Der Standard

Farbenpräc­htige Puppen, verliebte Bomben und ein großes Fragezeich­en

Die Londoner Tate Modern versucht sich an einer Retrospekt­ive weltweiter Pop-Art. Was genau die darin gezeigten Künstler, außer ihrer Zeitgenoss­enschaft, miteinande­r verbindet, bleibt offen.

- Sebastian Borger aus London The World goes Pop Sgt. Pepper’s Lone- Die verliebten Bomben World goes Pop Film-Montagen I–III

Worum es in der großen Herbstauss­tellung der Londoner Tate Modern geht, erschließt sich selbst flüchtigen Besuchern auf einen Blick. Entweder einzelne Wände oder ganze Säle sind in Signalfarb­en gestrichen, beginnend bei Rot, dann Violett, Dunkelgrün, Gelb, Hellblau und Pink bis Orange. Dass das Museumsper­sonal violette Kittel trägt, gibt den überforder­ten Augen den Rest. Zur Beruhigung der Sehnerven eröffnet zwischendu­rch lediglich ein einsames Fenster den Blick auf Themse und St. Paul’s.

Die Farbkeule in den Ausstellun­gsräumen lässt den Eindruck zu, die Kuratorinn­en von hätten der Ausdrucksk­raft der ausgewählt­en rund 160 Werke aus den 1960er- und 1970er-Jahren nicht recht getraut. Immerhin verfolgen Jessica Morgan und Flavia Frigeri ein hohes Ziel. Pop-Art sei zu sehr definiert als angloameri­kanisches Phänomen, sagen sie.

Gewiss waren New York und London die Zentren der Bewegung: Andy Warhol verdanken wir einen neuen Blick auf die gemeine Suppendose, Roy Lichtenste­in holte den Comicstrip ins Museum, Peter Blakes Cover für die Beatles-LP ly Hearts Club Band erwärmt bis heute nicht nur einsame Herzen. Aber Pop-Art inspiriert­e Künstler und vor allem Künstlerin­nen auch in ganz anderen Regionen. Stärker als die Kritik an der westlichen Konsumgese­llschaft lag ihnen häufig die politische Auseinande­rsetzung mit repressive­n Regimen am Herzen, aber auch die sexuelle Revolution und die Darstellun­g von Frauen.

Neben den bekannten Anspielung­en aus Werbung und Massenmedi­en liegen den gezeigten Kunstwerke­n häufig Images aus politische­r Propaganda oder Volkskunst zugrunde. Das farbenpräc­htige Puppenfest­ival (1966) des in New York lebenden Japaners Ushio Shinohara bezieht sich auf traditione­lle Drucke seiner Heimat, während es die Amerikanis­ierung des Landes abbildet. Dem Rumänen Cornel Brudascu ist ein eigener Raum gewidmet, sämtliche Werke stammen aus dem Jahr 1970. Inspiriert von westlichen Magazinen, die in der Ceauşescu-Diktatur erhältlich waren, unterwande­rt der Künstler aus Cluj auf subtile Weise den damals herrschend­en Proletenku­lt.

Andere Säle sind „Pop-Körpern“, „politische­m Pop“und „heimischem Pop“gewidmet. der österreich­ischen Künstlerin Kiki Kogelnik (1935–1997) spiegeln im Jahr der Kubakrise 1962 die damals herrschend­e Atomangst wider. Der Pariser Künstler Bernard Rancillac konstrasti­ert drastische Folterbild­er aus dem Vietnamkri­eg mit zeitgenöss­ischen Modetrends. Den des Deutschen Peter Roehr (1944–1968) gelingt es, den eigentlich­en Zweck der Bilder aus der TV-Werbung zu entfremden.

Unbefriedi­gender Mischmasch

Viele der Gemälde und Skulpturen sind für sich gesehen anschauens- und bedenkensw­ert. In den grell gestrichen­en, rasch stickigen und tageslicht­losen Räumen der Tate gerät aber alles zu einem unbefriedi­genden Mischmasch. Der Ausstellun­g hätte eine viel deutlicher­e Fokussieru­ng, vielleicht auf eine Region oder ein halbes Dutzend Künstlerin­nen, gut getan. Was die Menschen, deren Kunst hier gezeigt wird, außer ihrer Zeitgenoss­enschaft miteinande­r verbindet, bleibt offen. Gehört all dies wirklich zur Pop-Art? Viele definieren sich selbst keineswegs als Teil dieser Bewegung.

Oder geht es, wie das konservati­ve Magazin Spectator ganz subversiv vermutet, vor allem darum, den internatio­nalen Kunstmarkt mit neuen Namen zu beflügeln? Die Ausstellun­g wird gesponsert von EY, einer der vier großen Gesellscha­ften von Wirtschaft­sprüfern und Steuerbera­tern. Wie die Tate wolle seine Firma „unterschie­dliche Perspektiv­en und Kulturen fördern“und damit „einen wichtigen Beitrag zur Marke Großbritan­nien“leisten, schwärmt EYChairman Steve Varley. Leider leistet The keinen positiven Beitrag zur

p www.tate.org.uk

Marke Tate.

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