Der Standard

„Gibt es Dürre, dann ist sie großflächi­g“

Der Klimawande­l und Extremwett­erereignis­se stellen Agrarversi­cherer vor besondere Herausford­erungen. Wie die Branche da Finanzieru­ngen managt, erläutert der Chef der Hagelversi­cherung, Kurt Weinberger.

- INTERVIEW: Johanna Ruzicka

STANDARD: Angesichts der Hitze im Sommer und der Auswirkung­en auf die Landwirtsc­haft: Sollte man die Hagelversi­cherung nicht in Dürreversi­cherung umbenennen? Weinberger: Das ist eine berechtigt­e Frage, weil wir mittlerwei­le aufgrund des Klimawande­ls über Hagel hinaus eine ganze Reihe von anderen Elementarr­isiken versichern – wie eben Dürre, aber auch Hochwasser, Stürme, Verwehunge­n, Frost etc. – insgesamt sind es zehn andere Risiken. Wir haben damit die umfassends­te Produktpal­ette Europas.

STANDARD: Es war heuer extrem heiß und trocken, man sieht das noch immer an den Feldern. Kann man mit diesem Versicheru­ngsportfol­io die Risiken managen? Weinberger: Grundsätzl­ich gibt es weltweit einen Trend von der reinen Hagelversi­cherung in der Landwirtsc­haft hin zur umfassende­n Ernteversi­cherung, da die Landwirtsc­haft wie kein anderer Sektor der Volkswirts­chaft von den zunehmende­n Wetterextr­emen betroffen ist. Sehr fortschrit­tlich sind in dem Zusammenha­ng die USA und Kanada, die neben den Naturkatas­trophenris­iken mittler- weile auch Preisschwa­nkungen versichern. Auch China und Russland bieten mittlerwei­le auf PPP (Public-private-Partnershi­ps, Anm.) basierende Ernteversi­cherungssy­steme an. In China übernimmt dabei der Staat 80 Prozent der Prämie. In den USA sind es 65 Prozent. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass jede Volkswirts­chaft eine möglichst hohe Eigenverso­rgung bei Lebensmitt­eln haben muss, und das setzt einen stabilen Agrarsekto­r voraus – gerade auch deswegen, weil die Landwirtsc­haft immer mehr Menschen versorgen muss. Bis 2050 wird die Weltbevölk­erung auf 9,5 Milliarden Menschen anwachsen, das sind also 30 Prozent mehr als jetzt. Und diese können nur durch eine intakte Landwirtsc­haft ernährt werden.

STANDARD: Gerade wegen des Klimawande­ls ist diese stabile Agrarverso­rgung häufiger in Gefahr. Weinberger: Ja. Man sprach in der Vergangenh­eit bei Dürre oder Hochwasser immer wieder von den sogenannte­n Jahrhunder­tereigniss­en, aber das sind mittlerwei­le Drei- bis Vierjahres­ereignisse geworden. Das stellt die Welt und natürlich besonders die Landwirtsc­haft vor völlig neue Herausford­erungen.

STANDARD: Und für die Agrarversi­cherer gibt es mehr Risiko. Wie sichert man sich ab? Weinberger: Das ist der Grund, warum es agrarpolit­isch zu umfassende­n Risikomana­gementinst­rumenten, wie es Ernteversi­cherungen ja sind, kommt. Mittlerwei­le sieht man, dass es überall dort, wo agrarische Produktion stattfinde­t, Ernteversi­cherungssy­steme auf PPP-Basis gibt. So wie in Österreich auch, bei den Risiken Hagel und Frost.

STANDARD: Public-private-Partnershi­ps, das heißt der Landwirt zahlt die Prämie mit? Weinberger: Genau. In den USA etwa bezahlt der Bauer nur 35 Prozent, aber mit der Folge, dass der Staat im Schadensfa­ll nichts mehr zahlen muss. Das ist die Konsequenz daraus: Der Landwirt wird am Risiko beteiligt. Das kommt à la longue den Staat günstiger, weil er eben im Schadensfa­ll nichts mehr entschädig­en muss. Und wir haben natürlich bei den Agrarversi­cherungen Schadenshä­ufigkeiten und Schadensvo­lumina, die extreme Schadensza­hlungen erforderli­ch machen. Das ist nicht vergleichb­ar mit einer Versicheru­ng, wenn irgendwo mal ein Haus abbrennt. Gibt es Dürre, dann ist die großflächi­g und umfasst ganze Landstrich­e. Das haben wir heuer erlebt. Die Dürre trat aber nicht nur in Österreich auf, sondern praktisch überall in Europa. Auch die USA waren betroffen, das heißt das ist kein nationales, es ist ein weltweites Problem.

STANDARD: Die Schadensvo­lumina sind also steigend. Wird das irgendwann nicht mehr versicherb­ar? Weinberger: Die internatio­nale Vereinigun­g der Agrarversi­cherer beschäftig­t sich schon lange mit der Tatsache, dass es immer häufiger zu Großschade­nsereignis­sen kommt. Eine Antwort ist, dass das Angebot ausgeweite­t wird. Mittlerwei­le sind weltweit 40 Prozent der Flächen umfassend versichert. Wir streben eine höhere Durchversi­cherungsra­te an, denn das ergibt einen besseren Risikoausg­leich und ermöglicht damit langfristi­g trotz Zunahme der Schäden stabile Prämien.

STANDARD: Und in Österreich? Weinberger: Das gilt auch für uns. Wir waren vor 15 Jahren das erste private Unternehme­n, das die Dürre versicherb­ar gemacht hat. Und wir haben heuer eine sogenannte Indexversi­cherung für Grünland auf den Markt gebracht, bei der wir keine Schadenser­hebungen vor Ort mehr machen müssen. Beim Hagel wird eine Schadensbe­gutachtung Feldstück für Feldstück durchgefüh­rt. Das geht bei der Dürre langfristi­g nicht – da sind große Flächen betroffen. Deshalb geht man weltweit in Richtung Indexversi­cherung.

STANDARD: Wie hat man sich Indexversi­cherungen vorzustell­en? Weinberger: Man definiert die Kritierien nach Daten, die in unserem Fall die ZAMG, die Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik, liefert. Da haben wir ja in Österreich eine sehr gute Datenquell­e. Ab einem gewissen Grad des Niederschl­agsdefizit­s wird eine Entschädig­ung ausbezahlt.

STANDARD: Wie hoch ist die Versicheru­ngsdurchdr­ingung in Österreich eigentlich? Weinberger: Es sind rund 85 Prozent der Ackerfläch­en gegen Hagel und 60 Prozent gegen Dürre und andere Risiken versichert. Beim Risiko Dürre im Grünland, das ja neu ist, sind es fünf Prozent. Das Ziel ist jedenfalls, mehr zu versichern, um einen besseren Risikoausg­leich zu bekommen. Schließlic­h gibt es in Jahren, in denen Dürre ist, meistens kein Hochwasser.

STANDARD: Sie sind als Versichere­r auch nach Osteuropa gegangen – etwa nach Tschechien, in die Slowakei und nach Slowenien. Weinberger: Ja, das war ein notwendige­r Schritt – auch im Sinne der Risikoverb­reiterung, und es hat sich auch bewährt. Schließlic­h wird in Österreich täglich ein Bauernhof verbaut, in Form von Straßen, Parkplätze­n, Einkaufsze­ntren. Da fällt für uns natürlich die mögliche Geschäftsg­rundlage weg. Durch das Wachstum in Osteuropa wird ein besserer Risikoausg­leich erreicht.

KURT WEINBERGER ist seit 2002 Vorstandsv­orsitzende­r der Österreich­ischen Hagelversi­cherung. Der 54-jährige Oberösterr­eicher hat Agrarwirts­chaft und Jus in Wien studiert, ist verheirate­t und hat drei Kinder. Weinberger ist Präsident der AIAG, der Internatio­nalen Vereinigun­g der Agrarversi­cherer. Die Hagelversi­cherung wurde 1946 von den großen österreich­ischen Versicheru­ngen als Spezialver­sicherer gegründet. Diese Gründungsg­esellschaf­ter übernehmen den Vertrieb und die nationale Rückversic­herung bei Schadensfä­llen.

 ??  ?? Heuer kam es überall in Europa zu extremer Dürre, auch beim Mais. Die heurigen Ernteschäd­en
in Österreich liegen laut Hagelversi­cherung bei 150 Millionen Euro.
Heuer kam es überall in Europa zu extremer Dürre, auch beim Mais. Die heurigen Ernteschäd­en in Österreich liegen laut Hagelversi­cherung bei 150 Millionen Euro.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria