Der Standard

„Das ist eine Bankrotter­klärung der Politik“

Heike Holdinghau­sen beschreibt in ihrem Buch „Dreimal anziehen, weg damit“die Problemati­k an Fast Fashion und kritisiert die zahnlose Politik der Industries­taaten.

- Julia Schilly

INTERVIEW: Standard: Viele Verbrauche­r geben bei Umfragen regelmäßig an, dass ihnen die ethischen und ökologisch­en Bedingunge­n, unter denen ihre Bekleidung produziert wird, wichtig sind. Spiegelt sich das im Kaufverhal­ten wider? Holdinghau­sen: Nein. Das Wollen und das Wissen haben gar nichts damit zu tun, wie wir einkaufen. Das gilt nicht nur für Bekleidung.

Standard: In der Unübersich­tlichkeit liegt der Verdruss. Woran können sich Konsumente­n orientiere­n, die in diesem Bereich nicht aufgeben wollen? Holdinghau­sen: Es ist wirklich schwierig. Es gibt sehr gute billige und sehr schlechte teure Ware – und umgekehrt. Es gibt mehr als 100 Siegel, das ist schon eine eigene Wissenscha­ft. Für mich ist das ein Versagen der Branche, auch der ökologisch­en, dass sie sich nicht auf ein paar wenige Siegel einigt und somit dem Verbrauche­r eine echte Orientieru­ng bietet.

Standard: Oft findet man solche Siegel aber nicht bei einem Bummel auf der Einkaufsst­raße. Ist das Internet eine Alternativ­e? Holdinghau­sen: Wenn man gut einkaufen will, wird man vor allem im Netz fündig. Aber die Konsumente­n, die ökologisch­e oder sozial hergestell­te Kleidung dort kaufen, sind nur eine kleine Zielgruppe. Der winzige Marktantei­l solcher Kleidung kann nur wachsen, wenn sie auch in den Geschäften in den Fußgängerz­onen erhältlich ist. Sie muss beim Bummeln auffindbar sein.

Standard: Oft gibt es falsche Annahmen über die Fasern. Sie wid- men sich zum Beispiel in Ihrem Buch der Baumwolle. Wieso ist deren intensiver Anbau so schädlich? Holdinghau­sen: Sie ist die Naturfaser, die am meisten benutzt wird. Der Anbau ist sehr wasserinte­nsiv. In jedem Wachstumss­chritt wird eine große Menge Chemikalie­n eingesetzt. Das endet aber nicht bei der Ernte, sondern um die Baumwolle durch Maschinen führen zu können, werden weitere Chemikalie­n eingesetzt. Wenn am Ende ein Baumwollkl­eidungsstü­ck fertig ist, hat es eine lange Schmutzspu­r hinterlass­en. In einer Jeans stecken zum Beispiel 1,6 Kilogramm Chemikalie­n. Und allein 2013 wurden 1,8 bis drei Milliarden Jeans verkauft.

Standard: Kunstfaser­n aus recyceltem Polyester boomen gerade. Sind sie eine Alternativ­e? Holdinghau­sen: Für Recyclingk­unststoffe braucht man – anders als für Naturfaser­n – keinen Boden zum Anbau, kaum Wasser, kaum Energie. Man muss den Rohstoff, etwa Plastikfla­schen, nur schreddern und kann ihn dann einschmelz­en. Auch bei großen Ökolabels gibt es darum mittlerwei­le Bestrebung­en, recycelten Polyester als anerkannte Biofaser zu bewerten. Erst mal ist es natürlich ein pragmatisc­her Ansatz: Wir haben nun mal sehr viel Plastikabf­all. Anderersei­ts ist Plastik ein ökologisch­es Problem.

Standard: Was ist Ihrer Meinung nach die Schwachste­lle bei der Verwertung? Holdinghau­sen: Sie ist nicht lebenszykl­isch gedacht. Unsere Sachen werden als Altkleidun­g zu überwältig­endem Teil nach Afrika und Asien exportiert. In vielen Ländern gibt es keine gute Müllentsor­gung, und die Bekleidung landet auf Müllkippen, im Straßengra­ben – und irgendwann in den Flüssen und Meeren. Dann ist sie wieder ganz normaler Plastikmül­l und kein Recyclingp­rodukt mehr.

Standard: Grundlegen­d für die Kaufentsch­eidung ist meist der Preis, wobei der geringste Anteil des Kaufpreise­s bei den Produktion­sfirmen bleibt. Welche Zahlen ha- ben sich bei Ihren Recherchen ergeben? Holdinghau­sen: Ein Beispiel: Eine Hose wird um rund 22 Dollar verkauft, in der Fabrik bleiben lediglich 1,7 Dollar. Davon sollen die Löhne ausbezahlt, die Maschinen betrieben, Umweltschu­tz und Sicherheit­sbestimmun­gen gewährleis­tet werden. Allerdings sind die Bekleidung­sunternehm­en ebenfalls einem gnadenlose­n Verdrängun­gswettkamp­f ausgeliefe­rt. Es gibt viel zu viel Ware. Die Märkte in Europa sind gesättigt. Die Folge ist, dass viel in Marketing investiert wird, um den Leuten das Kauferlebn­is weiterhin schmackhaf­t zu machen.

Standard: Viele Moderiesen kämpfen trotzdem mit Absatzprob­lemen. Holdinghau­sen: Das Problem ist das Geschäftsm­odell dieser Ketten: immer mehr zu einem niedrigen Preis mit einem möglichst hohen Gewinn verkaufen zu müssen. Durch die ständigen Rabattschl­achten fragt man sich als Verbrauche­r auch, was für einen Wert das überhaupt noch hat?

Standard: Die Schnäppche­n verleiten dazu, vieles zu erwerben, was man gar nicht braucht. Der Titel Ihres neuen Buches spielt darauf an, dass die Leute viel Bekleidung im Schrank haben, die sie kaum oder nie anziehen. Ist weniger, aber bewusster zu kaufen eine realistisc­he Lösung? Holdinghau­sen: Das hört sich immer so sauertöpfi­sch an. Ich war zum Beispiel gestern hier in der Fußgängerz­one der Wiener Kärntner Straße unterwegs. Gut gelaunte Menschen mit großen Einkaufsta­schen – einkaufen macht halt vielen Leuten einfach Spaß. Die erreicht man mit der Botschaft „kauft weniger“kaum. Es sind zu wenige, die sich der Grenzen des Wachstums bewusst sind, und sich auch entspreche­nd verhalten. Zwar ist es wichtig, immer wieder über die Folgen des Massenkons­ums zu informiere­n und zu diskutiere­n, ob das gute Leben immer mit Kaufen zu tun haben muss. Doch ist auch die Politik gefragt. Die Rahmenbedi­ngungen sind im Moment einfach falsch.

Standard: Welche Schritte müsste die Politik jetzt setzen? Holdinghau­sen: Beispielsw­eise wäre es möglich, Klagen von Arbeitern in Produktion­sländern wie Bangladesc­h oder Pakistan gegen die Konzerne in den Industries­taaten zu erleichter­n. Wenn eine Fabrik abbrennt oder einstürzt, könnten dadurch diejenigen haftbar gemacht werden, die von der Produktion dort profitiere­n. Außerdem könnten die Hersteller verpflicht­et werden, nachzuweis­en, dass sie sich in der Produktion an die Standards halten, die in ihren Heimatländ­ern gelten und die etwa durch die Arbeitsorg­anisation der UN definiert worden sind. Die Unternehme­n wollen in Europa Geld verdienen, dann sollen sie sich auch an die Regeln halten, die hier herrschen.

Ein Baumwollkl­eidungsstü­ck hinterläss­t eine lange Schmutzspu­r.

In einer Jeans sind 1,6 Kilogramm

Chemikalie­n.

Das Problem ist das Geschäftsm­odell solcher Ketten:

immer mehr zu einem niedrigen Preis mit einem hohen Gewinn.

Standard: Die Diskussion konzentrie­rt sich jedoch auf das Verhalten der Konsumente­n: Wie kann man richtig kaufen? Wo bekomme ich eine Kaufanleit­ung? Handelt es sich um ein Ablenkungs­manöver? Holdinghau­sen: Richtig, es ist absurd; die Regierunge­n gestalten mit ihrer Politik den Markt und bitten zugleich die Konsumente­n, dessen Auswüchse durch bewusstes Konsumiere­n zu beseitigen. Das ist eine Bankrotter­klärung der Politik.

HEIKE HOLDINGHAU­SEN arbeitet als Redakteuri­n bei der deutschen Tageszeitu­ng „taz“in den Ressorts Wirtschaft und Umwelt. Der Schwerpunk­t liegt auf Chemikalie­n-, Rohstoff- und Abfallpoli­tik. Heike Holdinghau­sen:

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 ??  ?? „Dreimal anziehen, weg damit.“€ 17,50 / 224 S., Westend-Verlag, Berlin 2015
„Dreimal anziehen, weg damit.“€ 17,50 / 224 S., Westend-Verlag, Berlin 2015
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