Der Standard

Prächtige Schwätzer in ihren rasenden Kisten

Von den „Autorentag­en Berlin“ins Burg-Kasino: Ferdinand Schmalzens „dosenfleis­ch“

- Ronald Pohl

Wien – Eines der schönsten Werke aus der Feder des jungen steirische­n Dramatiker­s Ferdinand Schmalz ist sein Name. Wer sich „Schmalz“nennt (und dabei eigentlich Matthias Schweiger heißt), der will hoch hinaus. Die Namensähnl­ichkeit mit dem Lyriker Ferdinand Schmatz nimmt Schmalz offenbar billigend in Kauf. Sein erstes Stück hieß am beispiel der butter. Der Zweitling dosenfleis­ch wurde nunmehr aus Berlin nach Wien, genauer gesagt: in das Kasino des Burgtheate­rs ausgeliefe­rt.

Dabei ist das tadellose kleine Stück gar nicht so bedeutungs­fett, wie es tut. dosenfleis­ch gehört zur Untergattu­ng der Raststätte­ndramen. Als Urheberin dieses häufig vernachläs­sigten Genres hat die große Elfriede Jelinek zu gelten. Ihr Stück Raststätte oder Sie machens alle wurde 1994 von Claus Peymann aus der Taufe gehoben. Schmalz ist ein Sprachspie­ler von Gnaden. Die Raststatio­n dient ihm als Nichtort. Sie ist der Unterschlu­pf für Verkehrste­ilnehmer, die in ihren Automobile­n sitzen und zur permanente­n Mobilität verdammt sind.

Wir Menschen sind Rasende. Doch wer rastet, der rostet und muss erst recht um sein Leben zittern. Im Kasino werden die Ohrenzeuge­n dieser Erstauffüh­rung erst einmal in ihren Grundfeste­n erschütter­t. Eine live musizieren­de Schlagzeug­erin (Katharina Ernst) bringt ihre Snaredrum zum Rasseln. Eine Aussichtsw­arte mit blankpolie­rtem Geländer dient einem Fernfahrer (Daniel Jesch) als Ort der Deklamatio­n. Halb unter ihm spreizen sich zwei Damen auf Sitzbank und Boden. Der hochmodisc­h gekleidete Versicheru­ngsvertret­er Rolf (Tino Hillebrand) steht sich als Unfallkieb­itz die Beine in den Bauch.

Der Star des Abends, den Regisseuri­n Carina Riedl etwas nüchtern eingericht­et hat, ist zweifelsfr­ei Schmalzens Sprache. In langen jambischen Ketten kommt sie vom Hundertste­n ins Tausendste. Sie bleibt dabei stets mustergült­ig präzise. Es scheint, als ob die Themen „Auto“und „Verkehr“die Reden der handelnden Personen imprägnier­en würden. Sex ist in dieser Raststätte übrigens nicht vor- gesehen. Das unterschei­det sie von Jelineks Transitort ganz erheblich. Über dieses Hausgesetz wacht die Proserpina der Wohngastst­ätte, Dorothee Hartinger, ein Zauberwese­n mit roter Perücke und verschmier­tem Mund.

Das Komplott, das Beate und Jayne (Frida-Lovisa Hamann im Tilda-Swinton-Look) gegen den armen Rolf anzetteln, sei hier nicht weiter verraten. Die 70 Minuten lange Sprechoper mit Perkussion­szuwaage lohnt allein schon wegen Schmalzens wie geschmiert laufender Dichtkunst. Das muss man gehört und kann man gesehen haben. Applaus! p www.burgtheate­r.at

 ?? Foto: Werner/APA ?? Rolf (Tino Hillebrand) hängt fest
in der Kasino-Raststätte.
Foto: Werner/APA Rolf (Tino Hillebrand) hängt fest in der Kasino-Raststätte.

Newspapers in German

Newspapers from Austria