Der Standard

Rechtsexpe­rte Nowak fordert gemeinsame EU-Asylbehörd­e

Mittel gegen Schlepper – 22.000 Flüchtling­e am Wochenende

- Daniela Neubacher aus Budapest Adelheid Wölfl aus Brežice

Wien – Laut dem Menschenre­chtsexpert­en der Universitä­t Wien Manfred Nowak ist eine Lösung der europäisch­en Flüchtling­skrise nur durch eine Vergemeins­chaftung der Asylpoliti­k in der EU möglich. Diese sollte in die Hände einer gemeinsame­n europäisch­en Asylbehörd­e gelegt werden, die die derzeitige­n 28 nationalen Asyleinric­htungen ersetzen, sagte Nowak dem Standard.

Die neue EU-Asylbehörd­e solle in den EU-Vertretung­en im Ausland Asylanträg­e entgegenne­hmen, sodass anerkannte Flüchtling­e legal in die Union einreisen könnten. So würde den Schleppern „das Wasser abgegraben“.

An diesem Wochenende kamen rund 22.000 Flüchtling­e nach Österreich. Konzentrie­rte sich am Samstag der Andrang auf Heiligenkr­euz, so war am Sonntag erneut Nickelsdor­f vom Ansturm betroffen – bis zum Nachmittag 10.500. Mehrere Tausend verbrachte­n auch die Nacht in Nickelsdor­f. (red)

Wo sind jetzt die Flüchtling­e? Die Polizisten, die in Brežice gleich hinter der kroatische­n Grenze in Slowenien an ihren Einsatzwäg­en lehnen, lächeln: „Keine Ahnung. Wir warten auch auf die. Vielleicht sind sie in Ungarn, vielleicht kommen sie nicht, weil es so heiß ist, vielleicht haben sie sich in Luft aufgelöst.“

Am Samstagnac­hmittag spielen sich wieder einmal – wie oft in den vergangene­n Wochen – absurde Szenen in Zusammenha­ng mit den tausenden Flüchtling­en ab, die über den Balkan in den Norden kommen. Während Polizei und Helfer in Slowenien und in der Steiermark auf die Flüchtling­e warteten, schickte die kroatische Regierung diese nach Ungarn zurück, dort brachte man sie an die burgenländ­ische Grenze, wo niemand sie erwartete.

In Slowenien mit dem Regierungs­chef und Rechtsgele­hrten Miro Cerar, der sich strikt und vorbildhaf­t an die Schengen-Regeln halten und die Flüchtling­e gar nicht unbedingt weiter nach Österreich schicken will, wollen diese wiederum nicht bleiben. In der Messehalle in Gornja Radgona riefen sie „Go West, go West“, obwohl sie wohl kaum nach Italien, sondern wohl eher Richtung Österreich in den Norden wollten.

Erst einmal ausruhen

Slowenien werde den Flüchtling­en ermögliche­n, sich im Land erst einmal auszuruhen, sagte Cerar. Korridore kämen nicht infrage. Trotzdem reisten einige Hundert weiter nach Österreich. In Kroatien registrier­te man indes seit Mittwoch 25.000 Flüchtling­e. Die kroatische Regierung begann am Freitag Flüchtling­e, die aus Serbien kamen, an die ungarische Grenze zu bringen, mit dem Argument, dass Kroatien seine Kapazitäte­n ausgeschöp­ft habe und ohnehin nur ein Transitlan­d sei. Das verärgerte wiederum die ungarische Regierung, die betont, dass dies nicht ausgemacht worden sei.

„Kroatien lässt nicht nur Ungarn im Stich, sondern die gesamte Europäisch­e Union“, so Ungarns Regierungs­sprecher Zoltán Kovács. Auch Außenminis­ter Péter Szijjártó übte heftige Kritik an der kroatische­n Regierung. Die Beziehunge­n zwischen den beiden Nachbarlän­dern seien so schlecht wie noch nie. Der kroatische Premier Zoran Milanović kündigte dennoch an, seine Politik fortzusetz­en. „Indem wir die Menschen dort hingeschic­kt haben, haben wir ihre Aufnahme erzwungen. Das werden wir weiter tun“, sagte er in Beli Manastir.

Insbesonde­re in diesem kleinen Ort in der Baranja ist die Situation äußerst schwierig. Man ist mit den tausenden Flüchtling­en, die plötzlich auf Straßen und in Obstgärten sitzen, überforder­t. Die EU-Kommission schmiedet indes Pläne, wie die Flüchtling­e aus Kroatien in andere EU-Staaten verteilt werden könnten.

„Größtes Opfer Serbien“

Streit wegen der Flüchtling­e gibt es auch zwischen Serbien und Kroatien sowie Serbien und Ungarn. „Serbien darf nicht zu einem der größten Opfer werden“, sagte der serbische Außenminis- ter Ivica Dačić, weil die Nachbarn die Grenzen dichtgemac­ht hatten. Der serbische Sozialmini­ster Aleksandar Vulin drohte Kroatien sogar mit einem Verfahren vor dem Internatio­nalen Gerichtsho­f. Der kroatische Premier, der für seine Flapsigkei­t bekannt ist, tat dies mit den Worten ab: „Ein Adler jagt doch keine Fliegen.“Sprich: Kroatien gäbe sich mit so etwas nicht einmal ab, so überlegen sei das Land. Vulin soll darauf Richtung Milanović gesagt haben: „Du bist ein gerupftes Huhn.“

„Migrations­druck“

Mittlerwei­le ist zumindest nach fünf Tagen wieder die ungarischs­erbische Grenze offen. Ungarn hatte nach gewaltsame­n Ausschreit­ungen zwischen Einsatzkrä­ften und Flüchtling­en die Grenze komplett schließen lassen. Dies habe der „Migrations­druck auf Ungarn und Serbien“erforderli­ch gemacht, sagt der ungarische Innenminis­ter Sándor Pintér. Beide Länder hätten das Problem nun „einvernehm­lich gelöst“und würden weiterhin zusammenar­beiten. In schwierige­n Zeiten offenbare sich eben der wahre Freund, so der Innenminis­ter.

Nach wie vor beschäftig­en ungarische Medien die Ausschreit­ungen vom Mittwoch an der serbischun­garischen Grenze. Regierungs­kritiker werfen der Polizei Fehlverhal­ten vor. Das investigat­ive Journalist­enportal atlatszo.hu berief sich in einem Bericht am Sonntag auf die Aussagen eines Ex-Polizeibea­mten. Demnach hätten die Einsatzkrä­fte einen Vermittler mit Sprachkenn­tnissen einsetzen müssen, um zur Entschärfu­ng der Lage beizutrage­n.

Premier Viktor Orbán vollführe eine überrasche­nde außenpolit­ische Wende hin zur Slowakei, schrieb die linksliber­alen Zeitung Népszabads­ág am Sonntag. Mit seinem slowakisch­en Amtskolleg­en Robert Fico teile er ähnliche Interessen im Umgang mit Flüchtling­en. Die Slowakei könne zum ungarische­n Bündnispar­tner werden – trotz Spannungen rund um die ungarische Minderheit in der Slowakei.

 ??  ?? Mehr als zehntausen­d Flüchtling­e fanden sich am Sonntag beim Grenzüberg­ang Nickelsdor­f ein. Polizei und Soldaten versuchten, den Andrang in geordnete Bahnen zu lenken.
Mehr als zehntausen­d Flüchtling­e fanden sich am Sonntag beim Grenzüberg­ang Nickelsdor­f ein. Polizei und Soldaten versuchten, den Andrang in geordnete Bahnen zu lenken.
 ??  ?? Kampf ums Mitfahren: Eine Mutter mit weinendem Kleinkind versucht, in einen Zug zu gelangen, der vom serbisch-kroatische­n Grenzort Tovarnik nach Ungarn – und weiter nach Österreich – fährt.
Kampf ums Mitfahren: Eine Mutter mit weinendem Kleinkind versucht, in einen Zug zu gelangen, der vom serbisch-kroatische­n Grenzort Tovarnik nach Ungarn – und weiter nach Österreich – fährt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria