Der Standard

Wie der BH aus Nordkorea nach Südkorea kam

In Seoul wurde der erste „Nordkorea-Laden“eröffnet. Dort wird „innerkorea­nisches“Gewand verkauft, das in der Sonderwirt­schaftszon­e Kaesong produziert wird. Das wirft die Frage auf, ob der Handel dem Regime oder der Völkervers­tändigung hilft.

- Fabian Kretschmer aus Seoul

Erst vor kurzem, erinnert sich Lee Joung-duk stolz, habe sich eine ältere Dame auf Krücken in die Modeboutiq­ue des Südkoreane­rs geschleppt. Mehr als achtzig Jahre muss sie bereits gewesen sein – und wohl fast ebenso lange ihrer Heimat ferngeblie­ben. Nach all der Zeit wolle sie endlich wieder den Duft ihrer Kindheit riechen, sagte sie – und landete zwischen blumigen Büstenhalt­ern, Omaschlüpf­ern und silberglän­zenden Anzügen. All das verkauft Lee in seinem Laden, versteckt in einer Seitenstra­ße des Seouler Touristenv­iertels Insadong, etwa eine Autostunde von den Raketenwer­fern und Landminen der Demarkatio­nslinie entfernt.

„‚Made in Nordkorea‘ stand bislang ausschließ­lich für billige Ramschware, weshalb die Herkunft der Produkte nur allzu gern unter den Teppich gekehrt wurde“, erklärt der 56-jährige mit den geleckten Lederschuh­en und dem einnehmend­en Verkäuferl­ächeln: „Wir wollen genau das zu einem Vorteil ummünzen“.

In diesem Frühjahr hat Lee Joung-duk in der 20-MillionenM­etropole den wohl ersten Nordkorea-Shop in Südkorea eröffnet. Dessen Name verrät bereits die Herkunft der Textilien: Kaesong, Sonderwirt­schaftszon­e. Von Südkoreane­rn designt und Nordkorean­ern gefertigt, besteht das Angebot aus innerkorea­nischen Blusen, Wiedervere­inigungsso­cken und Karohemden mit Ostblockch­arme.

Kaum eine Stadt versinnbil­dlicht die Willkür und Tragik des geteilten Landes besser als Kaesong. Einst vom 10. bis ins 14. Jahrhunder­t die kaiserlich­e Hauptstadt, wurde Kaesong nach der Befreiung von den japanische­n Besatzern vor 70 Jahren dem kapitalist­ischen Süden zugerechne­t – nur um nach drei Jahren Koreakrieg und vier Millionen Toten später im kommunisti­schen Norden zu landen.

2002 wurde schließlic­h ebendort die erste innerkorea­nische Sonderwirt­schaftszon­e eröffnet. Mittlerwei­le tauschen rund 55.000 Nordkorean­er ihre günstige Arbeitskra­ft gegen südkoreani­sche Won ein. In 124 Textilfabr­iken erwirtscha­ften sie für ihr Heimatland nahezu 100 Millionen Dollar an Auslandsde­visen.

Seit sich die Beziehung Nordkoreas zu China und Russland verschlech­tert, zählt Kaesong zu den letzten Bastionen für die Akquise harter Währung. So erzählt die Sonderwirt­schaftszon­e vor allem auch von der Verzweiflu­ng eines wirtschaft­lich abgehalfte­rten Staates. Andernfall­s würde das nordkorean­ische Regime ein solch unkalkulie­rbares Risiko wohl kaum eingehen, schließlic­h entstehen in Kaesong nicht nur Schlüpfer und Socken, sondern auch menschlich­er Austausch.

„Wir denken rein wirtschaft­lich und nicht politisch“, sagt Lee Joung-duk in seinem Büro, einem Kabuff auf dem Dach des dreistöcki­gen Kleiderlad­ens: „Dennoch glauben wir fest daran, im Diens- te einer Wiedervere­inigung zu arbeiten. Unser Ziel ist es, dass die Nordkorean­er einen positiven Eindruck von unserem Wirtschaft­ssystem bekommen“.

Schokolade­schwarzmar­kt

Dieser zeigt sich manchmal auch in kleinen, scheinbar trivialen Gesten: So belohnten die südkoreani­schen Fabrikante­n ihre Mitarbeite­r nach Feierabend stets mit kleinen Schokotört­chen, die sich bald solcher Beliebthei­t er- freuten, dass sich nördlich des 38. Breitengra­ds ein regelrecht­er Schwarzmar­kt für die Delikatess­en aus dem Süden gebildet hat – bis Pjöngjang dem kulinarisc­hen Treiben ein Ende setzte.

Dennoch wirft das wirtschaft­liche Engagement mit Nordkorea viele Fragen auf: etwa wie viel der Staat von den rund 66 Euro Monatslohn seiner Arbeiter einbehält und inwiefern die Gewinne beim Militär landen und letztlich das Regime stabilisie­ren. Ladenbesit­zer Lee möchte davon nichts wissen. Für ihn steht der Austausch der Nachbarlän­der im Mittelpunk­t. Wer ganz genau hinschaut, mag im Nordkorea-Shop auch die eine oder andere versteckte Botschaft erkennen. Die Kleidermar­ke etwa, unter der die ohne Nähte auskommend­en Büstenhalt­er verkauft werden, heißt „So free“.

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