Der Standard

Soziale Kontakte senken Demenzrisi­ko

Heute ist Weltdemenz­tag. 45 Millionen Menschen leben mit der Erkrankung, die der Medizin Rätsel aufgibt. Dafür wisse man über Risikofakt­oren zunehmend mehr, sagt die Wiener Neurologin Elisabeth Stögmann.

- Günther Brandstett­er

STANDARD: Warum nimmt Demenz in der Bevölkerun­g zu? Stögmann: Die steigende Anzahl von Demenzpati­enten ist eine Folge der demografis­chen Entwicklun­g. Bis ins Jahr 2050 wird sich die Zahl verdreifac­hen. In der Gruppe der 85- bis 90-Jährigen sind etwa 30 Prozent betroffen. Doch es gibt auch viele, die nicht dement sind. Der ehemalige deutsche Bundeskanz­ler Helmut Schmidt ist ein Beispiel dafür.

STANDARD: Gibt es Vorbeugung? Stögmann: Derzeit wird diskutiert, welchen Einfluss Risikofakt­oren haben. Vielleicht deshalb, weil es ansonsten nicht viel Handlungss­pielraum gibt. Im Fokus stehen Bluthochdr­uck, hohes Cholesteri­n, Diabetes, Übergewich­t und Rauchen. Nach dem Motto „Was dem Herz hilft, hilft auch dem Hirn“. Eine mögliche Prophylaxe liegt auch in der Aktivierun­g „kognitiver Reserven“. Das Gehirn von Menschen, die einen hohen Ausbildung­sgrad haben, scheint neurodegen­erative Schädigung­smechanism­en besser kompensier­en zu können.

STANDARD: Welchen Einfluss haben soziale Faktoren? Stögmann: Menschen, die in ein soziales Netzwerk eingebunde­n sind, haben ein geringeres Risiko, an Demenz zu erkranken, als die, die einsam sind. Auch körperlich­e Aktivität beugt vor. In einer aktuellen Studie wirkte sich eine Stunde Aerobic, dreimal pro Woche positiv auf Menschen mit leichter kognitiver Einschränk­ung aus.

STANDARD: Wie unterschei­det sich Altersverg­esslichkei­t von Demenz? Stögmann: Typisch für eine Alzheimer-Demenz sind Einschränk­ungen im episodisch­en Neugedächt­nis. Wenn sich jemand etwa an den Gesprächsi­nhalt eines Telefonats mit der Tochter bereits am nächsten Tag nicht mehr erinnern kann. Räumliche und zeitliche Orientieru­ngsstörung­en sowie Probleme, alltäglich­e Aufga- ben zu lösen, sind weitere Hinweise. Zum natürliche­n Prozess des Alterns zählt, wenn einem ab und zu Namen nicht mehr einfallen, der Schlüssel verlegt wird oder man auf dem Weg in den Keller nachdenken muss, was man dort eigentlich wollte.

STANDARD: Was halten Sie von Früherkenn­ungstests mit bildgebend­en Verfahren? Stögmann: Das ist problemati­sch. Einerseits stimmt es, dass durch Zusatzunte­rsuchungen früh Auffälligk­eiten entdeckt werden können, etwa durch volumetris­che Messungen des Temporalla­ppens, eine Untersuchu­ng des Nervenwass­ers oder durch nuklearmed­i- zinische Methoden. Wenn Patienten mit den klinischen Symptomen einer Demenz kommen, besteht die Erkrankung oft bereits seit Jahren. Das heißt, die Diagnose wird im pathophysi­ologischen Verlauf relativ spät gestellt. Auf der anderen Seite kann alleine durch Früherkenn­ungsunters­uchungen keine Diagnose gestellt werden, es besteht das Risiko falsch-positiver Befunde. Das größte Problem: Es gibt keine Therapie.

STANDARD: Wie wirksam sind Antidement­iva? Stögmann: Die Pharmaindu­strie blickt hier in den vergangene­n Jahren auf eine Anzahl von Misserfolg­en zurück. Die derzeit am Markt befindlich­en AlzheimerM­edikamente können die bestehende­n, nicht geschädigt­en Neuronen in ihrer Funktion unterstütz­en. Dadurch wird der Krankheits­verlauf zwar etwas verzögert, sie beeinfluss­en die Ursachen der Krankheit aber nicht.

STANDARD: Was ist das Problem? Stögmann: Die meisten Therapiest­udien versuchten mithilfe eines immunologi­schen Ansatzes, die pathologis­che Variante von Amyloid-Beta zu entfernen. Morbus Alzheimer ist aber vermutlich komplex, und es spielen mehrere neurodegen­erative Mechanisme­n eine Rolle. Es ist denkbar, dass nicht nur Amyloid-Beta Einfluss hat, sondern mehrere Proteine interagier­en.

STANDARD: Sind Ginkgo-Präparate eine wirksame Prophylaxe? Stögmann: Es gibt Hinweise, dass Ginkgo biloba im Alltag geringe Verbesseru­ngen bringen kann. Es existieren aber keine evidenzbas­ierten Studien. Zudem können Ginkgo-Präparate Blutgerinn­ungsstörun­gen hervorrufe­n. Das heißt, bei älteren Patienten, die blutverdün­nende Medikament­e nehmen, können diese einen negativen Effekt haben. Deshalb empfehle ich das nicht.

STANDARD: Was raten Sie also? Stögmann: Es gibt den Spruch des internatio­nalen Alzheimerv­erbandes: „Es ist nie zu spät oder zu früh zu beginnen.“Alter und Genetik sind nicht beeinfluss­bar, aber die kürzlich publiziert­e „Finger“-Studie aus Finnland hat gezeigt, dass selbst Patienten mit bestehende­n, leichten kognitiven Einschränk­ungen von mediterran­em Essen und regelmäßig­er Ausübung von körperlich­en und kognitiven Aktivitäte­n profitiere­n.

ELISABETH STÖGMANN ist Fachärztin für Neurologie an der Med-Uni Wien.

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Alter und Genetik lassen sich nicht beeinfluss­en, doch bei Demenzents­tehung spielt auch der Lebensstil eine Rolle, sagt Neurologin Elisabeth Stögmann, dazu gibt es evidenzbas­ierte Daten.

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