Der Standard

Fed setzt Glaubwürdi­gkeit aufs Spiel

Die Fed begründet die erneut verschoben­e Zinswende mit Sorgen um die Schwellenl­änder. Experten halten das Argument für wenig schlagkräf­tig und unterstell­en der Notenbank Risikosche­u.

- Aloysius Widmann

Washington/Wien – „America first“, Amerika zuerst, hieß es Anfang 2014, als die Amerikanis­che Notenbank (Fed) trotz Turbulenze­n in den Schwellenl­ändern Indien, Südafrika und der Türkei die monatliche­n Anleihekäu­fe zurückfuhr. Bisher war die Geldpoliti­k der Fed vor allem auf amerikanis­che Wirtschaft­sindikator­en wie den Arbeitsmar­kt abgestimmt. Das hat sich mit Donnerstag geändert: „Ein Großteil unserer Aufmerksam­keit lag auf Risiken rund um China und die Schwellenl­änder“, begründete Fed-Gouverneur­in Janet Yellen die Entscheidu­ng, die Zinsen weiter auf null zu belassen – wo sie seit fast sieben Jahren liegen. Die Zinswende, die im Sommer bereits für sicher gegolten hatte, wurde damit erneut aufgeschob­en.

Yellens neuer Politiksti­l

Mit Janet Yellen hat sich die Politik der Fed geändert: „Dass die Arbeitslos­enquote der alleinige Zielindika­tor der Fed ist, hat sich als falsch herausgest­ellt“, sagt Vladimir Gligorov, Ökonom am Wiener Institut für Internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e. Bei einer Arbeitslos­enquote von 5,1 Prozent, nahe an der von der Fed definierte­n Vollbeschä­ftigungsqu­ote, und dem unerwartet starken Wachstum im zweiten Quartal, hätte die Fed längst die Zinswende einleiten müssen. Zwar gilt: Einerseits hat die Arbeitslos­enquote in den USA ähnlich stark von Rückgängen in der Erwerbsbev­ölkerung wie von neuen Arbeitsste­llen profitiert. Anderersei­ts hat die Teuerung sich schlechter entwickelt als von der Fed erhofft. Das lag hauptsächl­ich an den niedrigen Rohstoffpr­eisen und dem starken Dollar.

Die Konjunktur läuft gut, ist aber nicht unverletzl­ich: „Insgesamt steht die Wirtschaft nicht so gut da, dass sie Verwerfung­en auf den Finanzmärk­ten völlig unbeschade­t überstehen würde“, sagt Gligorov. „Daher kommt das Zögern, auch wenn die Daten im Grunde gut sind – die Fed kann es sich nicht leisten, den Normalisie­rungspfad wieder zu verlassen, wenn er einmal eingeschla­gen ist, darunter würde ihre Glaubwürdi­gkeit leiden.“Ein zu langes Zögern kann der Glaubwürdi­gkeit aber genauso schaden. Bisher gab die Fed stets an, auf Autopilot zu manövriere­n: Zinsschrit­te und Geldmengen­erweiterun­gen waren an feste Arbeitsmar­ktzahlen und Inflations­raten gekoppelt. Inzwischen heißt es vonseiten der Fed nur noch, man würde die Politik auf die generelle Entwicklun­g von Arbeitsmar­kt und Inflation abstimmen.

Unter Analysten wächst die Vermutung, dass die Fed von einer vorausscha­uenden in eine mit der Wirtschaft gleichlauf­enden Politik umschwenkt. „Wir haben es derzeit mit einem extrem risikosche­uen Fed-Komitee zu tun“, sagt Rainer Singer, Analyst bei der Erste Group: „Die Voraussetz­ungen für die Zinswende sind schon länger gegeben, im letzten Moment werden aber immer wieder neue Gründe vorgeschob­en.“Dass nur noch Wochen vergehen dürften, bis die Zinswende tatsächlic­h eingeleite­t wird, gilt unter den Experten dennoch als ausgemacht. Yellen selbst hat eingeräumt, dass die China-Turbulenze­n und die niedrigen Rohstoffpr­eise nur kurzfristi­ge Effekte auf die USWirtscha­ft haben dürften. Außerdem wollte Yellen eine Zinserhöhu­ng in sechs Wochen oder im Dezember nicht ausschließ­en.

China, Brasilien und andere Schwellenl­änder begrüßen die Entscheidu­ng der Fed. Dass diese jedoch mit den Ereignisse­n der vergangene­n Wochen in China zu tun haben, glaubt Analyst Singer nicht: „Es gibt für die Fed eigentlich keine ökonomisch­en Gründe für einen erneuten Aufschub.“

 ??  ?? 5,1 Prozent betrug die Arbeitslos­enquote in den USA zuletzt. Das entspricht beinahe der Fed-Definition­von Vollbeschä­ftigung. Gründe für eine Zinserhöhu­ng sieht die Notenbank darin aber nicht.
5,1 Prozent betrug die Arbeitslos­enquote in den USA zuletzt. Das entspricht beinahe der Fed-Definition­von Vollbeschä­ftigung. Gründe für eine Zinserhöhu­ng sieht die Notenbank darin aber nicht.

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