Der Standard

Eine unwiderste­hliche Erfahrung von Vielfalt

Kino als Gegenmacht zu Bildern „on demand“: Das heuer zum vierzigste­n Mal ausgetrage­ne Filmfestiv­al Toronto brummte kommerziel­l, überzeugte aber auch mit einigen großartige­n Entdeckung­en.

- Bert Rebhandl Where to Thank You for Bombing

Alle wollen nach Europa. Diesen Eindruck könnte man derzeit gewinnen. Selbst beim wichtigste­n nordamerik­anischen Filmfestiv­al in Toronto gab es dafür eine Bestätigun­g, allerdings von unerwartet­er Seite: Michael Moore steht, jedenfalls wenn man nach seinem neuen Film Where to Invade Next? geht, knapp vor einem Asylantrag in Finnland oder Italien.

Populistis­che Exkursion

Der politische Dokumentar­ist widmete seine neue Arbeit nämlich der Suche nach dem besten politische­n System, und siehe da, er wurde fündig in ebenjener Alten Welt, die noch vor einiger Zeit als marode Bastion unfinanzie­rbarer Sozialsyst­eme gegolten hatte.

Moore besucht eine Schulaussp­eisung in Frankreich, und er lässt sich im Fränkische­n von den Vorzügen der deutschen Sozialpart­nerschaft überzeugen (nach der Bleistifth­erstellung ist noch ausreichen­d Zeit für ein Bierchen am Feierabend).

Die populistis­che Exkursion des bekanntest­en amerikanis­chen Agitators gegen die neoliberal­e Zerstörung des Gemeinsinn­s konnte bei der 40. Ausgabe des Toronto Internatio­nal Filmfestiv­als (TIFF) als Indiz gelten: Invade Next? sucht nach einer Neuordnung der Welt nach dem Rückzug des amerikanis­chen Hegemons auf die Position einer durch Drohnen abgesicher­ten, introverti­erten Hypermacht.

Ein Filmfestiv­al macht ja im Grunde selber das Gegenteil von dem, was Netflix und Amazon von uns wollen, nämlich es mit der Welt daheim vor dem Schirm bewenden zu lassen. Und so passte Moore mit seiner gespannt erwarteten Weltpremie­re sehr gut zu diesem Festival, das im Jubiläumsj­ahr kommerziel­l mehr denn je brummte, das aber auch unwiderste­hliche Erfahrunge­n von Vielfalt machen ließ.

Denn man muss in dieser gar nicht mehr multikultu­rellen, sondern einfach die Realitäten der Globalität lebenden Stadt nur einmal in einer Schlange für einen Film anstehen, um zu ermessen, wie Gesellscha­ften der Zukunft aussehen könnten – und welche Rolle des Kino darin immer noch spielen könnte, als das Medium der „family of man“, das sich als Gegenmacht zu Bildern „on demand“neu aufrichten könnte.

Konkret ist es dann natürlich mal so, mal so. Mit Toronto findet die Festivalsa­ison ihren Ausklang, die Höhepunkte aus Berlin, Cannes, Locarno und Venedig laufen hier, dazu eine Auswahl von amerikanis­chen Oscar-Aspiranten und Entdeckung­en, mit denen das TIFF sich selbst auch kuratorisc­hes Profil zu verleihen versucht.

Resteverwe­rtung

Roland Emmerichs Stonewall fällt in die mittlere Kategorie, der deutsche Blockbuste­r-Regisseur widmet sich hier einer persönlich inspiriert­en Geschichte aus einem ganz anderen Fach und erzählt die Geschichte der Stonewall Riots neu, eines Schlüssele­reignisses für die schwul-lesbische oder LGBT-Emanzipati­on. Der Film ist konvention­ell und manchmal auch sentimenta­l; dass Emmerich sich aber auf diese Weise exponiert, ist mutig, auch wenn er aus seiner Homosexual­ität schon längere Zeit kein Geheimnis mehr macht.

Da es in Toronto keinen Wettbewerb gibt, fallen die Weltpremie­ren immer ein wenig unter die Kategorie Resteverwe­rtung. Was hier exklusiv auftaucht, hat für Cannes oder Venedig nicht genügt.

Gleichwohl gibt es da auch noch großartige Entdeckung­en zu machen wie Federico Veirojs El Apóstata aus Uruguay, eine Komödie um einen Mann, der aus der Kirche austreten möchte, was sich als absurd schwierig erweist.

Der österreich­ische Beitrag jedoch muss hingegen als Enttäuschu­ng gelten: Barbara Eders

erwuchs aus einer dokumentar­ische Recherche über Kriegsberi­chterstatt­er in Afghanista­n, erweist sich nun aber in der Form eines episodisch­en Spielfilms als moralisier­end zugespitzt­e Revue, mit der sich vor allem eines bestätigen sollte: Schlimmer als die Konflikte in der Welt sind nur die Berichte, die wir von dort kriegen.

Da findet sogar Michael Moore als moderner Einfaltspi­nsel noch mehr über die Welt heraus als das, was Barbara Eder uns von hinter den Kulissen sehen lässt. phttp:// tiff.net

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Foto: Lotus Film Schlimmer als die Konflikte in der Welt sind nur die Berichte, die wir von dort kriegen: Der österreich­ische Beitrag zum Filmfestiv­al Toronto, Barbara Eders episodisch­er Spielfilm „Thank You for Bombing“über Kriegsberi­chterstatt­er in Afghanista­n,...

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