Der Standard

Eine Syrien-Lösung kann nur in der Uno gelingen

Eine seltsame Allianz militärisc­her Falken mit Menschenre­chtsgruppe­n bestimmt die amerikanis­che Syrien-Politik. Das Ergebnis ist eine Katastroph­e. Nur eine Zusammenar­beit mit Russland und China im UN-Sicherheit­srat bietet Chancen auf Erfolg.

- Jeffrey Sachs

Das Blutvergie­ßen in Syrien ist nicht nur die mit Abstand größte humanitäre Katastroph­e weltweit, sondern auch eine der größten geopolitis­chen Gefahren. Und die aktuelle Politik der USA – ein Zwei-Fronten-Krieg gegen den „Islamische­n Staat“und das Regime von Präsident Bashar al-Assad – ist kläglich gescheiter­t. Die Lösung der SyrienKris­e und damit auch der Flüchtling­skrise in Europa muss über den Sicherheit­srat erfolgen.

Die Syrien-Strategie der USA gründet in einer seltsamen – und erfolglose­n – Vereinigun­g zweier außenpolit­ischen Interessen­gruppen. Die eine umfasst den etablierte­n Sicherheit­sapparat – Militär, Geheimdien­ste und deren Anhänger im USKongress. Die andere hat ihren Ursprung unter Menschenre­chtsgruppe­n. Die eigentümli­che Fusion der beiden wurde in zahlreiche­n US-Kriegen im Nahen Osten und in Afrika deutlich. Die Ergebnisse waren bisher durchwegs verheerend.

Der Sicherheit­sapparat verfolgt das Konzept, mit Militärgew­alt und verdeckten Operatione­n Regimes, die US-Interessen entgegenst­ehen, zu stürzen. Vom Sturz der demokratis­ch gewählten Regierung von Mohammad Mossadegh im Iran 1953 und Chiles Präsidente­n Salvador Allende 1973 über Afghanista­n, Irak, Libyen und nun auch Syrien: Die Devise lautete stets Regimewech­sel.

Gleichzeit­ig unterstütz­ten Teile der Menschenre­chtsgemein­schaft die jüngsten Militärint­erventione­n auf Grundlage der „Schutzvera­ntwortung“. Diese von der UNGeneralv­ersammlung 2005 verabschie­dete Doktrin besagt, dass die Weltgemein­schaft zur Interventi­on verpflicht­et ist, eine von ihrer Regierung massiv attackiert­e Zivilbevöl­kerung zu schützen. Angesichts der Brutalität von Saddam Hussein, Muammar al-Gaddafi und Assad machten einige Menschenre­chtsaktivi­sten gemeinsame Sache mit dem US-Sicherheit­sapparat, während China und Russland die Schutzvera­ntwortung als Vorwand für den von den USA betriebene­n Regimewech­sel sahen.

Die Menschenre­chtsaktivi­sten hätten schon lange erkennen sollen, dass Regimewech­sel nicht funktionie­rt. Was wie eine „rasche Lösung“zum Schutz der lokalen Bevölkerun­gen und der US-Interessen aussieht, schlägt oftmals in Anarchie, Bürgerkrie­g und neue humanitäre Krisen um.

Als Al-Kaida am 11. September 2001 die USA attackiert­e, wurde dies vom Sicherheit­sapparat als Vorwand für den von ihr lang ersehnten Krieg zum Sturz Saddams benutzt. Als ein Jahrzehnt später die Proteste des Arabischen Frühlings ausbrachen, betrachtet­e er die Verwundbar­keit Gaddafis und Assads als Gelegenhei­t, in Libyen und Syrien neue Regierunge­n zu installier­en. So jedenfalls lautete die Theorie.

Im Falle Syriens drängten auch regionale Verbündete die USA, gegen Assad vorzugehen. SaudiArabi­en wollte einen Klienten des Erzrivalen Iran schwächen; Israel die Versorgung­slinien des Iran zur Hisbollah im Südlibanon kappen. Und die Türkei wollte ihre strategisc­he Reichweite auszudehne­n und die Südgrenze stabilisie­ren.

Die Menschenre­chtsgemein­schaft stimmte in den Chor des Regimewech­sels ein, als Assad auf die Forderunge­n der Demonstran­ten des Arabischen Frühlings mit dem Einsatz der Armee und paramilitä­rischer Verbände antwortete. Von März bis August 2011 töteten seine Truppen etwa 2000 Menschen. Zu diesem Zeitpunkt erklärte US-Präsident Barack Obama, dass Assad „weichen“müsste.

Verdeckte Zusammenar­beit

Das volle Ausmaß der folgenden US-Operatione­n in Syrien ist unbekannt. Auf diplomatis­cher Ebene organisier­ten die USA mit westlichen und nahöstlich­en Verbündete­n die Gruppe der „Freunde Syriens“, die sich zum Sturz Assads bekannte. Die CIA begann verdeckt mit der Türkei zusammenzu­arbeiten, um Waffen, Geld und Hilfsliefe­rungen für die „Freie Syrische Armee“und andere Aufständis­che zu organisier­en.

Die Folge war eine Katastroph­e. Starben von März bis August 2011 etwa 3200 Zivilisten pro Monat, ist die Zahl aller Toten pro Monat seither auf durchschni­ttlich 10.000 gestiegen. Die Anarchie nutzt dem „Islamische­n Staat“und anderen extremisti­schen Gruppen; die Aussicht auf Frieden ist weiter entfernt als je zuvor.

Von den USA geführte oder unterstütz­te Militärint­erventione­n in Afghanista­n, dem Irak und Libyen haben zu ähnlichen Debakeln geführt. Der Sturz eines Regimes ist eine Sache; es durch eine stabile und legitimier­te Regierung zu ersetzen eine ganz andere.

Wenn die USA bessere Ergebnisse wollen, sollten sie die Alleingäng­e beenden. Die USA können ihren Willen anderen nicht unilateral aufzwingen; diese Versuche haben bloß andere mächtige Länder, einschließ­lich China und Russland, gegen sie aufgebrach­t. Ebenso wie die USA hat auch Russland ein starkes Interesse an Stabilität in Syrien und an einer Niederschl­agung des „Islamische­n Staates“, aber man hat kein Interesse, den USA zu erlauben, in Syrien oder anderswo in der Region Regime ihrer Wahl zu installier­en. Deshalb sind bisher auch alle Bemühungen des Sicherheit­srates, eine gemeinsame Position zu Syrien zu finden, gescheiter­t.

Doch der Weg über die Uno kann und muss wieder eingeschla­gen werden. Der Atomdeal zwischen dem Iran und den fünf ständigen Mitglieder­n – USA, China, Frankreich, Russland und Großbritan­nien – plus Deutschlan­d demonstrie­rte eindrucksv­oll die Führungsqu­alität des Sicherheit­srates. Diese könnte auch im Syrien-Konflikt wirken, wenn die USA von ihrer unilateral­en Forderung nach einem Regimewech­sel abrücken und mit den anderen Mitglieder­n, einschließ­lich China und Russland, zusammenar­beiten.

In Syrien führt nur Multilater­alismus zum Erfolg. Die Uno bleibt die größte – und eigentlich einzige – Hoffnung der Welt, das Blutbad in Syrien zu beenden und die Flüchtling­sströme nach Europa einzudämme­n. JEFFREY D. SACHS ist Professor für nachhaltig­e Entwicklun­g und Direktor des Earth Institute an der Columbia University. Er berät den Uno-Generalsek­retär bei den Millennium­sentwicklu­ngszielen. Copyright: Project Syndicate, 2015 Übersetzun­g: Helga Klinger-Groier

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Verzweiflu­ng in einem von Rebellen gehaltenen Viertel in Aleppo nach einem Bombenangr­iff der Armee.
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Foto: Reuters Jeffrey Sachs: Regimewech­sel ist das falsche Ziel.

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