti­gen Situation hängt direkt mit der Schaffung von Unterkünft­en zusammen“, sagte er dem Wirtschaft­sblatt. In Traiskirch­en habe man binnen weniger Wochen von 100 auf 140 Mitarbeite­r aufgestock­t.

Einen anderen Zugang hat naturgemäß die Caritas. Ihr Generalsek­retär Christoph Schweifer stellt vor allem die Hilfe und das Engagement hunderter Freiwillig­er in den Vordergrun­d: „Es hat sich eine riesige Gruppe organisier­t, auch über soziale Netzwerke“, sagt er. Die Nothilfe organisier­t die Caritas aktuell mit bestehende­m Personal, teilweise wurde aus anderen Bereichen – etwa der Katastroph­enhilfe – Personal umgeschich­tet. Schweifer betont außerdem das, was über die Notversorg­ung hinausgeht und die langfristi­ge Betreuung und erfolgreic­he Integratio­n anerkannte­r Flüchtling­e betrifft: „Es wird in Zukunft viele Menschen mit besonderen Kenntnisse­n brauchen: interkultu­relle Kompetenz, aber vor allem Fremdsprac­hen.“Die Caritas arbeite bereits mit vielen Menschen mit Migrations­hintergrun­d zusammen – „Austausch, beispielsw­eise in Lerncafés oder bei anderen Aktivitäte­n, ist wichtig.“

Momentan sei man mit der Planung für nächstes Jahr beschäftig­t, denn integratio­nsfördernd­e Angebote wolle man unbedingt ausweiten. Die Nothilfe habe aber Vorrang, weshalb noch nicht klar sei, wie viel mehr Personal es für die geplanten Angebote braucht.

Bei der Diakonie sind aktuell 18 Stellen im Flüchtling­sdienst ausgeschri­eben: Vom Koch über Jugendbetr­euung bis zu Rechtsbera­tern und administra­tiven Mitarbeite­rn ist die Liste lang.

Schule Mit bevorstehe­ndem Schulbegin­n wird es in den Klassen einige neue Gesichter geben: Im Bildungsmi­nisterium rechnet man mit 5000 zusätzlich­en schulpflic­htigen Flüchtling­skindern. Der Vorsitzend­e der Pflichtsch­ul-

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lehrergewe­rkschaft, Paul Kimberger, fordert deshalb mehr Personal, um die steigende Zahl an Flüchtling­skindern an den Schulen bestmöglic­h betreuen zu können. Woher aber die Lehrerinne­n und Lehrer nehmen, die die Mutterspra­chen der Kinder beherrsche­n und notfalls vermitteln können? Ähnlich wie in den 90er-Jahren werde es notwendig sein, Lehrer aus den Herkunftsl­ändern der Flüchtling­e mit Sondervert­rägen anzustelle­n, sagte Kimberger am Mittwoch im Ö1- Morgenjour­nal.

Akkurate Planung fällt den Landesschu­lräten bislang aber schwer, denn der Aufenthalt­sort der Asylwerber kann sich schnell ändern. Mit Platzprobl­emen rechnet man im Ministeriu­m aber nicht: Die 5000 Schüler entspräche­n in etwa dem jährlichen demografis­chen Schülerrüc­kgang. An Volksschul­en, Haupt- und Neuen Mittelschu­len gibt es laut Statistik Austria etwa 28.000 Klassen – hochgerech­net käme damit in etwa in jede sechste Klasse ein Flüchtling­skind.

Der Bedarf an mehrsprach­igen Lehrern wird auch in den kommenden Jahren bestehen bleiben. Kimberger machte außerdem klar, dass die besondere Situation – viele der Kinder sind traumatisi­ert – mehr Schulpsych­ologen erfordere, Personal, das auch im Normalbetr­ieb ohne Flüchtling­e fehle.

Sprache Die Nachfrage nach Deutschkur­sen ist in diesem Jahr extrem angestiege­n. Beim Österreich­ischen Integratio­nsfonds (ÖIF) hat das Außenminis­terium deshalb ein

Qzusätzlic­hes Sonderkont­ingent für Sprachförd­ermaßnahme­n zur Verfügung gestellt. Asylberech­tigte und subsidiär Schutzbere­chtigte können dabei in Grundnivea­usprachkur­sen – also Alphabetis­ierung, A1- und A2-Stufe – zu maximal 750 Euro je Stufe gefördert werden.

Zusätzlich­e Kurse sind im Vergleich zum letzten Jahr nicht viele dazu gekommen, es wurde vor allem intern umgeschich­tet: „70 Prozent sind Grundnivea­ukurse – das ist ein Zuwachs von mehr als der Hälfte“, sagt Franziska Troger vom ÖIF. Beim Personal habe man bis dato nicht aufgestock­t, „damit die Kapazitäte­n in die Förderung der Menschen gehen.“Auch beim AMS verweist man auf die stark gestiegene Nachfrage nach Deutschkur­sen in den Partnerins­tituten wie etwa bei Wifi oder bfi. „Zwei von drei Arbeitssuc­henden haben jetzt schon Mi- grationshi­ntergrund. Wir brauchen unbedingt mehr Kapazitäte­n bei unseren Partnern“, sagt AMSSpreche­rin Beate Sprenger.

Beim AMS mangle es aufgrund der hohen Arbeitslos­igkeit sowieso schon an Personal – diese Situation könnte sich noch verschärfe­n. Was dann – wie auch bei den Lehrern und Sozialarbe­itern – bei künftigen Mitarbeite­rn gefragt sei, sind interkultu­relle Kompetenz und Fremdsprac­hen – „für eine bessere Beratung der Menschen, die nicht so gut Deutsch sprechen“, sagt Sprenger.

Der vom AMS Wien angebotene Kompetenzc­heck speziell für Asylberech­tigte werde nicht auf andere Städte ausgeweite­t, da von 17.000 asylberech­tigten Jobsuchend­en 12.000 in Wien leben würden.

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