„Ungarn ist im Prinzip kein Gegner von Flüchtlingsquoten“
János Perényi, der ungarische Botschafter in Österreich, über den umstrittenen Grenzzaun, Pfefferspray-Einsatz gegen Flüchtlinge und Ungarns Tradition als Vielvölkerstaat.
STANDARD: Kroatien transportiert aktuell ankommende Flüchtlinge an die ungarische Grenze. Der kroatische Premier Zoran Milanović sagte am Samstag. „Wir haben sie mehr oder weniger gezwungen, die Flüchtlinge anzunehmen, und wir werden das weiter tun.“Was sagen Sie dazu? Perényi: Ich denke, es steht mir nicht zu, diese Aussage zu kommentieren oder zu qualifizieren. Jedenfalls ist es besorgniserregend – wie Außenminister Szijjártó mit seinem slowenischen Kollegen und auch der serbische Innenminister festgestellt haben –, dass das Aufnahmesystem in Kroatien während ein paar Tagen zusammengebrochen ist. Ungarn geht jedoch auch bei der Aufnahme und Behandlung dieser Migranten im Einklang mit dem Schengen-Abkommen vor.
STANDARD: Ungarn selbst transportiert wieder Flüchtlinge zur Registrierung an die Westgrenze, wo sie die Chance haben, die Grenze zu Österreich zu überqueren. Schiebt jeder seine Flüchtlinge einfach ans nächste Land weiter? Perényi: Diese Leute werden gemäß der Grundregel zu Aufnahmezentren zwecks Registrierung und Erstversorgung transportiert. Wenn sie die Registrierung ablehnen beziehungsweise keinen Asylantrag stellen wollen, können sie die Behörden – weder in Ungarn noch in Österreich oder in anderen Ländern – nicht festhalten. Jedenfalls haben heuer in Ungarn schon 172.000 Migranten Asylstatus beantragt.
STANDARD: An der ungarisch-serbischen Grenze gab es Zusammenstöße zwischen Flüchtlingen und Polizisten. Laut Amnesty International sollen Flüchtlinge, darunter Kinder, mit Pfefferspray besprüht worden sein. Ist diese Vorgehensweise angebracht? Perényi: Es handelte sich hier um eine Extremsituation. Meinen In- formationen zufolge haben sich einige junge Leute sehr aggressiv verhalten, haben Steine geworfen und letztlich versucht, den Zaun zu durchbrechen. Unsere Polizei hat sich selbst und die Grenzen verteidigen müssen. Die jungen Leute haben angeblich sogar versucht, zwei Babys über den Zaun zu werfen. Das ist doch ungeheuerlich.
STANDARD: Sie meinen also, dass der Grenzzaun notwendig ist? Perényi: Es klingt zwar nicht sehr sympathisch, aber als Notlösung war der Bau einer Grenzsperre leider absolut notwendig, um die Schengen-Grenze zu schützen. Vergleiche mit dem Eisernen Vorhang sind absolut absurd. Diesen hat ein totalitäres Regime eingeführt, um Millionen Menschen einzusperren. Die Grenzsperre dient zum Schutz der SchengenGrenze.
STANDARD: Wie erklären Sie sich dann, dass andere Schengen-Länder diesen Grenzschutz kritisieren? Perényi: Einerseits wurde kritisiert, dass wir eine Grenzsperre gebaut haben, gleichzeitig wurde aber bemängelt, dass wir die Schengen-Grenzen nicht verteidigen. Das passt wohl nicht ganz zusammen. Auch Bundeskanzler Faymann selbst hat gesagt, dass der Zaun nicht rechtswidrig ist.
STANDARD: Diese Woche findet ein EU-Innenministerrat statt. Welche Ideen wird Ihr Land einbringen? Perényi: Premierminister Orbán hat bereits eine Konferenz angeregt, bei der die Außenminister sowohl der Mitgliedsstaaten als auch der Kandidatenstaaten und der Türkei an einem Tisch sitzen. Eine weitere Idee wäre, die Uno einzuschalten. Es ist nicht so, dass Ungarn gar keine Flüchtlinge auf- nimmt. Zum Beispiel haben wir bereits 1500 Familien vorwiegend aus Ägypten aufgenommen. Ungarn ist im Prinzip kein Gegner von Flüchtlingsquoten. Wir können von Quoten reden, aber prioritär muss es Hotspots in Italien und Griechenland geben. Bevor wir diese Völkerwanderung nicht in den Griff kriegen, hat es keinen Sinn, über Quoten zu reden.
STANDARD: Viktor Orbán macht deutlich, dass er die ungarische Identität durch muslimische Einwanderer bedroht sieht. Perényi: Geschichtlich gesehen war Ungarn immer ein Vielvölkerstaat. Vor dem Ersten Weltkrieg waren die Magyaren im ungarischen Königreich in der Minderzahl. Unserer Premierminister hat klar gesagt, dass er die muslimische Kultur akzeptiert. Die Erfahrungen in Westeuropa haben aber gezeigt, dass Integration nicht funktioniert und Parallelgesellschaften entstehen.
JÁNOS PERÉNYI (66), aufgewachsen in Schweden, ist seit Dezember ungarischer Botschafter in Österreich. Davor war er Botschafter in Marokko. Heute, Montag, um 19 Uhr hält er in der Diplomatischen Akademie in Wien den Vortrag „Ungarische Außenpolitik seit 1990“.