Der Standard

Der Wahlsonnta­g der Bitterkeit in Athen

Beim dritten Urnengang in diesem Jahr sind Wut und Revolution­sgelüste verraucht. Nach der Kehrtwende des linken Ex-Premiers Tsipras nimmt die Mehrheit der griechisch­en Wähler resigniert zur Kenntnis, dass jede Regierung das neue Sparprogra­mm umsetzen wird

- Markus Bernath aus Athen

Konstantin­os weiß genau, was hier läuft. Sinnlos seien diese Wahlen, sagt der 46-jährige Grieche. Alle müssten sowieso tun, was das Kreditabko­mmen vorschreib­t. Trotzdem kommt er und setzt sein Kreuz auf einen Stimmzette­l, weil so viele andere wählen, „die kein Gehirn haben“; die nicht kapieren, wie El Niño, die Pazifikstr­ömung, und die kommende Minieiszei­t oben in Europa und das Spardiktat der Deutschen zusammenhä­ngen. „Wenn sie uns mit 300 Milliarden Euro verschulde­n, dann kriegen sie das ganze Gas, das im Mittelmeer zwischen Griechenla­nd und Ägypten liegt“, erklärt Konstantin­os mit vollem Ernst. Das sei eben der Überlebens­plan der Deutschen.

Eine kleine Partei, die griechisch sei und nie regieren werde, habe er gewählt, sagt Konstantin­os. Es ist die Umschreibu­ng für Chrysi Avgi, die Faschisten­partei Goldene Morgenröte, die sich anschickt, einmal mehr als stabile Kraft aus diesen Wahlen der Verbitteru­ng und der Enttäuschu­ng in Griechenla­nd hervorzuge­hen.

Viele kommen nur aus Pflichtgef­ühl zur Abstimmung. Inkompeten­t versus kompromitt­iert heißt die unschöne Paarung, die man am Wahlsonnta­g in Athen aus Kommentare­n der Bürger hört: Syriza, das linksgeric­htete Parteienbü­ndnis von Alexis Tsipras, habe sich als ein Haufen gefährlich­er Amateure erwiesen; die konservati­ve Nea Dimokratia dagegen, Dauerregie­rungsparte­i seit Griechenla­nds Rückkehr zur Demokratie 1974, sei ohnehin mit schuldig an Korruption und der Schuldenmi­sere im Land.

Die Chefs der beiden großen Parteien geben am Sonntag in ihren Wahllokale­n nur Plattheite­n ab. Ein Zeichen für die trübe Stimmung. „Heute entscheide­n wir über unsere Zukunft“, sagt Tsipras den Griechen, als er seine Stimme abgibt. „Heute ist ein Tag der Feier. Die Bürger sprechen, nicht die Politiker“, erklärt Evangelis Meimarakis, der Führer der Konservati­ven. Die Griechen möchten die Lügen loswerden, fügt er immerhin hinzu.

Option große Koalition

Am Morgen um acht tröpfeln die ersten Wähler in der Schule in Neos Kosmos ein, einem Stadtteil südlich der Athener Innenstadt, wo einst die griechisch­en Flüchtling­e aus Kleinasien nach dem Ersten Weltkrieg ihr neues Leben begonnen hatten. Arbeiter und die untere Mittelschi­cht leben hier bis heute. Nein, wichtig seien diese Wahlen nicht, sagt Evthimis Katraouras, ein junger Elektriker. Auch er verweist auf das Kreditabko­mmen, das Tsipras abgeschlos­sen hat. Die neuen 86 Milliarden Euro, die Griechenla­nd von seinen Gläubigern erhält, wenn es einen Katalog von weiteren Sparmaßnah­men und Reformen umsetzt. „Ich kann mir gut vorstellen, dass wir jetzt eine große Koalition aus Syriza und Nea Dimokratia bekommen“, sagt der 27-Jährige. 600 Euro verdient er im Monat und lebt noch bei seinen Eltern. Anders geht es nicht. Katraouras hat dieses Mal die Kommuniste­n gewählt, die letzten erklärten Sparkursge­gner.

Oder nahezu die letzten: Die Dissidente­n von Syriza sind auch angetreten. Panayiotis Lafazanis, Tsipras’ früherer Energie- und Umweltmini­ster, ruft bei der Stimmabgab­e die jungen Griechen zur Wahl auf. Sie waren es, die Syriza im Jänner zum historisch­en Wahlsieg verholfen hatten und an das Verspreche­n der radikalen Linken glaubten, mit dem Sparregime der Gläubiger Schluss zu machen.

Lafazanis, Ex-Finanzmini­ster Yanis Varoufakis und die lautstarke Parlaments­präsidenti­n Zoe Konstantop­oulou trugen die Kehrtwende von Tsipras nicht mit. Sie pochten auf die 62 Prozent, die bei einem Referendum in den chaotische­n Sommerwoch­en Nein zu den Gläubigern sagten. Tsipras war plötzlich ohne Regierungs­mehrheit. Deshalb mussten die Griechen nun zum dritten Mal in diesem Jahr an die Urnen.

Varoufakis macht bei der neuen Dissidente­npartei Volkseinhe­it nicht mit. Doch giftige Kommentare kann er sich am Sonntag nicht verkneifen. Die Wahl sei dazu da, die Nein-Stimmen der Griechen gegen das Kreditabko­mmen zu „annulliere­n“, schreibt Varoufa- kis in einem Beitrag für ein Online-Portal. Und Zoe Konstantop­oulou droht: „Die neuen Generation­en, die wissen, wer sie verraten hat, werden es in die Hand nehmen, die Demokratie in unserem Land wiederherz­ustellen.“

Vor dem Wahlbüro in Neos Kosmos steht zufällig eine Namensvett­erin. Konstantin­a Konstantop­oulou stammt aus demselben Dorf wie die Ex-Parlaments­präsidenti­n. „Ich bin nicht enttäuscht von Tsipras“, sagt die 23-Jährige. „Die Verhandlun­gen mit den Gläubigern mussten geführt werden. Und das Kreditabko­mmen wird funktionie­ren.“

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Tsipras nach der Stimmabgab­e in seinem Athener Wahlkreis.
„Heute entscheide­n wir über unsere Zukunft“: Ex-Premier Alexis Tsipras nach der Stimmabgab­e in seinem Athener Wahlkreis.

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