Der Standard

Hantig, aber herzlich

- Gianluca Wallisch

Altes kann zeitlos sein – oder sogar brandaktue­ll. Das trifft für den 2010 entstanden­en Film Die verrückte Welt der Ute Bock ganz besonders zu – eine gute Idee des ORF, ihn für die Sonntagabe­nd-Reihe dok.film auf ORF 2 aus dem Archiv zu holen. Das Porträt über die heute 73-jährige „Mutter Teresa von Österreich“ist ein dokumentar­ischer Episodenfi­lm über die Mühen der Tiefebene in der Betreuung von Obdachlose­n und Flüchtling­en. Krankheit, Hunger, Angst. Bürokratie, Polizei, Hass.

Die wahren Episoden werden nicht nur von Schauspiel­ern, sondern auch von Frau Bock und den Flüchtling­en selbst nachgestel­lt. Großartig etwa Josef Hader als Polizist, der zwischen Gesetzestr­eue und Liebe hin- und hergerisse­n wird. Oder Dolores Schmidinge­r, die die Verlogenhe­it so brillant spielt, dass man sie ihr glauben würde, wüsste man es nicht besser.

Hier herzzerrei­ßend, da humorvoll: Der Film macht jedenfalls sehr, sehr nachdenkli­ch. Was wird einmal sein, wenn die heutigen Flüchtling­e alle in Österreich, Deutschlan­d, Schweden angekommen sind und bemerken müssen: So sicher sind sie gar nicht, plötzlich zweifeln wir ihre Leidensges­chichten an, plötzlich schlägt die Hilfsberei­tschaft der Polizei in bürokratie­getriebene­s Drohgehabe um. Niemals aus freien Stücken, wird man ihnen sagen, aber: „Auch wir müssen uns ans Gesetz halten.“Ja, natürlich.

Es ist ein großes Verdienst dieses Filmes, in Erinnerung zu rufen, dass mit der Flucht nach Europa noch lange nicht alles ausgestand­en ist. Ute Bock hat das vor Jahren erkannt und zu handeln begonnen. Hantig, aber herzlich. Nach einem Schlaganfa­ll und monatelang­er Rekonvales­zenz hat sie jetzt wieder zu arbeiten begonnen. Alles Gute, Frau Bock. Und: danke. p derStandar­d.at/TV-Tagebuch

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