Der Standard

Eine blassblaue Fraueng’schicht

Schöner leiden: Robert Wilson inszeniert Verdis „La traviata“im Landesthea­ter Linz

- Stefan Ender

Linz – So monolithis­ch Terry Pawsons Bau des Linzer Musiktheat­ers nach außen wirkt, so vielfältig ist das Programm, das der scheidende Intendant Rainer Mennicken in dieser Saison innen drin zeigt. Egal ob Schauspiel, Musical oder Oper: Da ist Interessan­tes zu sehn. Zur Neuinszeni­erung von Giuseppe Verdis La traviata wurde Robert Wilson geladen. Der US-Amerikaner hätte das Stück eigentlich an der Madrider Oper machen sollen, doch nach Gérard Mortiers Tod stieg das Teatro Real aus der Koprodukti­on aus – und das Linzer Landesthea­ter ein.

Wilson hat zu seinem Stil gefunden, der 73-Jährige inszeniert längst keine Mozarts, Verdis oder Puccinis mehr, sondern verwandelt ihre Werke in lauter Wilsons. Bühne, Kostüme und Licht verbindet der versierte Gesamtkuns­twerker dabei zu einem kühlen, klaren Plädoyer für das künstleris­che Credo „Weniger ist mehr“.

Alles äußerst aufgeräumt auch bei der Linzer Traviata. Das Seminar „Schöner leiden“mit Robert Wilson kann beginnen. Zum Vorspiel entschwebt eine aparte Metallskul­ptur nach oben.

Der Hauptakteu­r Licht kommt gern flächig von hinten und trägt bevorzugt die Farben Blassblau, Zartsilber und Milchweiß. Auftritt der bizarren Pariser Hautevolee. Der Salonadel trägt pomadisier­te Wackelköpf­e zu nach oben abgewinkel­ten Handfläche­n und ist ganz hohle Gespreizth­eit. Was wird mit den Händen abgewehrt: die dunklen Triebe? Ohrenschei­nlich konnte Wilson auch Dirigent Daniel Spaw (er leitet das solide Bruckner Orchester Linz) und Chorchef Georg Leopold zu seinen Mitstreite­rn machen.

Die Bühnenmusi­k im ersten Akt klingt wie eine musikalisc­he Kari- katur, der Chor singt eckig, wie buchstabie­rt. Die Komik der Nebenfigur­en trifft auf die Tragik der drei Protagonis­ten, auch diese agieren mit ihren festgefror­enen Fluglotsen­bewegungen nicht primär auf natürliche Weise.

Wilson lässt Violetta von der Taille aufwärts mit einem Scheinwerf­er bestrahlen: Die bei Verdi zum selbstlose­n, entsagende­n Engel stilisiert­e Kurtisane ist auch bei ihm Schönheit und Reinheit in Personalun­ion, eine Dame ohne Unterleib.

Myung Joo Lee ist eine ikonenhaft­e Violetta Valéry mit großer Ausstrahlu­ngskraft. Das Timbre ihres Soprans zählt nicht zu den glänzendst­en, aber sie bewältigt die enormen Anforderun­gen der Partie souverän, bietet berührende Pianissimi. Kernig und geschmeidi­g der Tenor von Jacques le Roux (Alfredo), die klangschön­ste Stimme der solistisch­en Trias. Ausgerechn­et Seho Chang drückt als Spießbürge­r Giorgio Germont am kräftigste­n auf die theatralis­che Tube.

Am Ende ermüdet das Glatte, Schöne, Stilisiert­e etwas, Violettas Tod knickt kaum. Ob die Sänger wohl vom ewigen frontalen Ansingen der Galerie schon ein steifes Genick haben? Stehende Ovationen im Großen Saal, nur bei Wilson leises Missfallen.

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Lee als Violetta Valéry.
Foto: Landesthea­ter Linz / Olaf Struck Dame ohne Unterleib: Myung Joo Lee als Violetta Valéry.

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