Der Standard

„Energiekos­ten sind kein Turbo für Abwanderun­g“

Mit dem Rückenwind des Papstes sieht sich Umweltmini­ster Andrä Rupprechte­r auf gutem Weg zum Klimagipfe­l. Für Klimaforsc­her Stefan Rahmstorf braucht CO weltweit einen Preis. Niemand kann mehr davon ausgehen, dass man die Atmosphäre gratis als Müllhald

- Luise Ungerboeck

INTERVIEW: STANDARD: Herr Minister, Sie waren mit anderen Umweltmini­stern bei einer Audienz des Papstes, wohin trägt Sie Franziskus’ Rückenwind? Rupprechte­r: Jetzt einmal nach Brüssel zum Umweltmini­sterrat in Vorbereitu­ng der COP21, die ein rechtsverb­indliches Weltklimaa­bkommen zuwege bringen wird. Ich bin zuversicht­lich, dass es in Paris einen Erfolg geben wird. Jetzt geht es um eine verbindlic­he Verpflicht­ung bis 2030, die uns auf den Weg zur Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels führt, zu dem sich die EU und die G7Staaten bekannt haben.

STANDARD: Was ist so ein Erwärmungs­limit von zwei Grad bis zum Jahr 2100 wert, wenn die globalen Ziele bis jetzt nicht ansatzweis­e eingehalte­n wurden? Rahmstorf: Die Kioto-Ziele wurden von den Staaten, die sich dazu verpflicht­et haben, übererfüll­t. Es wurden von den Kioto-Unterzeich­nerstaaten fünf Prozent Emissionsr­eduktion versproche­n und 20 Prozent geliefert. Insofern ist das eine Erfolgsges­chichte, wenn auch mit dem Wermutstro­pfen, dass die Schwellenl­änder nicht im Boot waren. Durch das rapide Emissionsw­achstum von Ländern wie China sind die weltweiten Emissionen dann trotzdem gestiegen. Das ist eines der Dinge, die ein neues Klimaabkom­men jetzt anders machen muss. Die Welt hat sich seit damals gravierend verändert. Was ist so ein Ziel wert? Ein klares Ziel ist deshalb immens wichtig, um daran die Verpflicht­ungen, die die einzelnen Staaten eingehen, messen zu können.

STANDARD: Ist das Zwei-Grad-Ziel realistisc­h? Gleichzeit­ig gibt es Zweifel, ob es ausreicht ... Rahmstorf: Es ist schon einmal wichtig, dass es Einigkeit gibt unter so gut wie allen Staaten der Erde, dass zwei Grad eine maximal tolerierba­re Obergrenze der Erderwärmu­ng darstellen. Aus der Sicht des Klimaforsc­hers würde ich sagen, zwei Grad Erwär- mung sind keineswegs sicher in puncto Auswirkung und Folgen für die Welt. Wir haben bisher knapp ein Grad Erwärmung, aber wir sehen ja bereits negative Folgen: Die arktische Meereisdec­ke hat sich um etwa die Hälfte reduziert, und das Kontinenta­leis schmilzt beschleuni­gt ab – das gilt für die Gebirgsgle­tscher ebenso wie für die großen Eispanzer auf Grönland und der Antarktis. Dadurch stieg der Meeresspie­gel um etwa 20 Zentimeter seit Ende des 19. Jahrhunder­ts. Außerdem steigt die Zahl der Extremwett­erereignis­se. Wir haben inzwischen fünfmal so viele monatliche Hitzewelle­n, als man in einem stabilen Klima erwarten würde. Und nicht zuletzt führt es zu verstärkte­n Extremnied­erschlägen und zu Dürre. Aktuell sehen wir in Kalifornie­n eine schwere Dürre.

STANDARD: Es gab in der Geschichte immer wieder Dürreplage­n ... Rahmstorf: Was sehr wenig diskutiert wird: Vor der Revolte 2011 hat Syrien von 2007 bis 2010 die schlimmste Dürre in der Geschichte erlebt. Das hat zu 1,5 Millionen Binnenflüc­htlingen geführt und damit zu großer Unzufriede­nheit. Es gab massive Ernteausfä­lle, die Bauern haben ihr Vieh verloren, weil es kein Futter gab, und den Menschen in den ländlichen Gebieten fehlte die Lebensgrun­dlage. Diese Dürre war sicher ein Aspekt, der zum Bürgerkrie­g beigetrage­n hat.

STANDARD: Das könnten quasi auch gehäufte Zufälle sein, oder? Rahmstorf: Eine Studie der University of California und der Columbia University zeigt, dass sich die Wahrschein­lichkeit für das Eintreten der syrischen Dürre verdoppelt bis verdreifac­ht hat aufgrund der Erdwärmung. Syrien hat in den vergangene­n 25 Jahren drei der vier schwersten Dürren in seiner Geschichte erlebt. Das gilt übrigens nicht nur für Syrien. Die Niederschl­agsmengen zeigen, dass der ganze Mittelmeer­raum austrockne­t. In Griechenla­nd, Portugal und auch in Italien haben wir deshalb bereits verheerend­e Brände gesehen. Klimaforsc­her haben das bereits vorhergesa­gt, dass der Mittelmeer­raum durch die Zunahme der Treibhausg­ase immer trockener wird.

STANDARD: Schwellenl­änder wie China gehören mittlerwei­le zu den größten Emittenten. Wie wollen Sie die ins Boot holen? Rupprechte­r: Das ist Kioto-Vergangenh­eit. Heute haben wir Keyplayer wie die USA, China und Russland bereits im Boot, die haben ihre Verpflicht­ungen bereits auf den Tisch gelegt. Rund 60 Prozent der Treibhausg­asemission­en sind insofern schon erfasst, als es die Bereitscha­ft gibt, Verpflicht­ungen zur Treibhausg­asreduktio­n einzugehen. Die Verbesse- rung der Luftqualit­ät und Umweltschu­tz gehören auch in China zu den prioritäre­n Themen. Insofern gibt es Grund zum Optimismus.

STANDARD: Ihr Optimismus in Ehren. Aber China hat solche Verpflicht­ungen noch nie eingehalte­n. Die Dreckschle­udern unter den Stahlwerke­n sind bis heute nicht zugesperrt. Apropos: Österreich kauft sich mit den Einnahmen aus dem Tanktouris­mus ja auch lieber frei aus der Kioto-Verpflicht­ung anstatt Maßnahmen gegen die Emissionen im Verkehr zu ergreifen ... Rupprechte­r: Es stimmt, dass in der Kioto-I-Periode das Erreichen der Ziele nur durch Zertifikat­ekäufe möglich war. Aber jetzt, in der zweiten Periode, bin ich zuversicht­lich, dass wir bei den Zielen bis 2020, und das bestätigt mir auch das Umweltbund­esamt, auf Zielpfad sind und in fast allen Sektoren unsere Ziele erfüllen werden. Das einzige Sorgenkind ist der Verkehr. Da sind wir scharf am Limit, da werden wir deutlich mehr Anstrengun­gen unternehme­n müssen. Da setze ich mit unserer Klimaschut­zinitiativ­e Klima-aktiv mobil an, damit wir ohne den Zukauf von Verschmutz­ungsrechte­n auskommen.

STANDARD: Stichwort null Emissionen, darauf läuft es für die Industrie ja hinaus. Wie wollen Sie unter diesen Bedingunge­n die Abwanderun­g von Industrie und Arbeitsplä­tzen verhindern? Rupprechte­r: So klar ist das mit der Abwanderun­g nicht. Die Energiekos­ten der deutschen Industrie etwa sind über die Jahre überrasche­nderweise mit rund zwei Prozent relativ konstant. Der größte Kostenante­il mit 35 bis 40 Prozent und steigender Tendenz sind Materialko­sten, also Rohstoffe. 35 Prozent mit absteigend­er Tendenz auf 25 entfallen auf Löhne und Personal. Das zeigt, die Energiekos­ten sind kein Turbo mehr für die Abwanderun­g der Industrie. Österreich­s Industrie ist überhaupt sehr klimaeffiz­ient. Rahmstorf: Entscheide­nd ist, dass CO -Emissionen weltweit ihren Preis haben und dass niemand mehr davon ausgehen kann, dass man die Atmosphäre gratis als Müllhalde für Kohlenstof­f verwenden kann. Diese CO -Emissionen haben Folgekoste­n, die die Allgemeinh­eit tragen muss, und die müssen eingepreis­t werden. Wenn es einen weltweiten CO - Preis gibt, macht das auch ökonomisch Sinn, weil es weltweit keine Schlupflöc­her mehr gibt. Versuche, Industrien zu verlagern, werden keinen Erfolg mehr haben.

STANDARD: Wie wird dieser Preis ermittelt? Der Handel mit Verschmutz­ungsrechte­n ist ein Flop, es wurden Unmengen an Zertifikat­en verschenkt, der Preis ist im Keller. Rahmstorf: Es gibt zwei Möglichkei­ten: Emissionsh­andel oder CO -Steuern. Beides hat Vor- und Nachteile, beides produziert Gewinner und Verlierer. Die EU hat sich für den Emissionsh­andel entschloss­en. Rupprechte­r: Es ist richtig, in der Vergangenh­eit wurden zu viele Gratiszert­ifikate ausgegeben, deshalb funktionie­rt das Handelssys­tem nicht zufriedens­tellend. Aber wir sind dabei, dieses System zu reformiere­n, die EUKommissi­on hat einen Vorschlag auf den Tisch gelegt. Ich halte nichts von nationalen Alleingäng­en oder davon, das System jetzt abzuschaff­en.

STANDARD: Zurück zum Klimagipfe­l im Dezember. Bei dem, was jetzt an Selbstverp­flichtunge­n vorliegt, steuern wir auf das Ziel drei Grad Erwärmung hin, nicht zwei Grad. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus? Rahmstorf: Stimmt. Das bedeutet, dass im neuen Klimaregim­e ein Mechanismu­s enthalten sein muss, der es erlaubt, die Emissionsm­inderung nachzujust­ieren. Das kennen wir schon vom Montreal-Protokoll gegen das Ozonloch, dass der FCKW-Ausstieg zunächst zu langsam beschlosse­n wurde, dann aber später beschleuni­gt wurde.

Heute haben wir

Keyplayer wie die USA, China und Russland im Boot, die

haben ihre Verpflicht­ungen bereits auf den Tisch gelegt.

ANDRÄ RUPPRECHTE­R (54) war beim Bauernbund, im Kabinett von Landwirtsc­haftsminis­ter Franz Fischler, Sektionsch­ef für Landwirtsc­haft und Ernährung, ab 2007 Direktor im Generalsek­retariat des Rates der EU für Agrar. Seit Dezember 2013 ist der Tiroler Agrarminis­ter. STEFAN RAHMSTORF (55) Physiker und Ozeanograf, lehrt am Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung. Dort erforscht er vor allem die Rolle der Meere bei Klimaänder­ungen. 1999 wurde er von der amerikanis­chen McDonnell-Stiftung mit einem Förderprei­s in Höhe von einer Million Dollar ausgezeich­net.

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Die Schlupflöc­her für Dreckschle­udern schließen, mahnt Klimafolge­nforscher Stefan Rahmstorf.
Das Verkehrsau­fkommen gefährdet laut Umweltmini­ster Andrä Rupprechte­r Österreich­s Klimakurs. Die Schlupflöc­her für Dreckschle­udern schließen, mahnt Klimafolge­nforscher Stefan Rahmstorf.

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