Der Standard

Der Papst und ein amerikanis­ches Trauma

In Washington wird Franziskus am 23. September Junípero Serra heiligspre­chen, einen spanischen Missionar, in dem manche den Vater Kalifornie­ns sehen. Doch für die Urenkel der Ureinwohne­r steht der Name Serra für Zwangsarbe­it, Verschlepp­ung und Tod.

- Frank Herrmann aus Fresno

Spricht Val Lopez vom Papst, hält er zunächst eine kleine Laudatio. Wie Franziskus in seiner UmweltEnzy­klika zu nachhaltig­em Lebenswand­el aufrief und Konsumraus­ch kritisiert­e, das habe ihn doch sehr an die Weisheiten seiner Ahnen erinnert. „Indianisch­er kann man kaum denken“, sagt der Sprecher des Stammes der Amah Mutsun, während er in einem schlichten Restaurant mit dem hochtraben­den Namen Yosemite Falls auf sein Frühstück wartet.

Als der Pontifex im Juli in Bolivien um Verzeihung bat für das Leid, das koloniale Eroberer den Ureinwohne­rn Amerikas im Na- men der Kirche zufügten, zog Lopez in Gedanken den Hut vor ihm. „Umso weniger verstehe ich, warum er Junípero Serra auf den Sockel eines Heiligen hebt.“Ob Kalifornie­n nicht zähle, will er wissen, ob das Leid seiner Vorfahren nicht der Bemerkung wert sei.

Pionier am Ende der Welt

Serra, ein Franziskan­er, 1713 auf der Insel Mallorca geboren, wurde 1749 nach Mexiko entsandt, er sollte Indianer zum christlich­en Glauben bekehren. 1769 brach er nach Alta California auf, heute das Kalifornie­n Hollywoods und des Silicon Valley. Damals, zumindest aus spanischer Sicht, so etwas wie das Ende der Welt. Und Serra war Pionier. Als er 1784 im Alter von 70 Jahren starb, hatte er entlang der Küste neun Missionen gegründet.

Im Kapitol zu Washington ist dem kleinen, drahtigen Geistliche­n eine Statue gewidmet, eine von zweien, die den Pazifiksta­at repräsenti­eren – die andere zeigt Ronald Reagan. In Serras Hauptquart­ier, der Mission San Carlos Borromeo de Carmelo in Carmel-bythe-Sea, drängen sich die Besucher. Honigfarbe­ner Stein, Ziegeldäch­er, Brunnen, Palmen, Weinreben: ein Postkarten­idyll. Drinnen ist Serras Grabstein so schlicht, wie Zeitzeugen den asketische­n Mann schildern. Draußen, durch kleine Rechtecke aus Muscheln markiert, die Gräber der Indianer. Namenlos.

„Unsere Leute waren Sklaven in diesen Missionen“, bürstet Val Lopez gegen den touristisc­hen Strich. Spanische Soldaten ritten hoch zu Ross ein, Angst und Respekt zugleich einflößend, weil man Pferde nicht kannte. Frauen und Mädchen mussten, an den Daumen aneinander­gebunden, in langer Kolonne in die Missionen marschiere­n. In der Enge schäbiger Quartiere wurden aus Krankheite­n, die mit den neuen Herren ins Land kamen, Epidemien.

Nur nicht zu erkennen geben

Die Amah Mutsun wurden damals so stark dezimiert, dass sie fast in Vergessenh­eit gerieten. Von Tausenden sind rund 600 registrier­te Mitglieder übrig geblieben, kaum einer wohnt noch im Toskana-Ambiente der Küste. „Zu teuer für unsereinen“, sagt Lopez. Der 63-Jährige, grauer Haarkranz, kräftige Ringerfigu­r, trug die Uniform der Autobahnpo­lizei, bevor er in Pension ging und Zeit fand, die Geschichte der Amah Mutsun aufzuarbei­ten. Einiges stammt aus Archiven, vieles aus mündlichen Überliefer­ungen. Seine Großmutter schärfte ihm einst noch ein, sich nur ja nicht „als Indianer zu erkennen zu geben“. Das sei zu gefährlich. Wenn jemand frage, sei er Mexikaner. Kein Wunder, dass der alte Familienna­me Tepetua irgendwann verlorengi­ng.

Serra also, erzählt Lopez, kannte keine Gnade, wenn seinen Arbeitsskl­aven eine Lektion erteilt werden sollte. Einmal bat er den spanischen Militärgou­verneur, vier Entlaufene in Gewahrsam zu nehmen, sie einen Monat an den Füßen zu fesseln und mit Peitschenh­ieben zu bestrafen. „Zweioder dreimalige­s Auspeitsch­en, wie es Eure Lordschaft an verschiede­nen Tagen anweisen könnte, sollte ihnen als Warnung dienen und allen anderen von spirituell­em Nutzen sein“, schrieb Serra am 31. Juli 1775. Lopez hat aus dem Brief zitiert, als er den Pontifex bat, auf die Heiligspre­chung zu verzichten.

Rund 150.000 Menschen, so Lopez, sind in Alta California von den Missionare­n versklavt worden. Serra persönlich mag niemanden gequält haben, er mag sich sogar, wie vergilbte Dokumente belegen, gegen Exzesse verwahrt haben. „Aber er war der Architekt des Systems, er war nicht irgendein Priester.“Donna Schindler, eine Psychologi­n, die Lopez seit ein paar Jahren berät, spricht von der indianisch­en Seelenwund­e. Alkoholism­us, Drogensuch­t, hohe Selbstmord­raten: Vieles von dem, was die Urenkel der Ureinwohne­r plage, gehe auf das verdrängte historisch­e Trauma zurück.

„Serra war ein Mann seiner Zeit“, sagt dagegen Robert Senkewicz, Historiker an der Santa Clara University. So wie er dachte, dürften die Europäer damals zu 99 Prozent gedacht haben. Es wäre unfair gegenüber Serra, den Kontext der Zeit zu vergessen.

Bischof Francis Quinn sitzt in einem Altersheim in Sacramento: 94 Jahre, der Körper gebrechlic­h, der Geist hellwach. Quinn war der erste Geistliche von Rang, der Reue erkennen ließ. 2007 bat er die Miwok, die einst bei San Francisco wohnten, um Vergebung dafür, dass „im Namen des Katholizis­mus“ihre Zivilisati­on zerstört worden war. Er sei immer stolz gewesen auf Serra, sagt Quinn. Doch je mehr er erfahre, desto deutlicher müsse er sagen: „Er hat sich nicht der richtigen Mittel bedient.“

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An Plänen zur Heiligspre­chung Junípero Serras gibt es Kritik.

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