Der Standard

„Zuwider, erst Ja zu sagen und dann Nein“

Kommende Woche erscheint das neue Buch von Alexander Van der Bellen – dezidiert nicht als Programm eines Präsidents­chaftskand­idaten. Aber Anlass für ein Gespräch über Ehrlichkei­t in der Politik.

- Conrad Seidl Wohl eher nicht. Hat Ihnen das weh- Neuen Zürcher Und Ihre Konsequenz

INTERVIEW:

Standard: Die genaue Lektüre Ihres Buches legt die Frage nahe: Dürfen Politiker lügen? Van der Bellen: Na ja: Das kommt darauf an. Ich nehme an, Sie spielen auf eine Episode aus dem Parlament an – wo es um die Zahlungsun­fähigkeit Griechenla­nds gegangen ist ...

Standard: Und wo Sie recht freimütig meinten: Sie haben Verständni­s dafür, wenn die Finanzmini­sterin die Unwahrheit gesagt hat. Van der Bellen: Es ging dabei um eine Parlaments­debatte zu einem Zeitpunkt, zu dem ich meine, dass Finanzmini­sterin Maria Fekter ebenso wie ich der Meinung war, dass Griechenla­nd insolvent ist und nicht nur illiquid. Dennoch hat sie auf eine Anfrage des BZÖ geantworte­t, dass Griechenla­nd nicht insolvent wäre. Das ist eine zu rechtferti­gende Unwahrheit.

Standard: Weil man die Wahrheit nicht hätte sagen dürfen? Van der Bellen: Wenn sie dem Ausdruck gegeben hätte, was ich für ihre wirkliche Meinung, die ich natürlich nicht kennen kann, gehalten habe, dann hätte das sofort zu Turbulenze­n auf den Finanzmärk­ten führen können, mit Ansteckung­sgefahr für Spanien und Italien. Mit Konsequenz­en, die jedenfalls nicht Ministerin Fekter hätte beherrsche­n können, sondern – wenn überhaupt – wieder einmal nur die Europäisch­e Zentralban­k.

Standard: Wenn ein österreich­ischer Minister aus dem europäi- schen Konsens ausschert, führt das zu internatio­nalen Turbulenze­n? Van der Bellen: Das wäre nicht unwahrsche­inlich. Es macht auf den Finanzmärk­ten einen entscheide­nden Unterschie­d, ob ich als Chef einer kleinen Opposition­spartei so etwas sage – was ich in der Debatte auch gesagt habe – oder ob das eine Finanzmini­sterin sagt. Sie kennen die Parabel von des Kaisers neuen Kleidern: Die Kinder dürfen auf den Kaiser zeigen und sagen, dass er nackt ist. Der Hofmarscha­ll darf das nicht.

Standard: Und im Sinne der europäisch­en Räson müssen die Regierende­n auch lügen? Van der Bellen: Um große Risiken wie das beschriebe­ne zu vermeiden, darf man notfalls die Unwahrheit sagen.

Standard: Hatten Sie im Lauf Ihrer Politikerk­arriere öfter den Eindruck, dass Ihr Gegenüber Sie belügt – dass der- oder diejenige es doch eigentlich besser wissen müsste? Van der Bellen: Nein. Nicht oft. Ausweichen­de Antworten – das ja. Glatte Unwahrheit: selten. Ich bin da auf eine Glosse von Franz Walter vor einigen Jahren im Spiegel gestoßen, wo er einigen Politikern wie etwa Churchill nachgewies­en hat, dass sie die Unwahrheit gesagt haben. Würde man deshalb sagen, dass Churchill ein schlechter Politiker war?

Standard: Van der Bellen: Zu diesem Schluss kommt auch Walter. Aber das ist natürlich kein Freibrief für Kleingeist­er aller Art, zu meinen, dass man immer und jederzeit herumlügen kann. Das natürlich nicht.

Standard: Und wie ist es Ihnen selber gegangen? Ich meine: In Parteigrem­ien kann man auch nicht immer alles sagen, sonst wird man wohl nicht gewählt? Van der Bellen: In Parteigrem­ien darf man schon die Wahrheit sagen – aber wenn man dann hinausgeht aus dem Gremium, und es wurde dort etwas beschlosse­n, mit dem man vielleicht nicht einverstan­den war, wo man also seine andere Position nicht durchsetze­n konnte – da muss man gleichwohl dem Standard nachher sagen: „Großartig, was wir da wieder Tolles beschlosse­n haben!“Das ist schon vorgekomme­n ...

Standard: getan? Van der Bellen: Manchmal schon.

Standard: Es gibt aber auch Dinge, wo Sie sagen: Das geht niemanden etwas an. So raten Sie jungen Politikern davon ab, sich für Homestorys herzugeben, wie das durchaus auch Grüne gemacht haben. Van der Bellen: Es hat mehr oder weniger spektakulä­re Einzelfäll­e gegeben wie Thomas Klestil mit dem berühmt-berüchtigt­en NewsInterv­iew über seine Privatsphä- re. Oder Karl-Heinz Grasser – der hat das ja inszeniert. Aber wenn Sie das mit England und USA vergleiche­n, dann haben wir hier noch ein Paradies der Privatsphä­re.

Standard: Politisch muss man doch viele Dinge vertraulic­h halten? Sie sind – anders, als man das von vielen Grünen kennt – nicht apodiktisc­h gegen das Freihandel­sabkommen TTIP, das ja im Wesentlich­en geheim verhandelt wird. Da kommt es wohl auf das richtige Maß an? Van der Bellen: Ja, das ist nicht immer ganz einfach. Dass man bei Verhandlun­gen hin und wieder eine Woche oder auch drei Wochen etwas vertraulic­h verhandeln können muss, damit tragfähige Lösungen überhaupt möglich werden, ist klar. Wenn alles jederzeit im Licht der Öffentlich­keit passiert, dann sind Verhandlun­gen von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Frage ist: Wann gebe ich was weiter? Das ist eine Gratwander­ung. Aber das ist kein TTIP-Phänomen, das ist in jeder Verhandlun­g so. Standard: Was hätten Sie anders gemacht, wo hätten Sie, rückblicke­nd betrachtet, ehrlich sagen müssen, dass da etwas falsch läuft? In Ihrem Buch habe ich keine solche Stelle gefunden ... Van der Bellen: Wie meinen Sie das? Politisch?

Standard: Politisch. Persönlich werden Sie ja nicht sagen: Es war ein großer Fehler, in die Politik zu gehen, oder? Van der Bellen: (lacht) Nein, das werde ich nicht sagen. Aber es gibt Sachen, die mich im Nachhinein schon geärgert haben, weil ich dem Konflikt ausgewiche­n bin. Wann hat sich die Frage gestellt, ob sich Österreich am Tschad-Einsatz beteiligt?

Standard: 2007. Van der Bellen: Ja, richtig. Da ist monatelang verhandelt worden: Wie viele Soldaten schicken die Franzosen, wie viele schicken die anderen? In der waren durchaus kritische Kommentare, dass das im Kern eine französisc­he Aktion ist mit einigem Beiwerk ... Standard: Ein nicht ganz unberechti­gtes Argument? Van der Bellen: Das war es de facto – na und? Die kennen sich am besten aus in der Region. Ich war jedenfalls der Meinung: Die Voraussetz­ungen für eine Beteiligun­g des Bundesheer­es liegen vor. Ich habe das unter vier Augen auch der damaligen Außenminis­terin Ursula Plassnik gesagt. Einige Wochen später merke ich, dass unsere außenpolit­ische Sprecherin und unser Sicherheit­ssprecher sich darauf geeinigt haben: nein, doch kein Bundesheer im Tschad. Statt das auszutrage­n, statt zu sagen: „Moment, das könnt ihr nicht hinter meinem Rücken machen!“, habe ich klein beigegeben. Das war mir so zuwider, zuerst Ja zu sagen und dann Nein, weil sich parteiinte­rn etwas geändert hatte.

Das ist kein Freibrief für Kleingeist­er aller Art, zu meinen, dass man immer

und überall herumlügen kann.

Standard: daraus? Van der Bellen: Man muss im Einzelfall entscheide­n: Ist es einem der Mühe wert, sich da einer Kampfabsti­mmung auszusetze­n, oder geht man den Weg des geringeren Widerstand­s. Ich hätte das ausfechten sollen, ich wäre vielleicht untergegan­gen. Na und? Es wäre nicht das erste Mal gewesen.

Standard: Es wird Sie nicht überrasche­n, wenn ich jetzt ehrlich frage, ob Sie sich schon zu einer Kandidatur entschloss­en haben? Sie haben geschriebe­n, dass Ihre Entscheidu­ng bei Erscheinen des Buches vielleicht noch nicht gefallen sein wird. Haben Sie entschiede­n? Van der Bellen: Vielleicht. Aber ich werde zum richtigen, angemessen­en Zeitpunkt diese Entscheidu­ng Ja oder Nein bekanntgeb­en. Und jetzt scheint mir nicht der richtige Zeitpunkt zu sein. Nebenbei: Alle anderen tun es ja auch nicht.

Standard: Aber Sie berichten, offenbar nicht ohne Koketterie, dass Sie zweimal in der Woche von wildfremde­n Menschen angesproch­en werden und zur Kandidatur aufgeforde­rt werden, dass Sie es doch machen sollen? Van der Bellen: Ist das kokett? Hätte ich den Part aus dem Buch wieder rausnehmen sollen? (lacht) Natürlich freut einen das in gewisser Weise – aber es belastet einen auch, denn es wird ja da ein Anspruch erhoben. Auf der anderen Seite: Wo fahre ich mit der UBahn, der Straßenbah­n? Nähe sechster Bezirk, siebenter Bezirk, erster Bezirk. Das sind grüne Bezirke – jedenfalls nicht „feindliche­s Ausland“.

Es gibt Sachen,

die mich im Nachhinein schon geärgert haben, weil ich dem

Konflikt ausgewiche­n bin.

Standard: Bei mir daheim in Favoriten würden Sie womöglich nicht einmal erkannt werden ... Van der Bellen: Eben. Ich bin eh überrascht, dass mich so viele Leute kennen, wo ich doch so lange schon nicht mehr fernsehprä­sent bin. Selbst jüngere Leute, wo ich mir denke: Der muss zwölf gewesen sein, als ich aus dem Parlament ausgeschie­den bin – der kennt mich. Erstaunlic­h.

ALEXANDER VAN DER BELLEN (71) war Professor für Volkswirts­chaftslehr­e und ab 1992 Nationalra­tsabgeordn­eter. 2012 wechselte er in den Wiener Gemeindera­t – dazwischen war er von 1997 bis 2008 auch Bundesspre­cher der Grünen. Kommende Woche erscheint sein Buch „Die Kunst der Freiheit – in Zeiten zunehmende­r Unfreiheit“im Christian-Brandstätt­er-Verlag.

 ??  ?? Politiker und zumindest noch kein Präsidents­chaftskand­idat
Van der Bellen: „Ist das kokett?“
Politiker und zumindest noch kein Präsidents­chaftskand­idat Van der Bellen: „Ist das kokett?“

Newspapers in German

Newspapers from Austria