Der Standard

Flucht aus dem Osten

Brennpunkt Wien: Aufstieg zur Metropole durch Immigratio­n. Von ruf und ehn

- Wien 1859

Das Schachspie­l ist in Wien seit dem Mittelalte­r belegt, doch fristete das königliche Spiel über Jahrhunder­te ein bescheiden­es Dasein. Ab der Mitte des 19. Jahrhunder­ts erlangte das Schach in Wien sehr rasch hohe Aufmerksam­keit weit über die Grenzen des Spiels und über die Grenzen der Stadt hinaus. Wien wurde innerhalb weniger Jahrzehnte zum internatio­nalen Brennpunkt des Spiels.

Der Aufstieg Wiens zur Schachmetr­opole war nicht hausgemach­t. Er beruhte vor allem auf der fachlichen Expertise von Spielern und Theoretike­rn, die nach Wien kamen. Die viel zitierten „Goldenen Schachzeit­en“Wiens verdankt sich vor allem zweier großer Einwanderu­ngswellen. Bis in die 1870-er Jahre immigriert­en begabte Schachmeis­ter aus den Kronländer­n Böhmen, Mähren und Schlesien und Ungarn nach Wien. Unter ihnen waren Ernst Falkbeer (1819-1885), Berthold Englisch (1851-1897), Max Weiß (1857-1927), Adolf Schwarz (1836-1910), Bernhard Fleissig (1845-1931), Heinrich Wolf (1875-1941) und nicht zuletzt Wilhelm Steinitz (1836-1900), der erste Schachwelt­meister. Pogrome und antijüdisc­he Gesetze aus der Regierungs­zeit des Zaren Nikolaus I. verursacht­en ab 1881 eine weitere Migrations­welle. Über zwei Millionen Juden flohen in den Westen, viele bedeutende Schachmeis­ter landeten in Wien, wie Ossip Bernstein (1882-1962), Akiba Rubinstein (1882-1961), Savielly Tartakower (18871956) oder Aaron Nimzowitsc­h (1886-1935), von denen bedeutende Impulse für die Theorie des Schachspie­ls im 20. Jahrhunder­t ausgingen und die einen Schachboom in Wien aus- lösten. Das reiche Schachlebe­n in Wien, das zu Recht vielbewund­erte, innovative Spiel auf höchstem Niveau, verdankte sich also zum Gutteil der Flucht aus dem Elend.

Wilhelm Steinitz wurde in ärmlichen Verhältnis­sen im Prager Getto geboren und kam 1858 nach Wien, um Technik zu studieren. Aber schon nach dem ersten Vorbereitu­ngssemeste­r spielte er im Kaffeehaus Schach um Geld und konnte bald davon leben. Berühmt ist die Anekdote, in der der junge, bettelarme, allerdings schon damals selbstbewu­sste Student Steinitz im Schachklub auf den reichen und ziemlich lauten Baron Epstein trifft. „Können Sie bitte etwas leiser schreien?“, mahn- te Steinitz. „Wissen Sie nicht, wer ich bin?“, antwortete Epstein empört. Darauf Steinitz: „Natürlich. Sie sind der Baron Epstein. Aber hier bin ich der Baron Epstein!“

Einer seiner ersten Gegner und Freunde in Wien war der aus einem Dorf in Mähren nach Wien eingewande­rte Rechtsanwa­lt Philipp Meitner, Vater der Kernphysik­erin Lise Meitner.

Steinitz - Meitner

1824 vom Schiffskap­itän William Evans entdeckt entwickelt­e sich dieses Gambit zur gefährlich­sten Angriffswa­ffe des 19. Jahrhunder­ts.

Für den Bauern erhält Weiß das Zentrum und Entwicklun­gsvorsprun­g.

Schwarz holt sich den dritten Bauern und lenkt die Partie in die so genannte „kompromitt­ierte Verteidigu­ng.“Das flottere 8.Db3 De7 9.Sxc3 Lxc3 10.Dxc3 f6 11.La3 d6 wurde erst Jahrzehnte später von Wilhelm Steinitz entdeckt (Steinitz – Gray, England 1872). Ein weiterer Tempoverlu­st. Schwarz sollte dringend seine Entwicklun­g vorantreib­en: 8... d5 9.exd6 Dxd6 10.Db3 Le6 oder noch besser 8... Sge7 9.Db3 0–0 10.Sxc3 Sg6 11.La3 Sgxe5 12.Sxe5 Sxe5 13.Lxf8 Dxf8 mit schwarzer Gewinnstel­lung.

Noch stärker war 10.Sxc3 Lxc3 11.Dxc3 mit enormer Druckstell­ung.

So kann Schwarz die Stellung zusammenha­lten.

Befreit sich mit unkonventi­onellen Mitteln.

Kaum hat Schwarz Boden unter den Füßen, wird er übermütig. Meitner sollte den Konsolidie­rungskurs mit 16... 0–0 fortsetzen.

Jetzt entstehen fatale Schwächen im schwarzen Lager. Noch besser sieht 18.Lxh4 aus, um den Springer nach g5 zu bringen.

Unterschät­zt ein letztes Mal die weißen Möglichkei­ten. Einzig nach 19... Sd8 kann Schwarz die Stellung halten.

Ein prächtiges Bauernopfe­r, das den Weg zum schwarzen König bahnt. Wenn 20... dxe6, so 21.Lb5+ c6 22.Lc7 und falls 21… Sac6 22.Sf5!! exf5 23.Lxc6+ mit Gewinnstel­lung. Oder 21... Df7 22.Dxa5.

Einfacher war 22.Ld3 d6 23.Lxg6+ Kd8 24.Dxa5.

Weiß hat eine Figur erobert. Nach 24... c6 beendet 25.Lxe6! dxe6 26.Dc7 die Partie.

Das zweite Zerstörung­sopfer lockt den König ins Freie.

Denn es drohte 27.Lxe6.

Immer weiter wird die Majestät ins gegnerisch­e Gebiet getrieben, wo sie schließlic­h mattgesetz­t wird.

Auch 30.Le2+ Kxh4 31.Df4+ Dg4 32.Dh6+ Dh5 33.Dxh5 matt war hübsch.

Tf8 Te42.

Tf5 Te5!!1.

2373: Dh12. Tg7 Da8!1.

2372:

Th24.

Sf4 Lg33. Sg2 2... Tcf2!2. Sf4 Tf1!!1. Vorwoche): ( 2371

Lösungen:

 ??  ?? „Können Sie bitte etwas leiser schreien?“Wilhelm Steinitz (1836-1900), Schachwelt­meister
und Immigrant aus Prag
„Können Sie bitte etwas leiser schreien?“Wilhelm Steinitz (1836-1900), Schachwelt­meister und Immigrant aus Prag
 ??  ?? 22... Dxg6 23.Dxa5
22... Dxg6 23.Dxa5
 ??  ?? 15.Lg3
25.Txd6!
15.Lg3 25.Txd6!
 ??  ?? 6…
20.e6!
6… 20.e6!
 ??  ?? 16... h5?
16... h5?
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria