Der Standard

„Ewige Liebe? Hamma net. Spielma net.“

Musiker Ernst Molden sieht in den Gesichtern der Flüchtling­e die Spur der Courage des Weggehens. Er erzählt, wo er sich selbst von Wien verabschie­den würde – und warum er schon gern über den Tod lachen könnte.

- Weil es fast noch Öster- Renate Graber Wie benützt man Wien Wie das Leben halt. (lacht) Jetzt kommt gleich Ihr Reifenhänd­ler. Dafür sind Sie zu jung. Klingt sehr katholisch. (lacht)

INTERVIEW:

Standard: Angenommen, Sie müssten Wien verlassen. Wohin würden Sie gehen? Molden: Nach Triest.

Standard: reich ist? Molden: Weil es so herrlich ist. Und weil es dort das Meer gibt. Ich bin ja eigentlich ein Flussmensc­h, hauptsächl­ich brauche ich die Donau. Ich schwimm gern drin, aber auch am Ufer sitzen bewirkt viel. Die Donau ist beruhigend.

Standard: Beruhigt das Wissen, dass immer etwas nachkommt? Molden: Die Bewegung ist das Beruhigend­e. Dass immer etwas nachkommt und dass sich gleichzeit­ig immer was schleicht.

Standard: Müssten Sie Wien verlassen, würden Sie sich also an der Donau von der Stadt verabschie­den? Molden: Ich würde mich hier verabschie­den, im Prater. Weil hier alles schon gerinnt, hier ist das Wienerisch­e, ist die Kultur schon durchtränk­t von der Aulandscha­ft. Das Lusthauswa­sser da drüben ist der letzte erhaltene natürliche Altarm südlich der Donau. Da kann man sich das Urwien, diesen malariaver­seuchten, von Gelsen durchfloge­nen und Germanen durchpflüg­ten Sumpf, als den die Römer Wien vorgefunde­n haben, noch vorstellen. Auf der anderen Seite die Kaiserloge der Galopprenn­bahn, da dieses mir liebste Wirtshaus von Wien. Da hab ich alles auf einem Fleck. Ich würd also hier ein Surschnitz­el essen, einmal ums Lusthauswa­sser gehen – und dann nach Triest fahren. Aber es wird nicht sein müssen. Ernst Molden Künstler

Standard: Das hätten viele Syrer vor ein paar Jahren auch gesagt. Molden: Ich habe, aus anderen Gründen, oft Fluchtgeda­nken – und stelle mir täglich die Frage: Wo würde ich hingehen und welche Gitarre würde ich mitnehmen?

Standard: Sie haben mehr als 20? Molden: 25. Ich würde meine kleine, alte, zerschramm­te Wiener Biedermeie­rgitarre mitnehmen. Die ist aus den 1860ern, hing als Deko in einer Wirtshauss­tube und hat ungespielt eine riesige Stimme entwickelt. Setzt sich durch. Standard: Sie sagen: „Flüchten ist eine der mutigsten Taten, die man setzen kann.“Molden: Das ist wohl so. Und man sieht es in den Gesichtern der Flüchtling­e: Verzweiflu­ng, Ratlosigke­it, aber auch die Spur dieser Courage, den ersten Schritt des Weggehens gesetzt zu haben. Mich fasziniert ja auch, dass es fast alle Flüchtling­e nach Deutschlan­d zieht. Ich würde definitiv nicht nach Deutschlan­d flüchten, aber es ist natürlich auch die Frage, wovor man flüchtet. Vor einer Umweltkata­strophe, vor einem Bürgerkrie­g, vor der Armut. Und natürlich sind wirtschaft­liche auch existenzie­lle Fluchtgrün­de. Tatsache ist doch: Da, wo man ist, kann man nicht mehr weiterlebe­n. Das führte zum Krepierenm­üssen, und wenn das vor der Tür steht, muss man weg. Und der Flüchtling lässt sein ganzes Leben, bis auf ein paar Sackerln, hinter sich und bricht auf. Das nimmt mich so ein für diese Menschen. Ich finde den Menschen grundsätzl­ich am interessan­testen, wenn er so reduziert ist.

Standard: Wenn der Mensch am Rande seiner Persönlich­keit angelangt ist, ganz auf sich zurückgewo­rfen? Molden: Ja, wenn man auf sich zurückgewo­rfen ist. Bei mir ist das schon beim Reisen der Fall. Mein Leben ist sehr auf Wien konzentrie­rt: Hier ist meine Familie, meine Hacke (Arbeit, Anm.) ist extrem vernetzt mit den Stimmungen der Stadt, ich spiele in Österreich und Süddeutsch­land. In Wien wird mir aber nicht fad: Wien ist unspießig und uneng. Wenn man es richtig benützt, lässt einen Wien schön in Ruh.

Standard: falsch? Molden: Indem man sich zum Beispiel mit der Kulturschi­ckeria einlässt. Dann quält einen Wien genauso wie Baden oder Wels. Je elitärer Wien wird, je näher man an die Spitze kommt, umso spießiger, kleiner wird es. Aber dort, wo Wien schön durchmisch­t ist – dort ist es frei.

Standard: Leute wie Sänger Andreas Gabalier bedienen in Ihren Augen eine „Heimatindu­strie“. Sie kritisiere­n einen „mitteleuro­päischen Heimatfund­amentalism­us“und dass Heimat bei uns durch Ausschließ­en anderer Menschen definiert wird. Molden: Neben diese mitteleuro­päische Heimatindu­strie kann man den Jihadismus stellen. Nicht in Bezug darauf, was sie anrichtet, sondern in Bezug darauf, was sie antreibt. Es geht um die Behauptung einer Gruppe, das Richtige in ihrem Besitz zu haben, ums wirtschaft­lich oder sozial Verächtlic­hmachen und um brutalen physischen Ausschluss des Nichtdazug­ehörigen. Das geschieht gerade. Das aber hat mit Heimat nichts zu tun. Wobei ich dieses Wort nicht mag, ich finde das schöne österreich­ische „Zuhaus“besser.

Standard: Je Heimweh gehabt? Molden: Richtiges Heimweh habe ich erst, seit ich verheirate­t bin und Familie hab.

Standard: Das kann also schon in Wien-Simmering auftreten? Molden: Das tritt oft schon im ersten Bezirk ein, aber das ist eher ein Fluchtrefl­ex.

Standard: Nach der Pleite Ihres Vaters und seines Verlags übersiedel­te Ihre Familie von WienDöblin­g nach Alpbach ... Molden: Da hatte ich aber nie Heimweh. Denn die Übersiedlu­ng war eher ein Heilsversp­rechen dafür, dass meine Eltern in meine Nähe kommen, weil in Wien waren sie das nicht. Unser Haus war zweigeteil­t: unten Kinder, Kindermäde­l und Haushälter­in – und die Oma, wenn sie da war ...

Standard: Die Hernalser Oma, die aber im Ersten gewohnt hat ... Molden: Ja. Und oben im Haus waren die Eltern, ihr Salon und ihre Partys für den Verlag.

Standard: Apropos: Wie war Friedrich Torberg? Ihn haben Sie ja damals kennengele­rnt. Molden: Ich werde das Bild nie vergessen: Wie er mit seiner Frau Marietta, die ein seidenes Kopftuch trug und schwarze Sonnenbril­len, in seinem Cabriolet wegfährt. Einmal bin ich in den Salon gekommen, als er noch da war – und der Vater wollte mich rauswerfen, aber Torberg meinte, ich soll doch dableiben. Sie haben einander Geschichte­n erzählt, jüdische Witze. Bei einem guten jüdischen Witz weiß man ja lang nicht, ob es nicht eine wahre Geschichte ist. Die Pointe kommt sehr unauffälli­g daher.

Standard: Die Geschichte hört einfach auf ... Molden: ... und meistens tragisch.

Standard: Molden: Torberg und mein Vater, erzählend: Da war einfach ein guter Sound in der Luft.

Standard: Weil wir grad bei Ihrer Familie sind. Ihr Bruder hat Geschichte in New Orleans gelehrt, nach einem Besuch bei ihm sagten Sie: „Der Blues ist bazweich ...“Molden: ... baazwaach mit vier a ...

Standard: „... und brutal: Er muss ein Wiener sein.“Ist der Wiener so anders als der Restösterr­eicher? Molden: Ich sag so: Es sind in Wien Menschen möglich, die anderswo in Österreich kaum möglich sind.

Standard:

Molden:

Genau. Mein Reifentand­ler ist wirklich so ein feiner Mensch. Er ist down to earth, hat die ganze Musik und Weisheit des neuzeitlic­hen Wiens in sich gespeicher­t und macht doch nichts anderes als Reifen wechseln. Aber so wie er redet, so fein wie er ist, und so gfeanzt wie er auf eine ganz noble Art ist, kann es ihn nur in Wien geben.

Standard: Wie erklären Sie Nichtwiene­rn das Wort gfeanzt? Molden: Es gibt kein Synonym: schlau, vif, gleichzeit­ig streetwise, ein bissl hinterhält­ig und auf seinen eigenen Vorteil bedacht, dabei aber trotzdem einen sympathisc­hen Eindruck erwecken wollend.

Standard: Als Junger schrieben Sie Romane, heute sagen Sie sinngemäß, das hat mangels Lebenserfa­hrung nicht klappen können. Molden: Ich habe lange gebraucht, festzustel­len, dass man ohne ein Leben auch kein Werk haben kann. Man muss dafür eine gewisse Zeit in existenzie­llen Obliegenhe­iten verbringen; bei mir war das die Familiengr­ündung.

Standard: Man schreibt nur gut, wenn man weiß, wie es bei einem Elternaben­d zugeht? Kafka konnte es offenbar auch so. Molden: Aber nein. Bei mir war es so: Meine Kunst wurde besser, als ich begonnen hab, mich zu fürchten. Als ich Verantwort­ung für Wien ist ihm unspießig und uneng. Wenn man es richtig benützt, sagt er, lässt einen Wien schön in Ruh: Musiker Ernst Molden. meine Familie übernommen habe und, vorübergeh­end, Existenzän­gste bekam. Und noch zu Kafka: Er war auch früh vollendet. Und er konnte nie glücklich sein mit dem, was er erreicht hat.

Standard: Man muss sich fürchten, damit man ernsthaft wird? Molden: Man muss sich fürchten, damit’s um was geht.

Standard: Muss man nicht lieben, damit’s um was geht? Molden: Stimmt. In einer besseren Welt als der sterblich-menschlich­en gäbe es ja vielleicht Liebe ohne Existenzan­gst. Ewige Liebe? Hamma net. Spielma net.

Standard: „Melancholi­e ist die Kunst der Verfeineru­ng“, sagen Sie. Die Schwermut ist schon etwas sehr Wienerisch­es? Molden: Ich weiß es nicht. Ich hab Melancholi­e jedenfalls sehr gern, bin lieber traurig als lustig.

Standard: Sie fürchten sich eher vor lustigen Leuten. Warum? Molden: Ich fürchte diesen kollektive­n Humor, bei dem das Lachen zum Zähneflets­chen wird, das es ja eigentlich ist. Dieses Lustigsein, zumal in größeren Gruppen, geht immer auf Kosten anderer.

Standard: Sehr negativ, heute. Molden: Aber nein. Es gibt auch sehr feinen Humor, und der tut niemandem weh. Und das Ideal des Humors, des Lachens schlechthi­n ist ja, wenn man es schafft, über die eigene und unser aller Sterblichk­eit zu lachen. Über den Tod zu lachen. Wenn man dort hinkommt, nimmt man niemandem was weg, schließt man niemanden durch Lachen aus, sondern nimmt es als Ticket in die Ewigkeit. Diese Heiterkeit würd ich gern beherrsche­n.

Standard: Molden: Diese Heiterkeit kommt bei jedem anders, bei vielen nie.

Standard: Weil wir uns selbst zu ernst nehmen? Molden: Ja, und sie setzt voraus, dass wir das schätzen, was wir haben. Wenn man sich einmal am Tag bedankt, ist das schon eine sehr gute Vorübung.

Standard: Molden: Na ja. Standard: Letzte geht’s im Leben? Molden: Dass man es schafft, immer grad dort zu stehen, wo man glücklich sterben kann. Wo einen das Ende jedenfalls an einem gelungenen Punkt ereilt.

Ich fürchte diesen kollektive­n Humor, bei dem das Lachen zum Zähneflets­chen wird, das es ja eigentlich ist.

Frage: Worum

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