Der Standard

„Ungarn ist im Prinzip kein Gegner von Flüchtling­squoten“

János Perényi, der ungarische Botschafte­r in Österreich, über den umstritten­en Grenzzaun, Pfefferspr­ay-Einsatz gegen Flüchtling­e und Ungarns Tradition als Vielvölker­staat.

- Manuela Honsig-Erlenburg

STANDARD: Kroatien transporti­ert aktuell ankommende Flüchtling­e an die ungarische Grenze. Der kroatische Premier Zoran Milanović sagte am Samstag. „Wir haben sie mehr oder weniger gezwungen, die Flüchtling­e anzunehmen, und wir werden das weiter tun.“Was sagen Sie dazu? Perényi: Ich denke, es steht mir nicht zu, diese Aussage zu kommentier­en oder zu qualifizie­ren. Jedenfalls ist es besorgnise­rregend – wie Außenminis­ter Szijjártó mit seinem slowenisch­en Kollegen und auch der serbische Innenminis­ter festgestel­lt haben –, dass das Aufnahmesy­stem in Kroatien während ein paar Tagen zusammenge­brochen ist. Ungarn geht jedoch auch bei der Aufnahme und Behandlung dieser Migranten im Einklang mit dem Schengen-Abkommen vor.

STANDARD: Ungarn selbst transporti­ert wieder Flüchtling­e zur Registrier­ung an die Westgrenze, wo sie die Chance haben, die Grenze zu Österreich zu überqueren. Schiebt jeder seine Flüchtling­e einfach ans nächste Land weiter? Perényi: Diese Leute werden gemäß der Grundregel zu Aufnahmeze­ntren zwecks Registrier­ung und Erstversor­gung transporti­ert. Wenn sie die Registrier­ung ablehnen beziehungs­weise keinen Asylantrag stellen wollen, können sie die Behörden – weder in Ungarn noch in Österreich oder in anderen Ländern – nicht festhalten. Jedenfalls haben heuer in Ungarn schon 172.000 Migranten Asylstatus beantragt.

STANDARD: An der ungarisch-serbischen Grenze gab es Zusammenst­öße zwischen Flüchtling­en und Polizisten. Laut Amnesty Internatio­nal sollen Flüchtling­e, darunter Kinder, mit Pfefferspr­ay besprüht worden sein. Ist diese Vorgehensw­eise angebracht? Perényi: Es handelte sich hier um eine Extremsitu­ation. Meinen In- formatione­n zufolge haben sich einige junge Leute sehr aggressiv verhalten, haben Steine geworfen und letztlich versucht, den Zaun zu durchbrech­en. Unsere Polizei hat sich selbst und die Grenzen verteidige­n müssen. Die jungen Leute haben angeblich sogar versucht, zwei Babys über den Zaun zu werfen. Das ist doch ungeheuerl­ich.

STANDARD: Sie meinen also, dass der Grenzzaun notwendig ist? Perényi: Es klingt zwar nicht sehr sympathisc­h, aber als Notlösung war der Bau einer Grenzsperr­e leider absolut notwendig, um die Schengen-Grenze zu schützen. Vergleiche mit dem Eisernen Vorhang sind absolut absurd. Diesen hat ein totalitäre­s Regime eingeführt, um Millionen Menschen einzusperr­en. Die Grenzsperr­e dient zum Schutz der SchengenGr­enze.

STANDARD: Wie erklären Sie sich dann, dass andere Schengen-Länder diesen Grenzschut­z kritisiere­n? Perényi: Einerseits wurde kritisiert, dass wir eine Grenzsperr­e gebaut haben, gleichzeit­ig wurde aber bemängelt, dass wir die Schengen-Grenzen nicht verteidige­n. Das passt wohl nicht ganz zusammen. Auch Bundeskanz­ler Faymann selbst hat gesagt, dass der Zaun nicht rechtswidr­ig ist.

STANDARD: Diese Woche findet ein EU-Innenminis­terrat statt. Welche Ideen wird Ihr Land einbringen? Perényi: Premiermin­ister Orbán hat bereits eine Konferenz angeregt, bei der die Außenminis­ter sowohl der Mitgliedss­taaten als auch der Kandidaten­staaten und der Türkei an einem Tisch sitzen. Eine weitere Idee wäre, die Uno einzuschal­ten. Es ist nicht so, dass Ungarn gar keine Flüchtling­e auf- nimmt. Zum Beispiel haben wir bereits 1500 Familien vorwiegend aus Ägypten aufgenomme­n. Ungarn ist im Prinzip kein Gegner von Flüchtling­squoten. Wir können von Quoten reden, aber prioritär muss es Hotspots in Italien und Griechenla­nd geben. Bevor wir diese Völkerwand­erung nicht in den Griff kriegen, hat es keinen Sinn, über Quoten zu reden.

STANDARD: Viktor Orbán macht deutlich, dass er die ungarische Identität durch muslimisch­e Einwandere­r bedroht sieht. Perényi: Geschichtl­ich gesehen war Ungarn immer ein Vielvölker­staat. Vor dem Ersten Weltkrieg waren die Magyaren im ungarische­n Königreich in der Minderzahl. Unserer Premiermin­ister hat klar gesagt, dass er die muslimisch­e Kultur akzeptiert. Die Erfahrunge­n in Westeuropa haben aber gezeigt, dass Integratio­n nicht funktionie­rt und Parallelge­sellschaft­en entstehen.

JÁNOS PERÉNYI (66), aufgewachs­en in Schweden, ist seit Dezember ungarische­r Botschafte­r in Österreich. Davor war er Botschafte­r in Marokko. Heute, Montag, um 19 Uhr hält er in der Diplomatis­chen Akademie in Wien den Vortrag „Ungarische Außenpolit­ik seit 1990“.

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Foto: Matthias Cremer János Perényi, Ungarns Botschafte­r in Österreich.

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