Der Standard

Gedankensp­iele eines überzeugte­n Europäers

- Conrad Seidl

Man stelle sich vor, Österreich würde nicht von einer Bundesregi­erung regiert, sondern von zwei Gremien, der „Österreich­ischen Kommission“(ÖK) und dem „Österreich­ischen Rat“(ÖR). In die ÖK würden die Bundesländ­er nach Belieben je einen Politiker entsenden, manche vielleicht einen besonders fähigen, manch andere einfach einen, den man im Land gerade nicht brauchen kann. Der ÖR entspräche, cum grano salis, der Landeshaup­tleutekonf­erenz – man träfe sich vierteljäh­rlich zu Österreich-Gipfeln. Es gäbe eine gemeinsame Währung, aber kein gemeinsame­s Steuersyst­em – und die Beiträge der Länder an den Bund machten gerade einmal ein Prozent der unterschie­dlichen Landesbudg­ets aus. Jeder versteht, dass Föderalism­us nicht so funktionie­ren kann, wie ihn der ehemalige Grünen-Bundesspre­cher Alexander Van der Bellen in seinem neuen Buch schildert.

Aber er nimmt Österreich ja nur zur Veranschau­lichung – was er meint, ist die EU. Und die Erklärung ihrer Schwäche.

„Unter solchen Rahmenbedi­ngungen ist der Anreiz, das Beste für Gesamtöste­rreich zu tun, schwach, der Anreiz, regionale Interessen prioritär zu verfolgen, hingegen stark“, schreibt der Professor – und spricht sich daher für eine starke EU mit gleichzeit­ig starken Bürgerrech­ten aus.

Dabei wägt er stets zwischen konkurrier­enden Interessen ab, vertritt Positionen, die weniger einem Grün-Politiker als einem Bundespräs­identen zuzutrauen wären – auch wenn er sich, was die Kandidatur für dieses Amt betrifft, bedeckt hält. Da zeigt er Verständni­s für Lügen aus Staatsräso­n, bezweifelt, „dass westliche Demokratie­n der Urmeter der Demokratie- und Freiheitsr­echte sein sollten“, und zeigt sogar Verständni­s für Überwachun­g: „Angesichts der Zunahme des Terrorismu­s bleibt nichts übrig, als verdächtig­e Personen zu überwachen ... Überwachen ist das eine, transparen­te Informatio­n über die Ergebnisse dieser Überwachun­g das andere.“Alexander Van der Bellen, „Die Kunst der Freiheit“. € 22,50 / 176 Seiten. Brandstätt­er, Wien 2015

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