Der Wahlsonntag der Bitterkeit in Athen
Beim dritten Urnengang in diesem Jahr sind Wut und Revolutionsgelüste verraucht. Nach der Kehrtwende des linken Ex-Premiers Tsipras nimmt die Mehrheit der griechischen Wähler resigniert zur Kenntnis, dass jede Regierung das neue Sparprogramm umsetzen wird
Konstantinos weiß genau, was hier läuft. Sinnlos seien diese Wahlen, sagt der 46-jährige Grieche. Alle müssten sowieso tun, was das Kreditabkommen vorschreibt. Trotzdem kommt er und setzt sein Kreuz auf einen Stimmzettel, weil so viele andere wählen, „die kein Gehirn haben“; die nicht kapieren, wie El Niño, die Pazifikströmung, und die kommende Minieiszeit oben in Europa und das Spardiktat der Deutschen zusammenhängen. „Wenn sie uns mit 300 Milliarden Euro verschulden, dann kriegen sie das ganze Gas, das im Mittelmeer zwischen Griechenland und Ägypten liegt“, erklärt Konstantinos mit vollem Ernst. Das sei eben der Überlebensplan der Deutschen.
Eine kleine Partei, die griechisch sei und nie regieren werde, habe er gewählt, sagt Konstantinos. Es ist die Umschreibung für Chrysi Avgi, die Faschistenpartei Goldene Morgenröte, die sich anschickt, einmal mehr als stabile Kraft aus diesen Wahlen der Verbitterung und der Enttäuschung in Griechenland hervorzugehen.
Viele kommen nur aus Pflichtgefühl zur Abstimmung. Inkompetent versus kompromittiert heißt die unschöne Paarung, die man am Wahlsonntag in Athen aus Kommentaren der Bürger hört: Syriza, das linksgerichtete Parteienbündnis von Alexis Tsipras, habe sich als ein Haufen gefährlicher Amateure erwiesen; die konservative Nea Dimokratia dagegen, Dauerregierungspartei seit Griechenlands Rückkehr zur Demokratie 1974, sei ohnehin mit schuldig an Korruption und der Schuldenmisere im Land.
Die Chefs der beiden großen Parteien geben am Sonntag in ihren Wahllokalen nur Plattheiten ab. Ein Zeichen für die trübe Stimmung. „Heute entscheiden wir über unsere Zukunft“, sagt Tsipras den Griechen, als er seine Stimme abgibt. „Heute ist ein Tag der Feier. Die Bürger sprechen, nicht die Politiker“, erklärt Evangelis Meimarakis, der Führer der Konservativen. Die Griechen möchten die Lügen loswerden, fügt er immerhin hinzu.
Option große Koalition
Am Morgen um acht tröpfeln die ersten Wähler in der Schule in Neos Kosmos ein, einem Stadtteil südlich der Athener Innenstadt, wo einst die griechischen Flüchtlinge aus Kleinasien nach dem Ersten Weltkrieg ihr neues Leben begonnen hatten. Arbeiter und die untere Mittelschicht leben hier bis heute. Nein, wichtig seien diese Wahlen nicht, sagt Evthimis Katraouras, ein junger Elektriker. Auch er verweist auf das Kreditabkommen, das Tsipras abgeschlossen hat. Die neuen 86 Milliarden Euro, die Griechenland von seinen Gläubigern erhält, wenn es einen Katalog von weiteren Sparmaßnahmen und Reformen umsetzt. „Ich kann mir gut vorstellen, dass wir jetzt eine große Koalition aus Syriza und Nea Dimokratia bekommen“, sagt der 27-Jährige. 600 Euro verdient er im Monat und lebt noch bei seinen Eltern. Anders geht es nicht. Katraouras hat dieses Mal die Kommunisten gewählt, die letzten erklärten Sparkursgegner.
Oder nahezu die letzten: Die Dissidenten von Syriza sind auch angetreten. Panayiotis Lafazanis, Tsipras’ früherer Energie- und Umweltminister, ruft bei der Stimmabgabe die jungen Griechen zur Wahl auf. Sie waren es, die Syriza im Jänner zum historischen Wahlsieg verholfen hatten und an das Versprechen der radikalen Linken glaubten, mit dem Sparregime der Gläubiger Schluss zu machen.
Lafazanis, Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis und die lautstarke Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou trugen die Kehrtwende von Tsipras nicht mit. Sie pochten auf die 62 Prozent, die bei einem Referendum in den chaotischen Sommerwochen Nein zu den Gläubigern sagten. Tsipras war plötzlich ohne Regierungsmehrheit. Deshalb mussten die Griechen nun zum dritten Mal in diesem Jahr an die Urnen.
Varoufakis macht bei der neuen Dissidentenpartei Volkseinheit nicht mit. Doch giftige Kommentare kann er sich am Sonntag nicht verkneifen. Die Wahl sei dazu da, die Nein-Stimmen der Griechen gegen das Kreditabkommen zu „annullieren“, schreibt Varoufa- kis in einem Beitrag für ein Online-Portal. Und Zoe Konstantopoulou droht: „Die neuen Generationen, die wissen, wer sie verraten hat, werden es in die Hand nehmen, die Demokratie in unserem Land wiederherzustellen.“
Vor dem Wahlbüro in Neos Kosmos steht zufällig eine Namensvetterin. Konstantina Konstantopoulou stammt aus demselben Dorf wie die Ex-Parlamentspräsidentin. „Ich bin nicht enttäuscht von Tsipras“, sagt die 23-Jährige. „Die Verhandlungen mit den Gläubigern mussten geführt werden. Und das Kreditabkommen wird funktionieren.“